Zeitzeugen Bis heute hat sie Angst vor dem Keller

BONN · Dieses Geräusch wird Hedwig Schmidt-Leidig nie vergessen - "als der Luftschutzwart die Eisentür unter unserer Beueler Schule schloss", erzählt die heute 77-Jährige mit einem Schaudern. Dann ging das Licht aus. Und dann fielen die Bomben.

Blick auf das zerstörte Beuel, das damals noch eine eigenständige Gemeinde im Landkreis Bonn war.

Foto: GA-Archiv

Es ist der 18. Oktober 1944. Die Zweitklässlerin ist mit ihrer ganzen Schule beim ersten Alarm "geordnet" in den Luftschutzkeller direkt am Bahnhof gezogen. Auch die Nachbarschaft des Bahnhofsviertels hat sich unter die Erde geflüchtet. "Und dann brach Panik aus, und zwar bei den Erwachsenen", sagt Schmidt-Leidig. Es habe anhaltend so furchtbar geknallt, dass alle glaubten, die mehrstöckige Schule sei direkt getroffen worden. Und gleich werde es auch den Keller erwischen. Tragische Szenen hätten sich unter den Erwachsenen abgespielt. Niemand habe mehr Rücksicht auf die vielen kleinen Kinder genommen.

Glücklicherweise seien aber auch Soldaten auf Genesungsurlaub mit im Bunker gewesen. "Die haben wirklich verhindert, dass die anderen Erwachsenen uns kleine Dötzchen im Luftschutzkeller totgetreten haben." Hedwig Schmidt-Leidig seufzt. Es sei so grauenhaft gewesen. "Ich gehe heute noch schlecht in den Keller", sagt sie und schweigt. Der fürchterliche Lärm direkt oberhalb habe gar nicht mehr aufgehört. "Immer wieder hat es geknallt. Und erst später, als alles vorbei war, haben wir begriffen, warum."

Die Soldaten und der Luftschutzwart hätten sich nach einiger Zeit aus dem Keller herausgetraut und dann den unten Ausharrenden berichtet: Das Schulgebäude direkt über dem Keller habe noch gestanden, zwar ohne Fenster, aber durchaus intakt. Woher war der infernalische Lärm also gekommen? Was war am Beueler Bahnhof getroffen worden?

"Auf den Bahngleisen direkt hinter der Schule hatte ein Munitionszug geparkt. Ich kann es nicht beschwören: Aber ich habe damals 43 Waggons gezählt", erzählt Hedwig Schmidt-Leidig lebhaft. In einen war wohl beim Luftangriff der britischen Flieger eine Brandbombe geflogen, und dann sei ein Waggon nach dem anderen explodiert. "Und genau das hatten wir unten die ganze Zeit gehört."

Weitgehend unverletzt hätten Schüler und Nachbarn danach den Luftschutzkeller verlassen. "Und was glauben Sie, was ich in den 1980er-Jahren erfuhr?" Jetzt lächelt die 77-Jährige. Ihrer alten Kindergärtnerin, die sie da nach vielen Jahrzehnten beim Heimatverein wiedertraf, habe sie ihre Geschichte vom Bombardement erzählt. Da habe die sofort genickt und alle Angaben bestätigt. Ihr Bruder sei am Schreckenstag mit in diesem Beueler Keller gewesen, als verwundeter Soldat auf Urlaub. "Der Bruder meiner Kindergärtnerin war also einer von denen gewesen, die uns Schülern damals umsichtig das Leben gerettet haben."

Verstört sei sie damals sofort nach Hause gelaufen. Die Mutter, die kleine Schwester, sie waren nicht da. Denn beide hätten an diesem schwarzen Morgen in einem Lebensmittelgeschäft eine Sonderzuteilung für die Familie abholen wollen. Das Hotel, das an der Stelle eines heutigen Lebensmittelgeschäftes stand, sei regelrecht fortgefegt worden. Durch die Druckwelle seien zahlreiche Beueler gestorben.

"Als es knallte, sind meine Mutter und meine Schwester nicht mehr ganz in den Bunker am Rathaus gekommen. Die Leute haben meine Mutter schwer verletzt hineingezogen." Wie genau das mit der kleinen Schwester gewesen sei, weiß Hedwig Schmidt-Leidig nicht mehr. "Hauptsache, sie beide haben das überlebt."

Wenn Sie Fotos aus dieser Zeit besitzen oder Ihre Erlebnisse schildern möchten, senden Sie uns eine E-Mail an bonn@ga.de oder schreiben Sie einen Brief an General-Anzeiger 53100 Bonn. Stichwort: "Zeitzeugen"

18. Oktober 1944

Im Zweiten Weltkrieg war Bonn bis zum 18. Oktober 1944 noch relativ unzerstört geblieben. Doch an diesem Tag fiel die ganze Innenstadt durch 130 britische Bomber und 220 Begleitjäger in Schutt und Asche. Nach nur zehn Minuten Beschuss waren mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen. Ein Feuersturm fegte durch die Altstadt, in der Innenstadt war kaum ein Gebäude verschont geblieben. Universität, Rathaus, Krankenhäuser, Schulen und Kirchen waren zerstört. Tragödien spielten sich auch in vielen Luftschutzräumen ab.