Keller wurde geheimgehalten Blick in den Bunker des Kanzlerbungalows in Bonn

Bonn · Der Historiker Jörg Diester hat ein Buch über die Schutzräume am Palais Schaumburg geschrieben. Bei seinen Recherchen durfte er auch in Räume, die bei Führungen sonst nicht gezeigt werden.

Es gibt Orte, die haben schon so viele Anekdoten hervorgebracht, dass sich in unbemerkten Zwischenräumen offenbar doch das eine oder andere Geheimnis verstecken konnte. Dem Kanzlerbungalow im Park des Palais Schaumburg hat Jörg Diester über Monate eine bislang weitgehend unbekannte Facette entlockt. Es geht um die Schutzräume im Keller des vom Architekten Sep Ruf entworfenen und vom Bad Godesberger Bauunternehmen Blatzheim errichteten Gebäudes.

Der Keller ist in der Regel nämlich nicht Gegenstand der regelmäßigen Führungen, bei denen sich Besucher mitunter fragen, wie die Eheleute Schmidt und Kohl denn wohl mit den Gegebenheiten einer zwei Quadratmeter großen Teeküche zu leben lernten; von der „Größe“ ihres Schlafzimmers ganz zu schweigen. Nachkriegsdeutsche Bescheidenheit geriet bekanntlich an jenem späten Juniabend des Jahres 1989 in den Hintergrund, an dem Helmut Kohl seinen Gast Michail Gorbatschow durch den Park zur Brüstung führte, um den sowjetischen Staatschef mit dem Verweis auf den unaufhaltsamen „Strom der Geschichte“ für die Wiedervereinigung Deutschlands einzunehmen.

Der Rest der Geschichte ist bekannt, und den Schutzraum für die Bundeskanzler ereilte das Schicksal all der anderen Schutzräume, die einst in warnender Voraussicht einer militärischen Konfrontation zwischen Ost und West in Betrieb genommen worden waren: Er geriet in Vergessenheit.

Der Kanzlerbungalow in Bonn
22 Bilder

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Keller wurde geheimgehalten

Dass es nun Jörg Diester war, der den Nebel lichtete, ist kein Zufall. Denn die regierungsamtliche „Unterwelt“ ist seit Jahren das Element des Rechercheurs. 230 Seiten umfasst sein Buch „Geheimakte Kanzlerbungalow“. Packend und ohne dabei in unangenehmer Weise populärwissenschaftlich zu wirken, steigt Diester buchstäblich in die Materie ein: „20. Februar 2014, 15.44 Uhr. Nach 50 Jahren geht erstmals das Licht einiger Taschenlampen an im versiegelten Notausgang des Bungalows“, heißt es zu Beginn – womit das eigentlich Bemerkenswerte auf den Punkt gebracht ist: dass hier Hundertschaften Journalisten, Fernsehteams und Fotografen ein- und ausgingen, ohne dass das wohlgehütete Staatsgeheimnis ans Tageslicht gelangte.

Aber auch außerhalb der dicken Mauern hat Diester zahllose Anekdoten, Beobachtungen und Gegebenheiten aufgelesen. Von den Diskussionen über die Kosten für das Wohnhaus und den zwischenzeitlichen Baustopp über die schlechte Stimmung während des Richtfests bis hin zum Umstand, dass sich der WDR in einer Nische des Bunkers ein winziges Notstudio einrichtete. Es befindet sich noch heute dort.

„Kanzler-Bungalow mit Swimmingpool und Rheinblick“ titelt der General-Anzeiger am 14. November 1963. Mit jenem Bericht, so Jörg Diester, habe diese Zeitung „all die vielen bislang so sorgsam gehüteten Details zur Baumaßnahme ausgebreitet“. Diester: „Offensichtlich bestens unterrichtet, geht das Blatt auf Lage, Form, Größe, Aufteilung, Gestaltung und auch die Kosten ein. Was allerdings im General-Anzeiger mit keinem Wort erwähnt wird, ist der Keller.“ Für dessen Geheimhaltung werden im Kanzleramt noch während der Bauphase schwerste Klimmzüge unternommen, wie Diester unterhaltsam beschreibt. Auch ein Schlenker zum vermeintlichen „Super-Tunnel“, der Legenden zufolge das Bonner Regierungsviertel mit dem Bunkersystem an der Ahr verbunden haben soll, fehlt in seinem Buch nicht.

