Staatsschutz ermittelt Verdächtige räumen Angriff auf Synagoge in Bonn ein

Update | Bonn · In der Bonner Tempelstraße wurden Steine auf die Synagoge geworfen. Auch Zettel mit Schriftzeichen und eine angebrannte Israelflagge wurden gefunden. Die Tatverdächtigen räumen die Tat ein. Oberbürgermeisterin Katja Dörner besuchte die Gemeinde am Mittwoch.

 Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp und Oberbürgermeisterin Katja Dörner (l.) besuchen die Synagogengemeinde.

Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp und Oberbürgermeisterin Katja Dörner (l.) besuchen die Synagogengemeinde.

Foto: Benjamin Westhoff

In den frühen Abendstunden hat es eine Sachbeschädigung an der Bonner Synagoge in der Tempelstraße gegeben. Laut Aussage der Polizei sollen Täter Steine auf das Gebäude geworfen und Fensterglas oberhalb der Eingangstür beschädigt haben.

Ein Anwohner hatte gegen 19.30 Uhr mehrere junge Erwachsene beobachtet, die den Synagogeneingang attackierten und auch mit „Feuer“ auf einem angrenzenden Gehweg hantierten. Vor dem Eintreffen der Einsatzkräfte rannten die Personen, die den Zeugenaussagen nach zu dritt oder viert waren, in Richtung Rhein davon.

Polizei vermutet politisches Motiv und nimmt Verdächtige fest

Die eintreffenden Beamten fanden an der Fensterfront der Synagoge Einschläge von zwei Steinen sowie drei Zettel vor, die mit vermutlich arabischen Schriftzeichen versehen waren. Auf dem Gehweg fanden die Einsatzkräfte zudem eine angezündete weiß-blaue Fahne.

Die Polizei, die nach ersten Aussagen hinter der Sachbeschädigung ein politisches Motiv vermutet, konnte bei den umgehend eingeleiteten Fahndungsarbeiten drei verdächtige Personen aufgreifen. Gegen 19.50 Uhr nahmen die Einsatzkräfte zwei 20-jährige Männer im Bereich der Adenauerallee vorläufig fest. Kurze Zeit später wurde ein 24-jähriger Verdächtiger im Bereich der Niebuhrstraße überprüft und ebenfalls vorläufig festgenommen.

 Ein Verdächtiger gab laut Polizei im Laufe der Vernehmung zu, einen Stein auf das Synagogengebäude geworfen zu haben. Außerdem räumten die Männer ein, eine zuvor gekaufte Israelflagge vor dem Gebäude verbrannt zu haben. Befragt zu ihrer Motivation erklärten sie, dass sie der aktuelle Konflikt in Israel zur Tat veranlasst habe.

Die drei Tatverdächtigen, die laut Polizei über feste Wohnsitze in Deutschland verfügen und bislang nicht kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten sind, konnten nach Abschluss der Ermittlungsmaßnahmen das Polizeipräsidium verlassen. Sie stammen aus Syrien, wie die Polizei auf Nachfrage bestätigt. Gegen sie wird wegen des Verdachts der Gemeinschädlichen Sachbeschädigung ermittelt.

„Wir sind immer in Gefahr“

Auch eine weitere tatverdächtige Person könnte noch im Zusammenhang mit der Sachbeschädigung stehen. Zeugen hatten eine weibliche Person beobachtet, die vermutlich zwischen 18 und 22 Jahren alt war und ihre dunklen Haare zu einem Zopf gebunden hatte. Ein Fahrzeug, mit welchem die Täter möglicherweise unterwegs gewesen sind, konnte an der Graf-Galen-Straße sichergestellt werden.

Die Polizei stehe nach dem Angriff in engem Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden. Die Schutzmaßnahmen seien angepasst worden. Laut Medienberichten und Informationen aus der Gemeinde wurde die Synagoge zuvor nicht rund um die Uhr bewacht. Die Polizei steht vor der Synagoge, wenn sich jemand in ihr aufhält. Ansonsten patrouilliert sie regelmäßig das Gebäude.

