Aktueller Lagebericht des Verfassungsschutzes Bonn ist NRW-Knotenpunkt für 320 Salafisten

Bonn · Der NRW-Verfassungsschutz verortet im Großraum Bonn derzeit 320 Salafisten, davon allein 30 Dschihad-Rückkehrer. Auffällig sei der Rückzug der Szene ins Verborgene und die zunehmende Radikalisierung von Kindern und Frauen.

Die Salafistenszene in Bonn stagniert auf hohem Niveau und bildet weiterhin einen Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen, ist aber längst nicht mehr der einzige. „Denn auch in Düsseldorf und den Ruhrgebietsstädten wächst die Szene“, so stellte Burkhard Freier, Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, am Dienstagabend in einem Vortrag in Bad Godesberg fest. Auf Einladung der Stadtverwaltung lieferte Freier eine ausführliche Lagebeurteilung, die mit Blick auf Bonn eine Reihe aktueller wie aufschlussreicher Zahlen enthielt. 250 aufmerksame Zuhörer füllten den Saal.

So sind den Sicherheitsbehörden 320 Salafisten bekannt, die im Aufgabenbereich des Bonner Staatsschutzes leben. Zur Erklärung: Dieses Areal geht noch über das Gebiet des Bonner Polizeipräsidiums hinaus und reicht bis zur belgischen Grenze und ans Bergische Land. Aus dieser Region also seien 90 Personen in die Kriegsregionen des Nahen Ostens ausgereist, mutmaßlich um sich dort dschihadistischen Gruppen anzuschließen. Von diesen seien 30 zurückgekehrt.

Weil 90 Prozent aller Salafisten aus Migrantenfamilien stammen und es sich bei dem Rest um deutsche Konvertiten handelt, bieten naturgemäß auch Moscheegemeinden ein geeignetes Umfeld für salafistische Netzwerke. Zehn Moscheengemeinden im „Großraum Bonn“ bewerten die Verfassungsschützer laut Freier als „Anlaufpunkte der Szene“. Konkretere Angaben dazu machte das Innenministerium am Mittwoch auf Nachfrage dieser Zeitung nicht.

Insgesamt, so sagte Burkhard Freier am Donnerstag ebenfalls, habe die Bonner Salafistenszene nach Einschätzung der Verfassungsschützer an Dynamik verloren. Kein Zuwachs, kaum noch Ausreisen nach Syrien, dafür steigende Rückkehrerzahlen – so lauteten die Stichworte.

Gleichwohl sprach eine Grafik, die der Behördenchef eingangs präsentiert hatte, eine weniger beruhigende Sprache: Demnach hat sich die Salafistenszene in ganz Deutschland zuletzt um 1000 Personen jährlich vermehrt. Von bundesweit 9700 Salafisten gehen die Sicherheitsbehörden derzeit aus; 2900 konkret bekannte Personen – darunter 670 Gewaltorientierte – sollen es in NRW sein.

Als jüngste Auffälligkeiten beschrieb der Verfassungsschützer den Rückzug der Szene ins Verborgene und die zunehmende Radikalisierung von Kindern und Frauen. Auf der anderen Seite steige in Bevölkerung und Medien die Wachsamkeit gegenüber islamistischer Agitation. Anschaulich erklärte Freier auch, welche Faktoren die Radikalisierung beschleunigten und nannte neben Freunden, Familie, Internet, Islamseminaren und Moscheen auch private Akteure in arabischen Staaten.

In dem Zusammenhang kam Freier auch auf die umstrittene König-Fahad-Akademie in Lannesdorf zu sprechen: Stadt und Bezirksregierung hätten „segensreich“ bewirkt, dass die Einrichtung für Schüler nicht mehr attraktiv sei und deshalb nun geschlossen werde. Große Hoffnungen setzt die Landesregierung offenbar in Präventionsprojekte wie „Wegweiser“, für das Bonn eine Vorreiterrolle eingenommen hatte und das in diesem Jahr auf mehr als 20 Städte im Land ausgedehnt werden soll. Derzeit, so Freier, würden 200 Jugendliche betreut. Für Bonn stellte er für die „Wegweiser“ bei der Gelegenheit en passant eine zweite Vollzeitstelle in Aussicht.

Kontrovers diskutiert wurde im Anschluss etwa über die Frage, inwieweit die Massenzuwanderung aus islamischen Ländern den Nährboden für Islamismus in Deutschland und Europa vergrößere. Kopfschütteln zumindest bei jenen, welche die Ausbreitung des Salafismus auf jahrelanges Staatsversagen zurückführten, erntete Freier mit seiner Entgegnung, nicht nur die Politik, sondern „die Gesellschaft“ stehe hier in der Verantwortung. Oberbürgermeister Ashok Sridharan dankte zum Abschluss der von GA-Redakteurin Sylvia Binner moderierten Diskussion allen Bürgern dafür, dass sie ihre „Sorgen und Bedürfnisse offen vorgetragen“ hätten.

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