Seit 1998 wird Geschichte aufgearbeitet

Der Bunker unter dem Kanzlerbungalow geistert jahrelang als mysteriöses Gespenst durch die Medien. Er sei begonnen, aber nie zu Ende gebaut worden, wird gemunkelt. Richtig sei hingegen, dass lediglich die Minimalvariante der ursprünglichen Pläne in die Tat umgesetzt worden sei, erklärt Diester. So wurde der Schutzraum nie vollständig ausgerüstet. Als Ludwig Erhard am 12. November 1964 einzog, wurde der einzige Zugang zum Keller verschlossen. Über ein halbes Jahrhundert seien Rufs Pläne und Räume des Untergeschosses der Öffentlichkeit völlig unbekannt geblieben, so Diester. Stattdessen ließ sich Helmut Schmidt im Keller eine Sauna einbauen. Und das Haus der Geschichte nutzte Jahrzehnte später einen Vorraum als Stuhllager.

„Der Bungalow war als Wohn- und Arbeitsbereich des Kanzlers bekannt und musste als bevorzugtes Ziel der RAF-Bedrohung definiert werden. Nachträglich wurde zum Rhein hin die Panzerglasscheibe installiert. Doch sein Gesamterscheinungsbild darf – gelinde formuliert – als Albtraum in einem Sicherheitskonzept beschrieben werden“, erklärt Diester. Den über 400 Quadratmeter großen Bunker mit seinen Seitentunneln, über den es bislang keine Fotos und Hintergrundinformationen gab, nahm er sich 2014 vor. Im Alltag leitet er die Pressestelle der Handwerkskammer Koblenz. Seine Freizeit gilt der bundesrepublikanischen Unterwelt.

Seit 1998 arbeitet Diester die Geschichte des Regierungsbunkers auf, hat dazu zwei Bücher veröffentlicht und das Konzept für Besucherführungen entwickelt. Seit 2008 arbeitet er dort als Gästeführer. „Seit 2008 bin ich Stammgast im Bundesarchiv und arbeite mich durch das 'Sicherheitskonzept der Bundesregierung in Gefahrenlagen' von 1949 bis heute“, erzählt er. In den vergangenen zwei Jahren stand dann das Thema Kanzlerbungalow auf seiner Agenda.

"Altersruhesitz" für Konrad Adenauer

Auf das Bauwerk stieß er angesichts der Lüftungsschächte, die unter den Blumenkübeln zu sehen waren. Die Kellergeschosse im benachbarten Palais Schaumburg, im Kanzleramts-Neubau und auf dem Petersberg bezog er in seine Recherchen gleich ein und wertete Baupläne, Gesprächsprotokolle und andere Dokumente aus.

Allerdings ziehen die reich illustrierten Seiten thematische Kreise, die weit über die prominente Liegenschaft an der Bonner Adenauerallee hinausgehen. So erfährt der Leser, dass auch die Übergangslösung im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude wie auch der Neubau des Kanzleramtes im Spreebogen über Schutzräume verfügen. „Ein kantiges Thema, über das nicht gerne gesprochen wird“, wie der Autor nüchtern feststellt. Das trifft – aus anderen Gründen – auch für ein schummriges Anwesen nahe dem Eifelörtchen Duppach zu, das dort seit Mitte der 1950er Jahre konsequent von der Natur zurückerobert wird.

Es handelt sich um einen „Altersruhesitz“, eigens erdacht und erbaut für Konrad Adenauer – und das übrigens ohne Schutzraumtechnik. Der Kanzler zog bekanntlich nicht nur einen längeren Verbleib im Amt, sondern auch seine gewohnte Umgebung in Rhöndorf vor. Neugierde auf die verfallende Waldvilla in der Eifel weckt Diester in einem eigenen Kapitel – und befriedigt sie zugleich mit zahlreichen Bildern.

Jörg Diester: Geheimakte Kanzlerbungalow. Bunker unter Regierungsbauten in Bonn und Berlin. 232 Seiten. 29 Euro. Verlagsanstalt Handwerk GmbH, ISBN 978-3-86950-427-8. geheimakte-kanzlerbungalow.de

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