Urteil im Fall Baby Paul Bewährungsstrafe für Mutter

BONN · Richter gehen davon aus, dass bei der 21-Jährigen "Endpanik" herrschte, als sie das Neugeborene in einem Gebüsch ablegte.

Sichtlich nervös und angespannt erwartete Baby Pauls Mutter am Montag im größten und fast voll besetzten Verhandlungssaal des Bonner Landgerichts die Urteilsverkündung: Wegen versuchten Totschlags im minder schweren Fall und gefährlicher Körperverletzung wurde die 21 Jahre alte Sportstudentin zu einer Bewährungsstrafe von 21 Monaten verurteilt.

Richtig erleichtert wirkte die junge Frau, die ihr Neugeborenes kurz nach der Geburt in einem Gebüsch in Beuel abgelegt hatte, allerdings nicht. Sie weiß wohl, dass sie schwere Schuld auf sich geladen hat und noch ein langer und harter Weg vor ihr liegen wird. Die Richter der Schwurgerichtskammer legten die Bewährungszeit, also den Zeitraum, in dem sich die Verurteilte nichts mehr zuschulden lassen kommen darf, auf vier Jahre fest. Zudem muss die 21-Jährige 200 Sozialstunden in einer Behindertenwerkstatt ableisten.

Die wichtigste Bewährungsauflage dürfte jedoch die Anordnung des Gerichts sein, dass die junge Frau eine Psychotherapie absolvieren muss. Diese darf laut Urteil nicht beendet werden, bevor eine gerichtlich beauftragte psychiatrische Sachverständige die junge Frau noch einmal untersucht hat und die Richter dann anhand des Gutachtens entscheiden, ob die Therapie fortgesetzt werden muss.

Die von der Gutachterin attestierten Reifedefizite waren in den Augen der Richter schon die "treibende Kraft" für die Verheimlichung der Schwangerschaft, sagte der Kammervorsitzende Josef Janßen. Laut Urteil hat die als "everybodys Darling" beschriebene 21-Jährige "das Spielfeld der Pubertät nicht ernsthaft betreten". Sie habe nie gelernt, ihre eigenen Interessen zu vertreten. "Das Ende vom Lied ist bekannt: Sie hat den Konflikt gemieden und wollte es allen Recht machen", sagte Janßen. Ein zweiter wichtiger Punkt sei die mangelnde Sexualaufklärung gewesen. "Dass sie bis heute nicht beim Frauenarzt gewesen ist, sagt doch alles", so der Kammervorsitzende.

Fest steht für die Richter, dass die junge Frau nach der heimlichen Geburt im Haus der Mutter am Abend des 28. Juni 2014 nicht wollte, dass der Junge stirbt. Erst gegen Ende der etwa zweistündigen Fahrradtour, auf der die 21-Jährige einen passenden Ablageort gesucht hatte, sei es zu einem "Gefühlschaos" gekommen. "Erst jetzt stellte sie ihre Interessen, aus der ganzen Sache unerkannt herauszukommen, über das Leben des Neugeborenen", sagte Janßen.

Der Grund war die von der Studentin erwartete Rückkehr ihrer Mutter, die den Tag auf einer Familienfeier verbracht hatte. Durch das Ablegen des Rucksacks mit dem Baby in einem Gebüsch nahm die junge Frau laut Urteil in einer Situation der "Endpanik" den Tod des Kindes billigend in Kauf. Dass drei Jugendliche in jener Nacht wegen einer geschlossenen Bahnschranke den abgelegenen Weg nahmen und das Wimmern des Babys hörten, war laut dem Vorsitzenden "eine Fügung".

Dass der 33 Jahre alte Kindsvater nicht mit seinem vom Jugendamt bei einer Pflegefamilie untergebrachten achteinhalb Monate alten Sohn zusammen leben könne, darf laut Urteil nicht der Angeklagten angelastet werden. "Bei dem, was man hier gehört hat, versteht man nicht, was das Jugendamt da macht", sagte Janßen. Der Vater wollte das Kind nach eigenen Angaben zu sich nehmen und mit Hilfe seiner Eltern aufziehen. Das Jugendamt scheint hingegen eine Adoption durch die Pflegefamilie vorzubereiten. "Warum es dem Kindeswohl entsprechen soll, wenn Baby Paul in einer Pflegefamilie ist und der Vater es alle drei Wochen sieht? Das versteht doch kein Mensch mehr", sagte Janßen.

Mit tränengeröteten Augen verließ die 21-Jährige das Gericht nach der Urteilsverkündung durch einen Geheimgang. Begleitet wurde sie - wie an allen Prozesstagen zuvor - von einem Notfallseelsorger. Ihre getrennt lebenden Eltern sowie die ältere Schwester, bei der die Studentin derzeit wohnt, waren hingegen nur bei ihren Aussagen als Zeugen im Gerichtssaal.

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