GA-Serie "100 Köpfe: Wir sind Bonn" Anwalt, Literat, OB-Kandidat: Claus Recktenwald

Bonn · Wenn der Anwalt in die Tasten seines Yamaha-Pianos greift und Stücke aus dem American Songbook spielt, ist er ganz bei sich und wirkt doch leicht entrückt.

 Sein ganzer Stolz: Tag für Tag spielt Claus Recktenwald ein Stück ein. Die 17 schönsten Liebeslieder hat er auf diese CD gebrannt.

Sein ganzer Stolz: Tag für Tag spielt Claus Recktenwald ein Stück ein. Die 17 schönsten Liebeslieder hat er auf diese CD gebrannt.

Foto: Privat

Wenn Claus Recktenwald dann über seine Musik redet, lächelt er genießerisch, und sobald er auf seine Helden zu sprechen kommt, Bill Evans etwa oder Herbie Hancock, gerät der Jurist fast in Ekstase.

Der Mann hat ein neues Projekt: Seit Advent 2014 gibt es den eisernen Vorsatz, nach dem Aktenstudium, dem Verfassen geharnischter Schriftsätze und nach Gerichtsverhandlungen („da bin ich dann eher konziliant“, sagt er) setzt er sich ans Klavier und studiert ein Stück ein. „Das ist der Kick dabei.“ Tag für Tag geht das so, „manchmal sitze ich bis vier Uhr früh, bis alles stimmt“, erzählt er in seinem Musikzimmer unterm Dach im Recktenwald'schen Gründerzeithaus im – natürlich: Musikerviertel.

Hier fühlt sich der 57-jährige Bonner sichtlich wohl, hier entstanden seine Einspielungen, 423 Stücke, „Pianoletters“ aus 75 Jahren, von 1914 mit Jerome Kerns „They Didn't Believe Me“ bis 1989, „With Every Breath“ von Cy Coleman und David Zippel. „Dann hört es auf mit den schönen Songs“. Was ihn interessiert, sind die alten Lovesong-Komponisten, „wunderschöne Melodien und anrührende Biografien“. Seinen Freundes- und Bekanntenkreis versorgt Recktenwald mit CDs seiner Einspielungen. Es gab sieben Lovesong-CDs, einen Rodgers & Hart-Sampler, die „Pianoletters“ mit den Top 17.

Als sich der Pianist und Anwalt Mitte vergangenen Jahres beim versuchten Radschlagen zwei Finger der rechten, der Melodiehand, brach, bedeutete das nicht das Aus oder eine Unterbrechung des Einspiel-Projekts. Recktenwald machte weiter, brachte bald ein Best-Of seiner Lovesongs, die mit geschienten Fingern eingespielten „Twofingersongs heraus. „Die CD kam nicht so gut an“, wundert sich der Zweifinger-Pianist. „Kevin Costner hatte mit 'Waterworld' seinen Riesenflop, bei mir sind es die 'Twofingersongs'.“ Seit wenigen Tagen ist die Homepage www.fewnotes.de im Netz. Ein Bild mit dem jungen Recktenwald, 1979 bei einem Konzert seiner Band „Skalar“ im Bonn Center, empfängt den Internetsurfer.

Wie geht das zusammen, ein, wie er selbst sagt, „obsessiv“ betriebenes Musikhobby und die aufreibende Arbeit als Wirtschaftsanwalt mit Schwerpunkt Bankrecht, als „bekennender Generalist“ in der Bonner Traditionskanzlei Schmitz Knoth und langjähriger Vorsitzender des Bonner Anwaltvereins?

„Ein Mensch der kreativ ist, ist überall kreativ“

Recktenwald zitiert die frühere Leiterin des Opernchors, Sibylle Wagner, die zu ihm gesagt habe: „Ein Mensch der kreativ ist, ist überall kreativ.“ „Ich unterscheide nicht in Arbeitszeit, Freizeit, Familienzeit, Urlaubszeit – das ist bei mir gleichberechtigt.“ Sein Arbeitspensum würde er „ohne Ventil“ gar nicht hinkriegen, erzählt er. „Ich schöpfe Kraft für meine Akten- und Mandantenarbeit aus der Musik.“ Das strukturierte Arbeiten liege ihm, „es macht unglaublich Spaß, in überschaubarer Zeit Erfolg zu haben“, das gilt für die Arbeit als Anwalt genauso wie für das Pianospielen.

Der Sohn eines Richters wäre gerne Tonmeister geworden, ein Beruf den auch Herbert von Karajan gelernt hatte. „Aber ich war nicht gut genug“, und auf brotlose Kunst hatte der junge Recktenwald keine Lust. Also folgte auf die Banklehre das Jurastudium und der Eintritt in die Kanzlei. Seine musikalische Seite pflegte der Bonner weiter: Schon als Schüler hatte er musiziert, es folgten die Bandprojekte „Skalar“, „Birdland“ und „RoccoCo“ und Auftritte. Recktenwald hat während des Studiums als Klavierstimmer und Barpianist gejobbt.

Der Mann, der seine Gerichtsgegner äußerst eloquent attackieren kann und in der Freizeit jazzige Liebeslieder spielt, hat auch eine literarische Ader. Unter dem Titel „Juckeldiduckel“ hat Recktenwald sehr lesenswerte, pointiert geschriebene Bücher veröffentlicht. Es sind mal launige, mal scharfe Bonner Episoden, Alltagsbetrachtungen, teils auch autobiografisch eingefärbte Lach-, Sach- und Tratschgeschichten, die nicht nur das Talent des Autors offenbaren, sondern diesen auch als profunden Bonner Insider zeigen. Als „Schlüsselloch für Bonner“ hat Recktenwald seine „Juckeldiduckel“-Bücher einmal in einer Widmung bezeichnet.

Es fehlt der vierte Strang in der Biografie des umtriebigen Juristen: Im Sommer 2008 warf der parteilose Recktenwald seinen Hut in den Ring, als es um die Nachfolge für Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann ging. Er sei gebeten worden, sagt er heute, es musste etwas passieren. „Ich bin ein unpolitischer Mensch, aber ich kann richtig und falsch unterscheiden“, und damals „war die Situation in Bonn unerträglich“. Als „OB-Kandidat der Herzen für eine Woche“ bezeichnete ihn Uli Hauschild am Rande einer Preisverleihung. Dem General-Anzeiger verriet Recktenwald damals, das „Wir sind Oberbürgermeister“-Gefühl habe ihm Spaß gemacht. Es sah sich gespalten zwischen dem „schönsten Beruf der Welt als Anwalt“ und dem „Urtrieb“, Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt zu werden. „Ich hatte in meiner Lebensplanung nie Politiker oder OB, sondern, dass ich mir treu bleibe.“

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