Umzug nach Prüm Ersatz für das Bundesbüdchen verschwindet aus Bonner Bundesviertel
Bonn · Jürgen Rausch hat nach dem Abbau seines Bundesbüdchens ein Holzhäuschen als Imbiss betrieben. Für ihn war es ein rettender Anker, als Bonn nach dem Regierungsumzug damit begann, sich zu verändern. Jetzt kommt es weg.
Diese Holzblockhütte am Rande des ehemaligen Bundesviertels wirkt wie aus der Zeit gefallen. Nur die Wenigsten werden nachvollziehen können, mit welcher Kraft und Energie der Besitzer Jürgen Rausch in der Vergangenheit versucht hat, sie an Ort und Stelle zu bewahren, in welcher Funktion auch immer. Vergeblich: Nun wird sie abgebaut. Der neue Eigentümer, Thomas Blum, schafft sie in diesen Tagen mit einem Traktor nach Prüm in die Eifel, um sie dort als Jagdhütte auf Privatgrund zu errichten und als Unterschlupf für das eine oder andere Bier am Abend zu gebrauchen. Kosten für Blum: lediglich der Transport.
Um den Wert dieses Relikts für Rausch zu verstehen, hilft ein Blick in alte Zeiten, zu denen Bonn Hauptstadt war. Rausch nämlich betrieb viele Jahre in zweiter Generation das legendäre Bundesbüdchen, das ab 1957 zwischen Bundeskanzleramt, Bundesrat und Bundestag stand. Um diesen Ort ranken sich Geschichten, die der „Förderverein historischer Verkaufspavillon Görresstraße“ auf seiner Internetseite zusammenfasst. Franz-Josef Strauß von der CSU und Herbert Wehner von der SPD aßen dort ihre Würstchen. Allein die Vorstellung, dass diese beiden Alphatiere an diesem Ort gemeinsam verkehrten, reicht aus, um ein geistiges Stielauge zu bekommen. Bundeskanzler Helmut Kohl ließ sich von seinem Fahrer Brötchen kaufen. Joschka Fischer kaufte dort angeblich seine Asterix-Comics, die dem gallischen Grünen womöglich vor Augen führten, was alles so gehen kann, wenn man zwar klein ist, sich aber nicht aus der Ruhe bringen lässt. Bundesaußenminister wurde er erst später.
Der heutige Vorsitzende des Fördervereins, der Bonner Anwalt Peter Storsberg, erinnert sich, wie er und der damalige Bundestagsabgeordnete Klaus-Jürgen Hoffie, für den er arbeitete, sich im Bundesbüdchen vornehmlich mit Tabakwaren eindeckten. Gequalmt wurde damals noch reichlich, nicht nur im Abgeordnetenhaus. „Mittlerweile haben Hoffie und ich dem Tabak abgeschworen“, erzählt Storsberg heute.
Die meisten gingen nach dem Hauptstadtumzug
Mit dem Hauptstadtumzug von Bonn nach Berlin gingen die meisten weg: Die Parlamentarier und die Hauptstadtjournalisten siedelten über in den „Quadratkilometer der Macht“, wie der ehemalige Leiter des FAZ-Parlamentsbüros, Günter Bannas, das mal treffend beschrieben hat. Osvaldo Cempellin, genannt Ossi, der Barkeeper im Bundeshaus ging mit in die neue Hauptstadt. Manche, wie Karl-Heinz Schonauer, der langjährige SPD-Geschäftsführer im Ollenhauer-Haus, ergriffen einen anderen Beruf. Schonauer eröffnete das Restaurant Karawane in Oberkassel, das bis heute existiert.
Doch Rausch: Der blieb einfach, bis es nicht mehr ging. Im Jahr 2006 musste er das Bundesbüdchen wohl oder übel schließen, weil der Bau des heutigen WCCB-Konferenzzentrums es erforderlich machte. Die koreanischen Investoren wollten ihm einen Container als Ersatz in die Nähe stellen, aber das wollte Rausch nicht. „Ich wollte eine anständige Lösung, wenn ich auch wusste, dass es eine Interimslösung wird.“ Irgendwo hat er dann diese Holzhütte ergattern können. In gewisser Weise war sie seine Rettung. Und der 65-Jährige berichtet heute noch stolz, wie er sich gewehrt hat, wie er sich nicht in sein Schicksal ergeben hat.
In den Folgejahren ab der Eröffnung seines Imbisses im Jahr 2007 lief das Geschäft noch halbwegs. Die Bauarbeiter bekamen bei Rausch auf gut 20 Quadratmetern Hausmannskost serviert. Würstchen, Fritten, und im Winter Eintopf. Doch auch diese Zeit ging irgendwann vorbei. Vor vier Jahren, als Deutschland für die Fidschi-Inseln die Klimakonferenz Cop23 im alten Bundesviertel organisierte, da lief Rausch in seiner Holzhütte noch einmal zu Hochformen auf. Man konnte ihn in diesen Tagen, auf einem seiner Hocker sitzend, am Rande des ganzen Trubels treffen. Frühere Staatssekretäre schauten vorbei, klopften ihm auf die Schulter, sprachen ihm Mut zu und aßen dazu Bohnensuppe. Es kam einem so vor, als beglückwünschten sie ihn, weil er, um einen Militärausdruck zu verwenden, die Stellung gehalten hatte, als Bonn den Wandel vollzog vom ehemaligen Regierungsviertel zum heutigen Arbeitszentrum.
Doch am Ende half alles nichts. Der Umsatz stimmte nicht mehr. Das Bundesbüdchen selbst wurde nach einer aufwändigen denkmalgerechten Sanierung für rund 400.000 Euro mithilfe von Fördergeldern und Spenden des Fördervereins im August vergangenen Jahres an eine ähnliche Stelle wie die ursprüngliche positioniert. Heute steht es zwischen Heussallee und dem Platz der Vereinten Nationen. Spätestens als der neue Betreiber, die Bäckerei Mauel, mit großem Tamtam eröffnete und die Stadt wiederholt und eindringlich bat, die Holzhütte endlich wegzuschaffen, dürfte Rausch klar gewesen sein, dass sein einst rettender Anker nicht zu halten sein wird. „Das ist schon schwer für mich, zu sehen, wie die Hütte kernsaniert und abtransportiert wird. Ich weiß gar nicht, ob ich mir das angucken mag“, sagt Rausch. Was ein Denkmal ist und was nicht, liegt nicht selten im Auge des Betrachters.