Störung der Totenruhe Angeklagter schweigt im Prozess um abgetrennten Kopf zu den Vorwürfen

Bonn · Passanten machten im Juni in Bonn einen grausamen Fund: Vor dem Eingang des Landgerichts lag ein menschlicher Kopf. Der Angeklagte schwieg beim Prozessbeginn am Montag

Der Angeklagte mit seiner Verteidigerin.

Der Angeklagte mit seiner Verteidigerin.

Foto: Peter Kölschbach

Die Frau ist immer noch geschockt: Am Dienstag, 28. Juni, hat sie vor dem Bonner Landgericht den abgetrennten Kopf einer Leiche gefunden, und heute, fast ein halbes Jahr später, lässt sie das grausige Bild nicht los. Die 44-Jährige war an jenem warmen Sommertag mit ihrem Sohn nach einem Arztbesuch auf dem Heimweg, als der 16-Jährige in der Wilhelmstraße seiner Mutter zurief: „Mama, Mama, da liegt ein Kopf.“ Sie glaubte ihm nicht: „Damit macht man keinen Spaß“, erwiderte sie und wollte weitergehen. Aber dann sah sie, dass ihr Sohn recht hatte. „Danach war ich fix und fertig“.

Mutter und Sohn wurden am Montag als Zeugen in einem spektakulären Prozess vor der 11. Großen Strafkammer des Landgerichts gehört, vor dessen Tür das Leichenteil abgelegt worden war. Wegen Störung der Totenruhe ist ein 39-jähriger Obdachloser angeklagt, der nach den Ermittlungen der Polizei den Kopf vom Körper seines an einer Krankheit verstorbenen Kumpels (44) abgeschnitten und in einer großen Tasche vom Alten Zoll durch die Innenstadt bis zur Wilhelmstraße 21 getragen, dort ausgepackt und vor dem Portal des Gerichtsgebäudes deponiert hatte.

Danach nahm er die Einkaufstüte, ging auf die andere Straßenseite, setzte sich dort auf die Treppenstufen eines Hauseingangs, stützte sein Kinn auf seine Hände und schaute auf die Reste eines menschlichen Körpers. „Es sah aus, als lächele er oder führe Selbstgespräche“, berichtete eine weitere Zeugin (39). Sie kam von der Arbeit, sah „was Komisches“ vor dem Gerichtsgebäude, dachte an eine Puppe, die aber ein echter Kopf war, „und dann konnte ich nicht mehr laufen und musste mich hinsetzen“.

Inzwischen hatten andere Passanten die Polizei alarmiert, die gegen 17.50 Uhr eintraf. Als die beiden Polizeikommissare aus dem Streifenwagen stiegen, trat der Obdachlose mit der leeren Tasche in der Hand aus dem Hauseingang und kam auf die Beamten zu: „Ich habe den Kopf dort abgelegt“, erklärte er. Das Einsatzprotokoll vermerkt weiter, dass ihm sofort Handschellen angelegt worden seien. An Kleidung und Haut entdeckten die Polizisten keine Blutspuren, wohl aber einen kleinen dunklen Fleck auf seinem rechten Schlappen.

Angeklagter schweigt weiterhin

Diese offenen Sandalen hatte der Mann auch am Montag an, als er in den Saal S 0.11 geführt wurde. Dazu trug er braune Socken, eine abgewetzte kurze Hose, ein dünnes, graues T-Shirt und eine blaue Baseballkappe, die sein Gesicht ebenso verschattete wie der dunkle Bart. Zu den Anklagevorwürfen wollte er auch zu Prozessbeginn nichts sagen, er werde sich schweigend verteidigen, so seine Anwältin Anna Carlius.

Viel ist über den Mann nicht bekannt. In den Akten von Polizei und Justiz wird er unter mehreren Aliasnamen und mit verschiedenen Geburtstagen geführt. Er wurde 1983 in Casablanca geboren, wuchs in einer Wellblechhütte bei seiner Stiefmutter auf, haute bald ab und lebte fortan auf der Straße. Mit zwölf Jahren wanderte er nach Spanien, mit 14 nach Frankreich, anderthalb Jahre später wurde er in Hürth wegen illegaler Einreise festgenommen. Es folgte ein kurzer Heimaufenthalt, danach landete er wieder auf der Straße.

Irgendwann führte ihn sein Weg zum Alten Zoll nach Bonn, wo der Angeklagte sich vor ein oder zwei Jahren mit einem anderen Obdachlosen anfreundete. Die beiden bildeten „eine Zweckgemeinschaft, damit keiner allein ist“, sagte einer der Wirte (41) des Biergartens. Er kannte den 44-jährigen Nichtsesshaften, der im Juni an einer schweren Krankheit starb, seit mehr als fünf Jahren. Den Jüngeren – nunmehr angeklagt – seit dem vergangenen Sommer.

Die zwei campierten nachts unweit eines Schuppens, tagsüber gingen sie manchmal herüber in den Hofgarten, berichtete der Wirt. In den Tagen vor der Tat sah er den 44-Jährigen zum letzten Mal. Am Morgen des 28. Juni lief der 39-Jährige in einer blauen Daunenjacke und mit seiner Kappe allein Richtung Hofgarten, der Ältere lag scheinbar in seinem Schlafsack, „als ob er schlafe“. Wahrscheinlich war er da schon tot. Nach seiner Festnahme führte der Angeklagte die Polizei zur Leiche. Warum er den Kopf abtrennte, ist weiterhin nicht klar.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Viele Eltern sind darauf angewiesen, ihre
Nicht familienfreundlich
Kommentar zu Bonner OGS-GebührenNicht familienfreundlich