Köln-Bonner Cryptoparty Ausflug ins Darknet

Bonn · Sein eigentliches Ziel an diesem Abend sei, die Teilnehmer ganz furchtbar zu enttäuschen, sagt Jochim Selzer zu Beginn der Köln-Bonner Cryptoparty.

 Über das Netzwerk Tor, kann anonym gesurft werden.

Über das Netzwerk Tor, kann anonym gesurft werden.

Foto: Johanna Heinz

Das sogenannte Darknet war in den vergangenen Wochen vor allem im Zusammenhang mit dem Amoklauf in München Thema, weil sich der Attentäter dort seine Waffe gekauft hatte. „Gerne wird das so dargestellt, als müsste ich da nur auf einen roten Knopf drücken und eine Waffe materialisiert sich auf meinem Tisch“, sagt Selzer. Diese Darstellung sei falsch, reißerisch, einseitig und wecke falsche Erwartungen. „Oh, hier kann ich Heroin kaufen“, ruft wenig später eine Teilnehmerin verwundert.

Was hinter dem Begriff Darknet steckt und wer es wie nutzt, das wollten die Veranstalter der Köln-Bonner Cryptoparty in den Räumen der Arbeiterwohlfahrt in Beuel erklären. „Ich möchte vor allem, dass Sie sich selbst ein neutrales Bild machen können“, sagt Selzer.

Ein Ausflug in die obskure Parallelwelt des Web ist dabei kinderleicht. „Tor“ ist das bekannteste der anonymen Netzwerke. Um es nutzen zu können, muss lediglich die entsprechende Software auf dem Rechner oder einem USB-Stick installiert und aufgerufen werden: Eine Sache von kaum fünf Minuten und wenigen Klicks.

Die meisten der rund 20 Teilnehmer haben dazu ihre eigenen Geräte mitgebracht, um selbst einen Ausflug in das dunkle Netz machen zu können.

Das Tor-Netzwerk besteht inzwischen aus mehr als 7000 Knotenrechnern weltweit, die von Privatpersonen, Organisationen wie dem Chaos Computer Club und Universitäten, aber laut Selzer wohl auch von Geheimdiensten und Regierungen aufgesetzt wurden, die selbst von den anonymen Kommunikationsmöglichkeiten profitieren. Eine Anfrage wird durch drei zufällig aus dieser Menge ausgewählte Rechner geleitet und dabei in mehreren Schichten verschlüsselt, bevor sie ihr Ziel erreicht. Dadurch wird verschleiert, wer an wen welche Information geschickt hat.

Eine Suchmaschine wie Google gibt es im Darknet nicht. Um sich zurechtzufinden, dienen handgeführte Listen mit Links.Tatsächlich finden sich dort schnell Online-Shops, in denen Drogen, gefälschte Ausweise, Waffen oder auch die Dienste eines Auftragskillers feilgeboten werden. Für normale Browser sind diese Seiten nicht sichtbar. Allerdings: Wer sich illegale Waren besorgen wollte, müsste zunächst einen vertrauenswürdigen Händler finden – gar nicht so leicht in der Anonymität. Auch anonym an Zahlungsmittel wie die digitale Währung Bitcoin zu kommen, ist nicht einfach. Und schließlich muss die Ware am Ende in der physischen Welt den Käufer erreichen, beispielsweise per Post. Polizeiarbeit sei in den Online-Shops und Foren des Darknet genauso möglich und Realität wie in jedem anderen Milieu, sagt Selzer. Diese illegalen Dienste sind aber nur ein Aspekt der anonymen Netzwerke. Die digitale Tarnkappe dient beispielsweise auch dazu, Zensur und gesperrte Internetseiten in Ländern wie China, Syrien und dem Iran zu umgehen.

Denn auch ganz normale Internetseiten sind über den Tor-Browser zu erreichen, allerdings ohne Daten wie beispielsweise den eigenen Standort preiszugeben. Journalisten nutzen das Darknet, um mit Whistleblowern in Kontakt zu treten. Auch wer eine Krankheit hat und beispielsweise eine Selbsthilfegruppe sucht, hat gute Gründe den Schutz vollständiger Anonymität zu suchen.

Andere Nutzer wollen ganz einfach der Datensammelwut bestimmter Internetseiten entgegentreten und surfen generell nur mit Tarnkappe. „Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit Datenschutz und meine Überzeugung ist, dass eine freie Entfaltung der Persönlichkeit nur dann möglich sein kann, wenn ich mich zu einem gewissen Grad unbeobachtet fühlen kann“, findet Selzer. Den Vorwurf, die Cryptoparty spiele mit einem solchen Infoabend Terroristen in die Hand, wollen die Veranstalter nicht gelten lassen. Schließlich würden keine Informationen vermittelt, die nicht mit zwei Suchmaschinenanfragen auch selbst gefunden werden könnten.

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