Die Vorsitzende der Synagogengemeinde in Bonn, Margaret Traub, ist am Tag nach dem Angriff erschüttert. Sie habe die ganze Nacht nicht geschlafen. „Ich bin total deprimiert. Bis jetzt habe ich geglaubt, dass wir hier in Ruhe leben können“, sagte sie dem General-Anzeiger. „Egal, wo wir Juden sind, wir sind immer in Gefahr.“ Sie rechne damit, dass nach dem Vorfall weniger Gemeindemitglieder zur Synagoge kommen könnten. Viele haben ihr telefonisch ihr Mitgefühl gezeigt. „Das ist sehr beeindruckend.“ Sie dankte der Polizei für den schnellen Einsatz. „Egal, was passiert, die Polizei ist immer vor Ort.“

Polizei sucht Zeugen

Auch in Münster gab es am Dienstagabend ebenfalls einen Vorfall an einer Synagoge. Demnach hatten Zeugen der Polizei von einer etwa 15-köpfigen Gruppe mit arabischem Aussehen berichtet, die mit lauten Rufen vor der Synagoge und dem Verbrennen der Flagge aufgefallen sei. Beim Eintreffen der Sicherheitskräfte habe sich die Gruppe sofort zerstreut, 13 Personen seien jedoch gestoppt worden. Auf der Straße vor der Synagoge sei eine teilweise abgebrannte israelische Nationalflagge sichergestellt worden.

Die Polizei bittet Zeugen, die im Zusammenhang mit den geschilderten Geschehnissen etwas beobachtet haben, sich unter der Rufnummer 0228-150 mit dem polizeilichen Staatsschutz in Verbindung zu setzen.

Politik verurteilt Vorfälle

Nach den Berichten über die Attacken stellte sich NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) klar gegen Antisemitismus. „In NRW ist kein Platz für Antisemitismus“, schrieb der Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat antiisraelische Aktionen an Synagogen in Bonn und Münster als „vollständig inakzeptabel“ verurteilt. „Es geht überhaupt nicht, dass in Deutschland Flaggen Israels verbrannt werden oder es antisemitische Kundgebungen vor Synagogen gibt“, sagte Heil am Mittwochmorgen in der Interview-Reihe „Frühstart“ von RTL/ntv (Köln). Man müsse deutlich machen, dass die gesamte Gesellschaft an der Seite von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern stehe. Synagogen müssten gut geschützt werden.

Der SPD-Politiker äußerte sich besorgt zur Lage der Menschen in Israel und in den Autonomiegebieten. „Es ist jetzt an allen Seiten, diesen Konflikt zu befrieden. Und natürlich darf er auch nicht nach Deutschland getragen werden“, betonte Heil.

Auch die Bonner Grünen verurteilten die Geschehnisse. Es sei erschütternd, „dass wir solche Angriffe in Bonn erleben müssen und dass jüdisches Leben hier Schutz braucht.“ Der Fall zeige auch, „dass die Synagoge Schutz braucht - nicht nur polizeilichen, sondern auch gesellschaftlichen.“

„Ein Schlag gegen unsere Gesellschaft“

Oberbürgermeisterin Katja Dörner nannte den Angriff auf Twitter „unerträglich und verstörend“. Sie habe die Vorsitzende der Gemeinde am Dienstagabend angerufen und Unterstützung angeboten. „Gerade wir in Bonn sind stolz auf unsere weltoffene Gesellschaft, in der sich alle zuhause fühlen können“, erklärte sie am Mittwoch in einer Mitteilung. Dörner appelliert an alle Bonner, solidarisch mit Juden zu sein. „Wir lassen Sie nicht allein!" Gemeinsam mit dem stellvertetenden Ministerpräsidenten von NRW, Joachim Stamp (FDP), besuchte sie die Synagoge am Mittwoch. „Wir alle stehen in der Verantwortung, dass unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bei uns in Sicherheit leben können. Sie haben ihren festen Platz in Nordrhein-Westfalen“, sagte Stamp.

