Corona in Bonn These vom diffusen Infektionsgeschehen ist vom Tisch

Bonn · Lange Zeit war sie schmerzlich vermisst worden, jetzt liegt sie endlich vor: die mikrogeographische Analyse der Corona-Infektion in Bonn. Neben durchaus erwartbaren Erkenntnissen gibt es auch einige Überraschungen.

 Dichte Besiedelung und geringes Einkommensniveau sind Parameter, die mit einem hohen Infektionsrisiko korrelieren, wie eine Studie für Bonn jetzt bestätigt hat.

Dichte Besiedelung und geringes Einkommensniveau sind Parameter, die mit einem hohen Infektionsrisiko korrelieren, wie eine Studie für Bonn jetzt bestätigt hat.

Foto: Meike Böschemeyer

Gezielte Aufklärungskampagnen für einzelne Wohnheime oder Bevölkerungsgruppen, idealerweise auf Sprache, Alter oder andere Merkmale abgestimmt, und darauf aufsetzend konzentrierte mobile Impfangebote. Auf dieses Rezept gegen die Ausbreitung des Coronavirus will die Stadt Bonn nun umso konsequenter setzen, nachdem sie jenen Weg zunächst nur zögerlich gegangen war. Orientieren kann sie sich dabei seit dieser Woche an einer empirisch unterfütterten Richtschnur.

Als Ergebnis einer Kooperation der Stadt mit dem Bonner Forschungsinstitut Infas 360, der Universität und dem Universitätsklinikum liegt eine mikrogeographische Analyse für Bonn vor, die sowohl eine Auswertung des bisherigen Infektionsgeschehens im Stadtgebiet ermöglicht als auch eine Grundlage für die effektive Bekämpfung des Virus in der Zukunft legen soll. Und nicht nur das: Auch soll auf der Datengrundlage das künftige Infektionsgeschehen besser vorhersehbar werden.

Die „in Deutschland einzigartige Kooperation“ mache Bonn zur „Modellstadt“ für mikrogeographische Corona-Analysen, freute sich Oberbürgermeisterin Katja Dörner, die allen Beteiligten für das vorliegende Ergebnis dankte. Wie berichtet, hatte sich die Stadt im Frühjahr kritischen Fragen ausgesetzt gesehen, als sie im Gegensatz etwa zu Köln und Bremen erst nach geraumer Zeit mit detaillierten Daten zur Inzidenz aufwarten konnte, die dann jedoch lediglich auf die Postleitzahlen im Stadtgebiet aufgeschlüsselt waren.

Haushaltsgröße, Wohnorte und Berufsgruppen untersucht

Das ist nun anders. Anhand von Adressdaten ließen sich auf Grundlage von 14.500 anonymisierten Datensätzen nun Parameter wie Haushaltsstruktur und – soweit dies möglich war – Berufsgruppen in die Betrachtung einbeziehen. „Für alle weiteren Maßnahmen zur Eindämmung wird die Studie sehr hilfreich sein“, ist Michael Herter von Infas 360 sicher. „Dies ist ein wichtiger Ansatz für die künftige Prävention und Gesundheitsförderung“, sagte auch Susanne Engels, Leiterin des Bonner Gesundheitsamtes.

Eine bisherige Hypothese, so die Beteiligten, habe sich in der Untersuchung klar bestätigt: Wie auch in anderen Städten sind es auch in Bonn sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die stärker als andere von Infektionen betroffen sind. Geringe Einkommensklassen, dicht besiedelte Räume und hoher Migrationsanteil – dies sind demnach auch in der Bundesstadt signifikante Merkmale von vulnerablen Gruppen, in denen das Virus vergleichsweise leichtes Spiel hat. Tiefrot stechen auch in der jüngsten Präsentation Stadtteile wie Tannenbusch, Dransdorf oder die Nordstadt aus dem Stadtplan heraus. Das war übrigens in der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 noch anders gewesen, als die Pandemie zunächst in erster Linie Geschäfts- und Urlaubsreisende und damit besser situierte Viertel traf und noch kein Impfstoff entwickelt war.

Infektionsrisiko statistisch vorhersehbar

Nun aber falle auf, „dass die Indexfälle sich in ganz bestimmten Wohnblöcken, Gebäuden und Haushalten so sehr häufen, dass sich ein Infektionsrisiko für jede Adresse der Stadt statistisch vorhersagen lässt“, führte Barbara Wawrzyniak von Infas 360 aus. So wiesen Adressen mit fünf Haushalten ein doppelt so hohes Infektionsrisiko aus wie Adressen mit weniger Haushalten. Auch hätten Gebäuden mit niedrigen Kaufpreisen ein um 70 Prozent höheres Risiko als Gebäude mit hohen Kaufpreisen. Auch seien größere Haushalte stärker gefährdet, wobei das Infektionsrisiko pro Person mit wachsender Haushaltsgröße sinke.

Die ursprüngliche These vom „diffusen Infektionsgeschehen“, auf das auch die Stadtverwaltung lange Zeit rekurriert hatte, ist aus Sicht von Nico Mutters, Direktor des Hygiene-Institut der Uniklinik, mit der neuen Datenlage zu sozialen Milieus und Wohnorten vom Tisch. Zum Glück, wie er sagt: „Denn ein diffuses Geschehen hätte auch vielmehr zu Übertragungen im öffentlichen Nahverkehr geführt, das in dieser Form nicht zu sehen war. Insofern können wir im Gegensatz zu einem diffusen Geschehen viel gezielter vorgehen“, so Mutters.

Allerdings verwies Barbara Wawrzyniak auch auf „gravierende Datenlücken“, die man anhand der Wohnadressen bei der Aufbereitung nur teilweise hätten geschlossen werden können: „Um umfassende und valide Erkenntnisse zu erlangen, ist eine generelle Verbesserung der Datenlage unabdingbar“, gab sie zu verstehen. Auch über mikrogeographische oder zumindest auf Stadtteile bezogene Daten zur Impfquote verfügt die Stadt Bonn nicht.

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