Alleine unter Prinzen, Fürsten und Rittern Ball der Adelsvereinigung: Einblicke in eine verschlossene Gesellschaft

BONN · Student Thorben Monien war Gasttänzer beim Herbstball der Adelsvereinigung. Dort erhielt er Einblick in eine verschlossene Gesellschaft. Unser Reporter war ebenfalls dabei - und das trotz fehlendem Adelstitel.

 Thorben Monien auf dem Adelsball im Kameha.

Thorben Monien auf dem Adelsball im Kameha.

Foto: Nicolas Ottersbach

Thorben Monien bekommt sofort ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, als er das Kameha Grand Hotel betritt. Hier feiert die Adelsvereinigung Rheinland, Westfalen und Lippe von der Öffentlichkeit komplett abgeschottet ihren Herbstball. Auf der Gästeliste stehen Prinzen, Fürsten, Ritter – und der 21-jährige Jurastudent. Dass er mitfeiern darf, verdankt er einzig und allein der Tatsache, dass beim Herbstball Männermangel herrscht. Und da die Sitzordnung traditionell Mann-Frau ist, müssen Gasttänzer her. Eintrittspreis für ihn: 75 statt 125 Euro.

Die Veranstaltung ist sehr klassisch gehalten. Die großen runden Tische sind weiß eingedeckt, darauf stehen Kerzen und liegt feines Besteck. Etwa 150 Adelige sind gekommen. Nicht in die große Halle, in der sonst gefeiert wird, sondern in den kleineren Nebenraum, mit seinem roten Teppich und den schweren Vorhängen. Die Männer tragen Smoking, die Frauen Ballkleider, vor allem in Pastellfarben.

Monien muss sich erst einmal der Kleiderordnung anpassen. Bei der Schneidermeisterin Sandeka Ali in der Bonner Sternstraße leiht er sich einen schwarzen Smoking samt Hemd, Kummerbund und Fliege aus. Die Hose ist noch etwas lang, der Rest sitzt wie angegossen. „Hier kommen oft junge Leute hin, die sich Anzüge für ihre Abschlussfeiern aussuchen“, erzählt Ali. Der 21-Jährige trägt das erste Mal in seinem Leben einen Smoking. „Ungewohnt.“ Die blonden Haare hat er sich akkurat mit Pomade zurückgekämmt. „Da sieht man direkt aus wie ein Geheimagent.“

Youtube-Crashkus hilft nicht

Trotz des äußerlich gewonnenen Selbstbewusstseins ist Monien am Ballabend aufgeregt. Die letzten Stunden davor hat er sich Youtube-Videos mit Tanzanleitungen angeschaut, um seine drei Jahre zurückliegenden Tanzkurse aufzufrischen. Mehr oder minder erfolgreich. Denn Standardtänze sind, wie sich später noch herausstellen soll, nicht angesagt.

Aber zunächst gibt es Ansprachen. Ein paar Gäste werden persönlich begrüßt, darunter auch der jüngste mit wenigen Monaten. Dann geht es um die Jugendlichen. Sie sollen sich an den verschiedenen Aktivitäten der Vereinigung beteiligen: Segeltörn, Radtour, Vulkanfreizeit. Es gibt sogar einen Familienadelstag. Für Monien alles Neuland. Für seine Sitznachbarn, die alle um die 20 sind, längst Routine.

Die Sitzordnung ist nicht nur nach Geschlecht, sondern auch nach Alter aufgeteilt. Die Älteren haben ihre Plätze an anderen Tischen. Die Trennung ist strikt. Wer sich anmeldet, muss in einem Online-Formular sogar Größe und Titel angeben, auch nach dem Ehestatus wird gefragt. Es dauert nicht lange, da nimmt eine junge Frau das Wort „Heiratsmarkt“ in den Mund. Ja, man treffe sich, um untereinander zu bleiben. Schon manch einer habe hier seine Freundin oder spätere Frau gefunden. „Aber mir ist das ziemlich egal, es ist schön, sich mal wiederzusehen“, sagt sie. Sonst habe man wenig miteinander zu tun. Außer dem Adelstitel verbinde die Gäste wenig bis nichts. Dass Monien kein „von“ in seinem Namen trägt, spielt dennoch keine Rolle.

Grundsätzlich sticht niemand aus der Masse heraus. Keiner wird beim Titel genannt, alle benutzen Vornamen. Monien muss aber auf seine Aussprache achten. Als er die Floskel „Alter“ an das Satzende setzt, kichert sein Gegenüber. Es wird nahezu perfektes Hochdeutsch gesprochen. Fast schon förmlich. Interessant sind die Gespräche trotzdem, das Bildungsniveau ist hoch. Er unterhält sich mit einer Frau Anfang 20 über ihr Lehramtsstudium, sie fragt ihn über seinen Berufswunsch aus: Richter. „Da wirst du aber nicht reich mit“, sagt sie. Monien muss sich einen Kommentar verkneifen. Wenn Richter nicht reich sind, sie als Lehrerin aber keine Finanzsorgen hat, muss die Familie wohl recht gut betucht sein. Er hakt nicht nach. Geld ist genau so ein Tabuthema wie der Adelstitel.

"Diesem jungen Herren steht es nicht zu, über unsere Veranstaltung zu berichten"

Nach dem Essen, das Monien sich edler vorgestellt hat als drei Gänge am Buffet, wird die Tanzfläche eröffnet. Doch Walzer, auf den er sich eingestellt hat, tanzen nur die Alten. Der Friesenrock liegt in seiner Altersklasse im Trend. „Den bekommen wir auf den Veranstaltungen beigebracht“, erzählt eine Frau und schnappt sich Monien. Sie stehen sich gegenüber, pressen die Hände aneinander, machen einen einfachen Grundschritt. Das meiste passiert mit den Armen: Drehungen, Wechsel, Chassés. Wie ein adeliger Discofox, der auch zu Schlagern und Popmusik passt. So geht es weiter, bis 4 Uhr morgens. Inklusive eines jungen Erwachsenen, der betrunken ein Nickerchen auf dem Boden vor der Garderobe macht.

Fünf Tage später folgt ein Telefonat mit einer Freifrau, die zum Vorstand der Adelsvereinigung Rheinland, Westfalen und Lippe gehört. „Diesem jungen Herren steht es nicht zu, über unsere Veranstaltung zu berichten. Er ist nicht adelig“, sagt sie dem GA-Reporter und ist sauer. Gäste ohne Adelstitel – und erst recht Journalisten – bekommen für gewöhnlich keinen Zutritt zu der jährlichen Veranstaltung, die abgeschottet von der Öffentlichkeit und sonst auf dem Petersberg stattfindet. Warum das so ist? Dazu äußert sie sich nicht genau.

Dabei gilt gerade diese Adelsvereinigung als eine der erfolgreichsten in Deutschland. Mit rund 900 Mitgliedern und vielen Veranstaltungen ist sie sehr aktiv. Es gibt sogar eine Stiftung, um den Erhalt geschichts- und genealogiebewusster Familien, insbesondere der dem historischen Adel angehörenden, zu sichern. Deshalb wird es auch im nächsten Jahr einen Herbstball geben. Aber wahrscheinlich ohne Monien. Er hat im Gegensatz zu anderen an jenem Abend im Kameha keine Partnerin gefunden.

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