Vor 20 Jahren: Bagger reißen Bonner Gefängnis ab Aus für die „Anstalt mit Herz“

Bonn · Die Bonner Haftanstalt gilt als ältestes preußisches Gefängnis der Rheinprovinz. Den Abbruch vor etwas mehr als 20 Jahren bezeichnet der entsprechende Eintrag auf Wikipedia als „Verlust eines einzigartigen Zeugnisses des Strafvollzugs“ seit Mitte des 19. Jahrhunderts.

 Da stand es noch: Das Bonner Gefängnis von 1862 (vorne) war lange ein Teil des Landgerichts.

Da stand es noch: Das Bonner Gefängnis von 1862 (vorne) war lange ein Teil des Landgerichts.

Foto: GA-Archiv/Heinz Engels

„Bonner Gefängnis verabschiedet sich ohne Tag der offenen Tür aus dem Stadtbild“, berichtete der GA am 9. September 1995, knapp zehn Tage vor dem Beginn des Abrisses. Der von Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann angekündigte Tag der offenen Tür wird nicht mehr stattfinden.

Wie GA-Redakteurin Rita Klein berichtet, können die Bonner anno 1995 nun keinen letzten Blick mehr hinter die Fassade ihres Gefängnisses werfen, das vielen ohnehin ein Dorn im Auge gewesen war. Seit den 1960er Jahren gab es Pläne, die ungeliebte Anstalt aus dem Stadtbild zu entfernen. Und der Ruf der Justiz nach mehr Raum gefährdete schon damals die Existenz des Gefängnisses an der Wilhelmstraße.

Blick zurück in die Geschichte: 1849 wurde Bonn ein eigenes Landgericht zugesprochen, 1853 erhielt Bonns Oberbürgermeister die Genehmigung, das Gelände zur Errichtung von Gericht und Gefängnis zu kaufen. Nach der Fertigstellung des Landgerichts wurde die Justizvollzugsanstalt Bonn von 1862 bis 1864 als Gerichtsgefängnis für Männer und Frauen gebaut – auf der Befestigungsanlage der alten Stadtbastion.

Gefängnisbetrieb startete mit 25 Mitarbeitern

Frauen wurden dort jedoch nur bis 1894 inhaftiert und danach in ein Haus an der Victoriastraße – heute Heerstraße 205 – verlegt, das die Bonner „Haus Victoria“ nannten.

Mit 25 Mitarbeitern startete der Gefängnisbetrieb am Landgericht. Zwei Geistliche und ein Arzt kümmerten sich zudem um die Inhaftierten. Ein Jahrhundert nach der Gründung waren 100 Bedienstete in dem Gefängnis tätig, darunter ein hauptamtlicher Arzt, zwei Psychologen, eine Pädagogin, zwei Pfarrer und vier Sozialarbeiter.

Die Kapazität des Gefängnisses lag von Beginn an bei 230 Häftlingen. Bewegung im Freien war in dem langen und engen Hof bis zuletzt nur in bestimmten begrenzten Zeiten möglich. Bis 1936 diente der Hof noch zur Vollstreckung von Todesurteilen.

In der Schrift zum 125-jährigen Bestehen des Gefängnisses berichtet der Leiter der Wirtschaftsabteilung, Klaus Rick, aus Bonner Zeitungen über die Hinrichtung dreier Mörder am 2. April 1908: „Ein ungeheures Polizeiaufgebot, mindestens 40 Beamte, hielt Wilhelmstraße, Sterntorbrücke, Annagraben und Alexanderstraße unter Kommando von drei Kommissaren besetzt. Den Passanten wurde nicht gestattet, dieses Straßenviereck nach der Seite des Gerichts hin umschließenden Schrittwege zu betreten.

Eine größere Anzahl Personen hatte sich im Annagraben, wo das Gefängnis freiliegt, angesammelt. Man konnte dort das Schreien und den dumpfen Schlag beim Niedersausen des Fallbeils genau hören. Auf den Dächern der Häuser an der Sterntorbrücke und des Annagrabens hatten ebenfalls viele Neugierige Platz genommen.“

„Anstalt mit Herz“ und „familiärer Knast“

Diese Guillotine soll Historikern zufolge aus der französischen Revolution stammen und 1794 schon das Leben von Danton und Robespierre beendet haben. Sie wurde nach dem GA-Bericht von 1995 aus dem Kölner Klingelpütz im Bedarfsfall in die Bonner Anstalt gebracht. Aber es gab auch Gefangene, die sich im Bonner Gefängnis recht wohlfühlten: So fand etwa Kanzler-Spion Günter Guillaume keinen Grund, sich über irgendetwas zu beschweren. „Anstalt mit Herz“ und „familiärer Knast“ waren zwei Attribute, die dem Haus von Gefangenen zugesprochen wurden.

Nach mehr als 130 Jahren wurde das Gefängnis dem Erdboden gleichgemacht. In der Festschrift zum 150. Jahrestag der Eröffnung des Landgerichts Bonn heißt es rückblickend: „Ab dem Jahr 1862 wurde ein Gefängnis errichtet im Bereich hinter dem Landgericht als L-förmiges Gebäude auf der Bastion ,St. Marien’ der alten Bonner Stadtbefestigung. Dieses Gefängnis wurde erst im Jahre 1995 im Zusammenhang mit dem Neubauvorhaben der Bonner Justiz abgerissen.“

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