Die Vorsitzende der Bonner SPD, Jessica Rosenthal, verurteilte die Tat. „Wer Synagogen angreift, der greift uns alle an. Antisemiten und Rassisten haben in unserer Gesellschaft keinen Platz.“ Der Vorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion, Guido Déus, sei „geschockt und empört“. „Unsere Solidarität gilt den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern als Teil unserer Stadtgesellschaft in einem weltoffenen Bonn.“ Mitglieder der CDU werden am Mittwochabend eine Mahnwache vor der Synagoge abhalten. Auch die deutsch-israelische Gesellschaft Bonn ruft dazu auf, um 18 Uhr „unsere Solidarität mit der jüdischen Gemeinde zu bekunden“.

Die Christlich-Jüdische Gesellschaft (GCJZ) Bonn erklärte, der Angriff sei „bitter und erschütternd.“ Der Antisemitismus zeige sich in den vergangenen Jahren immer hemmungsloser auch in Verbindung mit der Diffamierung israelischer Symbole wie der Verbrennung der Fahne Israels, erklärt der Vorstand der GCJZ Bonn. „Wir müssen wachsam sein und uns auch öffentlich noch deutlicher an die Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stellen.“ Jeder Anschlag auf jüdisches Leben sei „ein Schlag gegen unsere Gesellschaft“, betont der evangelische Vorsitzende, der Bonner Pfarrer Joachim Gerhardt. Es sei jetzt wichtig, Juden Mitgefühl und Solidarität zu zeigen.

Binnaz Öztoprak, die Vorsitzende des Integrationsrates des Stadt Bonn, sei „fassungslos“ gewesen, als sie von dem Angriff hörte. „Bonn ist unsere internationale Heimatstadt. Bonn ist weltoffen. Wir leben in unserer Stadt zusammen als Gemeinschaft. Die Attacke auf die Synagoge wird daran nichts ändern.“

BDS-Gruppe kündigt Demonstration an

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte mit Blick auf die Angriffe in Bonn und Münster, die Bedrohung für die jüdische Gemeinschaft wachse. Der Schutz jüdischer Einrichtungen müsse jetzt erhöht werden. „Wir alle gemeinsam müssen uns an die Seite des jüdischen Staates stellen.“

Die Bundeszentrale für politische Bildung, die in unmittelbarer Nachbarschaft zur Synagoge sitzt, äußerte sich ebenfalls betroffen und hat der Gemeinde Unterstützung angeboten. Gleichzeitig verweist die Behörde auf umfassende Materialien zum Thema Antisemitismus, die kostenlos bezogen werden können.

Am Dienstag kündigte die BDS-Gruppe Bonn auf ihrer Internetseite eine Demonstration „gegen Vertreibung und Apartheid“ an. Sie soll am Samstag, 22. Mai, auf dem Remigiusplatz stattfinden. Die Polizei bestätigte auf Anfrage eine Kundgebung, bei der 30 Personen erwartet werden. BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“). Die politische Kampagne wurde vom Deutschen Bundestag im Mai 2019 als antisemitisch eingestuft.

2019: Hohe Jugendstrafe nach Angriff auf jüdischen Wissenschaftler

Im Juli 2018 hatte die Attacke eines damals 20-jährigen Deutschen mit palästinensischen Wurzeln auf den jüdischen Gastprofessor Yitzhak Melamed aus den USA bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Der junge Mann hatte den Wissenschaftler am helllichten Tag auf der Bonner Hofgartenwiese angegriffen und ihm mehrmals die Kippa vom Kopf geschlagen.

2019 verurteilte das Bonner Amtsgericht den Angreifer, der noch in anderen Fällen angeklagt war, unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer hohen Jugendstrafe. Die Attacke schlug medial auch deshalb hohe Wellen, weil die hinzugerufene Polizei Opfer und Täter verwechselte und den Professor niederstreckte. Das anschließende Ermittlungsverfahren gegen die am Einsatz beteiligten Polizisten stellte die Bonner Staatsanwaltschaft ein.

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(mit dpa-Material)

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