Bonner Bundestagskandidat Ilja Bergen im Porträt Der Richtungswechsel beginnt am Frankenbad

Bonn · Ilja Bergen ist bei der Bundestagswahl am 26.September Direktkandidat der Linken in Bonn. Der General-Anzeiger besuchte ihn an seinem Arbeitsplatz in der Kreisgeschäftsstelle der Partei.

 Lächeln mit Sahra: Ilja Bergen packt in der Geschäftsstelle der Linken Plakate mit der NRW-Spitzenkandidatin seiner Partei aus.

Lächeln mit Sahra: Ilja Bergen packt in der Geschäftsstelle der Linken Plakate mit der NRW-Spitzenkandidatin seiner Partei aus.

Foto: Benjamin Westhoff

Politik ist bekanntlich Handarbeit. Das bekommt Ilja Bergen auch an diesem Tag wieder zu spüren. Mehrere Paletten mit Kartons sind in der Geschäftsstelle der Linken in Bonn angekommen und müssen ausgepackt werden. Der Inhalt: Plakate, auf denen Sahra Wagenknecht ihrem Wahlkampfauftritt am 23. September entgegenlächelt. Und welche mit Ilja Bergen. Denn er ist bei der Bundestagswahl am 26. September Direktkandidat seiner Partei in Bonn.

Mit fünf Jahren siedelte er mit der Familie aus Russland über

Wenn nicht gerade Wahlkampf ist und die Räume am Frankenbad von Werbematerial verstopft sind, finden hier Veranstaltungen statt. Auch die organisiert Bergen als einer von zwei ehrenamtlichen Sprechern der Linken in Bonn. „Texte schreiben, Plakate aufhängen, Veranstaltungen organisieren und besuchen, Kontakte zu den Mitgliedern halten“, so beschreibt er seine regelmäßige Arbeit in dem Büro, in dem der Blick auf eine Rosa-Luxemburg-Biografie im Regal und auf einen typischen Nordstadt-Hinterhof fällt.

Geboren vor 34 Jahren im russischen Swerdlowsk, wie Jekaterinburg damals noch hieß, hat Bergen die Zeit seit seinem fünften Lebensjahr in Bonn verbracht. Längst ist aus dem Fünfjährigen, der als Spätaussiedler mit der Familie und der kleinen Schwester vom Ural nach Bonn kam, ein Duisdorfer Jung’ und ein Mitglied der Bezirksvertretung Hardtberg geworden. Im Stadtbezirk besuchte er Grund- und Realschule und ließ der Mittleren Reife eine Ausbildung zum Chemikanten in einer Raffinerie folgen.

Zehn Jahre lang arbeitete er, zumeist auf Schicht, inmitten des Gewirrs aus Rohrleitungen, das sich auf der Fahrt zwischen Bonn und Köln von der Autobahn aus bestaunen lässt. „Mehr und mehr habe ich mich dabei für ein politisches Engagement interessiert. Auslöser war die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008“, erzählt er. Auch das ein Grund, warum er sich inzwischen an der Fachhochschule für BWL eingeschrieben hat.

In seiner Familie, die das sozialistische System ertragen musste, habe er sich für sein Engagement in der Linkspartei nicht weiter rechtfertigen müssen: „Tatsächlich erfährt die Partei unter Russlanddeutschen überdurchschnittliche Zustimmung“, sagt er. Umso mehr schmerze es ihn zu sehen, wie das deutsch-russische Verhältnis eskaliere: „Gegen Russland wird es keinen Frieden geben“, ist er überzeugt.

Skeptisch gegenüber Koalition mit SPD und Grünen

Hetzjagden gegen das „Gespenst des Kommunismus“, wie sie Marx und Engels postulierten, sieht Bergen ansonsten gelassen. Ebenso wie eine Neuauflage der „Rote-Socken-Kampagne“: „Das sind doch olle Kamellen.“ Sozialismus könne nur auf demokratische Weise funktionieren, ist er sicher. Doch auch einer möglichen Koalition mit SPD und Grünen sind nach Überzeugung Bergens Grenzen gesetzt. Nicht nur, dass seine Partei in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung der Nato fordert. Bergen denkt in erster Linie an die Agenda 2010 unter der Ägide Gerhard Schröders, die Auslöser dafür war, dass sich Teile der SPD in Richtung Linkspartei davonmachten. „Die ganze neoliberale Agenda auf dem Rücken von Bedürftigen war doch ein unglaublicher Rückschritt. Leben wir jetzt in einer besseren Gesellschaft? Ich finde nicht“, sagt er, jedoch nicht ohne zu ergänzen: „Wenn sich mit SPD und Grünen die Möglichkeit für einen echten Politikwechsel ergibt, warum nicht?“

Wohnungspolitik: Vorbild Wien

Und dass die Linken die Leute sind, vor denen die Kinder in gutbürgerlichen Bonner Elternhäusern immer gewarnt wurden, sieht er ebenfalls entspannt. Denn die Zeiten hätten sich nun einmal geändert. So sehr, dass eben auch in der ehemaligen Bundeshauptstadt die Armutsbekämpfung ein zentrales Thema geworden sei. Er teilt die Schlussfolgerungen seiner Partei wie etwa den Ruf nach einer Mietpreisbremse und nach einem Mindestlohn von 13 Euro. Die Warnungen vor verwahrlosten Mietshäusern und Vernichtung vieler Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor kontert er mit der These, mit dem Mindestlohn steige auch die Kaufkraft. Und statt einer Verstaatlichung von Wohnungen schwebten ihm eher genossenschaftliche Modelle oder eine hohe Quote an Gemeindewohnungen wie in Wien vor.

Zurück nach Bonn: „Ich liebe die Stadt und wohne hier unheimlich gerne. Für mich ist Bonn das größte Dorf der Welt“, sagt der ledige Politiker und nennt die Kleinteiligkeit, das Flair der Stadtteile und die kurzen Wege als schönste Besonderheiten seiner Heimatstadt, in der die Verkehrssituation hingegen „eine Katastrophe“ sei. Zu tun gäbe es also durchaus in seinem künftigen Bundestagsbüro.

Um dorthin zu gelangen, müsste Bergen allerdings in Bonn schon ein historischer Sieg bei den Erststimmen gelingen. Auf der Landesliste seiner Partei kandidiert er nämlich nicht. Gut möglich also, dass er neben der Politik auch künftig noch etwas Zeit für seine Hobbys findet: Freunde treffen und sich hier und da einem Videospiel zuwenden.

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