Freiheitsstrafe für 39-Jährigen Trotz des Urteils bleibt der Fall des abgetrennten Kopfes rätselhaft

Bonn · Der Fall erregte im Sommer bundesweit Aufsehen: Ein Mann hat den abgetrennten Kopf einer Leiche vor dem Bonner Landgericht abgelegt. Nun ist der 39-Jährige zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Die Polizei sperrte am Freitag den Bereich vor dem Bonner Landgericht ab.

Die Polizei sperrte am Freitag den Bereich vor dem Bonner Landgericht ab.

Foto: dpa/Thomas Banneyer

An diesem Fall bleibt vieles rätselhaft: Warum trägt ein Mann den abgetrennten Kopf seines toten Freundes in einer grünen Tüte durch die Bonner Innenstadt und legt ihn dann vor dem Portal des Landgerichts ab? Und: Hat der 39-Jährige den Teil der Leichen wirklich abgeschnitten oder war es ein anderer? Fragen, welche die elfte Große Strafkammer des Bonner Landgerichts letztlich nicht klären konnte, weil der wegen Störung der Totenruhe angeklagte Obdachlose in den vier Verhandlungstagen nichts gesagt hatte. Auch am Freitag blickte er scheinbar ungerührt stur geradeaus, als die Vorsitzende Richterin Isabel Köhne das Urteil verkündete – anderthalb Jahre Haft ohne Bewährung – und in der Begründung die Erkenntnisse vortrug, die das Gericht über den Mann gewonnen hatte.

Er wurde in Casablanca (Marokko) geboren, riss mit sieben Jahren von zu Hause aus und lebte fortan zumeist auf der Straße, zunächst in Spanien, dann in Frankreich und seit 24 Jahren in Deutschland. 15 Jahre davon hat er in Gefängnissen verbracht, weil er mit Straftaten seine Drogensucht finanzierte. Das Landgericht Köln hatte ihn zuletzt zu fast drei Jahren Haft wegen Diebstahls mit Waffen verurteilt. Die Strafe verbüßte er bis Weihnachten 2021 und wurde mit der Auflage entlassen, sich nicht mehr an Orten aufzuhalten, an denen gedealt oder Alkohol getrunken werde.

Das war ihm offenbar egal, denn er fuhr nach Bonn und verkehrte bald wieder im gewohnten Obdachlosenmilieu und in der Rauschgiftszene. Er tat sich mit einem Kumpel zusammen, beide schliefen an einer versteckten Mauerecke unweit des Biergartens am Alten Zoll. Ab und zu gingen sie zum Verein für Gefährdetenhilfe (VfG), wo sie Kleidung oder medizinische Versorgung erbaten.

44-Jähriger litt an Tuberkulose

Um den 22. Juni 2022 aber wurde der Kumpel immer schwächer, er verließ kaum noch sein Nachtlager. Der 44-Jährige litt an Tuberkulose, an der er am 27. oder 28. Juni starb. Danach wurde ihm sein Kopf oberhalb des vierten Halswirbels abgeschnitten. Richterin Köhne: „Wir sind nicht sicher, ob es der Angeklagte war, obwohl vieles dafür spricht.“

Sicher ist hingegen: Der Angeklagte ging gegen 15.45 Uhr, bekleidet mit schwarzer Hose, T-Shirt und Schlappen vom Alten Zoll durch die Straße Am Neutor zum Martinsplatz, einen Rucksack umgeschnallt und einen Umhängebeutel über die Schulter gehängt. Lag darin der Kopf? Bilder der Überwachungsanlage einer Boutique und auch des Landgerichts zeigen ihn später, wie er eine grüne Tüte trägt und über die Oxfordstraße zum Landgericht spaziert.

Gegen 17 Uhr, geschätzte 41 Stunden nach dem Tod seines Kumpels, legte er dessen Kopf vor der dritten Tür des schon verschlossenen Gebäudes ab, das Gesicht zur Wilhelmstraße gerichtet. Danach marschierte er kurz in Richtung Wilhelmsplatz, kehrte zurück und setzte sich auf die Treppe des Hauses Nummer 24, direkt gegenüber vom Leichenteil. Gegen 17.39 Uhr wurden Passanten aufmerksam, riefen schockiert die Polizei. Als der erste Streifenwagen gegen 17.47 Uhr vorfuhr, stand der 39-Jährige auf und sprach den Einsatzleiter an: „Ich habe den Kopf dort abgelegt.“ Auf die Bitte des Beamten, er möge ihm mitteilen, wo sich der Torso befinde, damit die Leiche nicht von Kindern entdeckt werde, brachte er die Polizei zum Alten Zoll. Dort lag der Tote noch in seinem Schlafsack.

Kein Schneidewerkzeug gefunden

Die Obduktion am folgenden Tag ergab, dass der 44-Jährige an seiner Krankheit gestorben war und der Kopf erst nach dem Tod abgetrennt wurde. Auf einem Schuh des Festgenommenen wurde ein winziger Blutspritzer gefunden, das reichte dem Gericht aber nicht als Beweis, dass er der Täter ist, zumal auch kein Schneidewerkzeug aufgespürt werden konnte. Köhne: „Im Zweifel für den Angeklagten.“ Und das Motiv? „Nicht feststellbar“, so die Kammer. Die ganze Geschichte sei „bizarr“.

Der Paragraf 168,1 des Strafgesetzbuches sieht wegen Störung der Totenruhe und wegen „beschimpfenden Unfugs“ mit dem Körper eines Verstorbenen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Staatsanwalt Florian Geßler hatte zweieinhalb Jahre gefordert, auch weil das Pietätsgefühl von Passanten verletzt worden sei. Verteidigerin Anna Carlius hatte auf Freispruch plädiert. Am Ende gab es die anderthalb Jahre Haft ohne Bewährung, weil dem Angeklagten eine schlechte Sozialprognose attestiert wurde.

Nicht nur für den Staatsanwalt überraschend hob das Gericht abschließend den am 29. Juni verkündeten Haftbefehl wieder auf, weil er nicht verhältnismäßig sei. Er war unter anderem damit begründet worden, dass der 39-Jährige keinen festen Wohnsitz habe. Den hat er allerdings immer noch nicht. Offen bleibt deshalb die Frage, wie ihm die Ladung zum Haftantritt, dessen Termin noch nicht feststeht, zugestellt werden kann. Justizwachtmeister fuhren ihn zum Gefängnis nach Köln, wo er seine Habseligkeiten zusammenpackte und dann gehen konnte.

(dpa)
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