„Wie ein Himmel ohne Sterne“ Behinderte warten auf die Wiedereröffnung der Bonner Werkstätten

Bonn · Seit Wochen fehlt den rund 1100 Menschen mit Behinderung ihr täglicher Arbeitsplatz in einer der vier Werke der Bonner Werkstätten. Sie warten nun sehnlichst auf dei Wiedereröffnung.

 Mit geschlossenen Augen kann Oliver Conrady (rechts) das monotone Verpressen von Hülsen auf Kabelenden ausführen und erlebt hautnah die Arbeit der Menschen, die er ansonsten betreut.

Mit geschlossenen Augen kann Oliver Conrady (rechts) das monotone Verpressen von Hülsen auf Kabelenden ausführen und erlebt hautnah die Arbeit der Menschen, die er ansonsten betreut.

Foto: Stefan Hermes

„Als wir mitteilen mussten, dass es am 5. Mai nun doch nicht wieder losgehen würde“, sagt die Pädagogische Leiterin der Bonner Werkstätten (BW) Isabel Torres-Ehm, „erhielten wir eine durchweg berührende Resonanz von unseren Mitarbeitern.“ Seit Wochen fehlt den rund 1100 Menschen mit Behinderung ihr täglicher Arbeitsplatz in einer der vier Werke der BW. „Meistens wird im Radio nur über Schulen und Kindergärten berichtet, (…) aber über die Behinderten in den Werken wird nicht gesprochen. Manche Behinderte machen sich Sorgen darüber“, schrieb Jana Walkembach (28) an den GA.

Vielleicht sei es ja auch richtig, dass die Werkstätten noch nicht öffneten, da dort viele Menschen mit Behinderungen beschäftigt seien, die nicht immer selber auf die Hygieneregeln achten könnten. Aber die Ungewissheit sei gerade für sie als Behinderte schlecht auszuhalten. „Manche können sich alleine beschäftigen, manche nicht und müssen betreut werden“, schreibt Walkembach und endet mit dem Appell, „wir würden uns wünschen, dass auch wir gesehen werden!“

Sie gehört zu den sogenannten Selbstfahrern, den Menschen mit Behinderung, die selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln ihren Arbeitsplatz in einem der Werke erreichen können. Somit wird sie auch zu der ersten Gruppe gehören, die voraussichtlich ab etwa Mitte Mai mit einer Wiederaufnahme ihrer Arbeit rechnen kann. „Wir hoffen, die Werkstätten dann wieder sukzessive für alle zu öffnen“, so Torres-Ehm.

Für Walkembach, die im Garten- und Landschaftsbau des Dransdorfer Werks arbeitet, würde es bedeuten, in ihrer festen Arbeitsgruppe wieder Unkraut jäten und Rasen mähen zu dürfen. Sie freut sich darauf.

Denn mit dem Wegfall ihrer täglichen Routine, die morgens kurz nach 6.30 Uhr mit dem Besteigen eines Busses beginnt und erst gegen halb sechs am Abend mit der Rückkehr in die eigene Wohnung in Bad Honnef endet, erhielt nicht nur ihr Alltag seine Struktur, sondern bedeutete auch das Treffen von Freunden, Arbeitskollegen und Betreuern.

„Ohne Mitarbeiter fühlt sich die Werkstatt manchmal wie eine Geisterstadt an. Die Räume sind kalt und leer. Es fehlt das alltägliche Gewusel und das Lachen“, sagt Gruppenleiter Tim Kastner. Er ist einer der rund 450 Personaler genannten Angestellten der BW, die jetzt dafür sorgen, dass der Betrieb weiterläuft. „Da sich die Aufträge durch die Corona-Krise verringert haben“, so Bereichsleiter Ralf Gräfen, „gelingt es uns auch, mit weniger Arbeitskräften das Pensum zu bewältigen.“ BW-Pressesprecherin Tanja Laidig, die somit zurzeit Erfahrung in der Beklebung und Konfektionierung von Keksdosen macht, kann dem „Seitenwechsel“ genauso viel abgewinnen wie Torres-Ehm, die zusammenfasst, dass „viel positives Potenzial in dieser schwierigen Zeit steckt.“ Oliver Conrady, der vor der Corona-bedingten Schließung als Betreuer Schwerstbehinderte anleitete und nun Hülsen auf Kabelenden presst, bestätigt, dass es eine gute Erfahrung sei, nun selber zu erleben, was die Mitarbeiter jeden Tag leisteten. „Respekt, was die alles können.“

„In meiner fast 30-jährigen Tätigkeit als Gruppenleiterin in den Bonner Werkstätten ist mir bewusst geworden, dass eine Werkstatt ohne Mitarbeitende genauso ist wie ein Himmel ohne Sterne. Ich freue mich schon sehr auf den Zeitpunkt, an dem alle unsere Mitarbeitenden zurück in die Werkstatt kommen dürfen“, sagt Gabi Biermann und stellt über die Menschen mit Behinderung fest, dass sie das Leben so nehmen, wie es gerade ist, „wir können viel von ihnen lernen.“

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