Streit um Cityring Sperrung oder Durchfahrt: Was ist besser für die Bonner Innenstadt?

Interview | Bonn · Annette Quaedvlieg und Jannis Vassiliou treffen sich zum Streitgespräch mit dem General-Anzeiger: Der Mann aus dem Einzelhandel will den offenen Cityring, die Frau aus dem Fahrrad-Club die Kappung.

 Dieses Schild wird bald verschwinden: Im August will die Stadt den neuen Ratsbeschluss umsetzen und das Rechtsabbiegen von der Wesselstraße wieder ermöglichen.

Dieses Schild wird bald verschwinden: Im August will die Stadt den neuen Ratsbeschluss umsetzen und das Rechtsabbiegen von der Wesselstraße wieder ermöglichen.

Foto: Benjamin Westhoff

In diesem Jahr beschloss der Stadtrat zunächst die Kappung des Cityrings, dann wieder die Öffnung, weil sich andere Mehrheiten gefunden hatten. Im August will die Stadtverwaltung den Weg aus der Kaiserstraße in Richtung Bahnhof wieder öffnen. Über Für und Wider, die Nöte des Einzelhandels und die Ansichten des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) sprach Philipp Königs mit der Bonner ADFC-Vorsitzenden, Annette Quaedvlieg, und dem Vorsitzenden des Einzelhandelsverbands, Jannis Vassiliou.

Herr Vassiliou, der Einzelhandel hat die Rückkehr des Cityrings gefordert. Ihr Verein sieht in der Kappung eine Bedrohung für die Geschäfte in der Innenstadt. Warum?

Jannis Vassiliou: Die Bonner Innenstadt hat eine wunderbare Fußgängerzone, eine echte Errungenschaft. Die Politik hatte seinerzeit die Umfahrung über den Cityring beschlossen. Der Gedanke, in jedes Parkhaus hereinzukommen und sich innerhalb der Fußgängerzone zu Fuß zu bewegen, ist richtig, damit Käufer in die Stadt hereinkommen können. Ich verstehe nicht, warum man davon überhaupt abweichen wollte.

Aber die Parkhäuser waren doch weiterhin erreichbar...

Vassiliou: Ja, aber sehr viel umständlicher. Viele Bürger kamen gar nicht mehr in die Stadt, weil die Straßen dicht waren. Bekannte berichten mir, dass sie lieber nach Koblenz fahren, weil es einfacher ist. Der Handel lebt nicht nur von den Menschen, die in der Innenstadt leben. Wir brauchen auswärtige Kundschaft.

Frau Quaedvlieg, nimmt der ADFC das Ausbluten der Innenstädte in Kauf, um den Radverkehr attraktiver zu gestalten?

Annette Quaedvlieg: Auch der ADFC legt Wert auf die Erreichbarkeit der Innenstadt. Die Frage ist nur, wie schaffe ich das am besten. Die Stadt hat gerade durch die Neueröffnung der Uni-Tiefgarage und des Parkhauses an der Rabinstraße zusätzliche Parkplätze gewonnen. Viele Parkhäuser sind gar nicht ausgelastet. Wir sind der Meinung, dass Bonn ein gutes Parkleitsystem fehlt. Wir müssten zugleich dafür sorgen, dass die Infrastruktur für Radfahrende und Fußgänger ausgebaut wird mit dem Ziel, dass mehr Menschen das Auto stehen lassen. Dann bliebe mehr Raum für diejenigen, die auf das Auto tatsächlich angewiesen sind.

Immerhin soll der Schutzstreifen für Radler vor dem Uni-Hauptgebäude erhalten bleiben und möglicherweise sicherer ausgebaut werden?

Quaedvlieg: Den Radweg begrüßt der ADFC. Die Rücknahme der Kappung ist jedoch eine Rückkehr zur autozentrierten Verkehrspolitik der 60er Jahre. Das ist nicht zukunftsweisend. Der ADFC ist der festen Überzeugung, dass der Anteil an Kundinnen und Kunden der Innenstadt, die mit dem Rad, Bussen und Bahnen oder zu Fuß in die City kommen, wesentlich höher ist, als es manche Befürworter des Cityrings glauben machen wollen. Ich halte es auch für problematisch, dass die Handelsverbände stets betonen, die Innenstadt sei nicht erreichbar. Man redet den Standort selbst schlecht.

Für Sie nachvollziehbar, Herr Vassiliou?

Vassiliou: Nicht wirklich. Die Kunden spiegeln uns, dass sie Abstand von einem Besuch nehmen, weil die Verkehrsprobleme bestehen. Als Juwelier habe ich Kunden aus Koblenz, München, dem Westerwald. Die kommen weder mit dem Rad noch mit dem Zug, sondern mit dem Auto. So geht es vielen Händlern. Wir suchen das Gespräch mit dem ADFC, um einen Kompromiss zu finden. Ein Kompromiss ist allerdings nur dort möglich, wo sich beide Seiten bewegen. Wir für unseren Teil wollen die Fahrräder in der Stadt haben und auch sichere Radwege. Aber das Ergebnis der Cityring-Kappung ist doch beispielsweise gewesen, dass der Kaiserplatz quasi tot ist. Das kann nicht die Lösung sein. Ein Geschäft lebt in nicht unerheblichem Maße davon, dass Autofahrer an den Läden vorbeifahren, sie wahrnehmen.

Frau Quaedvlieg, muss sich der Radfahrer quälen, um in Bonn von A nach B kommen zu können?

Quaedvlieg: Kommt drauf an. Auf der Kaiserstraße ist es angenehmer geworden. Mal schauen, wie es wird, wenn sie wieder zur Durchgangsstraße wird. Am Hauptbahnhof ist die Situation schwierig. In der Gesamtschau haben wir in Bonn oftmals schlechte, holprige Radwege. Wir brauchen ein durchgehendes komfortables und sicheres Radwegenetz. Es führt kein Weg daran vorbei, die bestehenden Verkehrsflächen dafür anders zu verteilen. Das passiert in niederländischen und anderen Städten sehr erfolgreich, in Bonn aber bisher zu wenig. Das Grundproblem des Handels, derzeit Einbußen hinnehmen zu müssen, sehen wir beim ADFC durchaus. Wir möchten lebendige Innenstädte mit mehr Aufenthaltsqualität. Für einen Trugschluss halte ich es aber, dass Radfahrende arme Schlucker sind, die kein Geld ausgeben. Ich habe das Gefühl, sie werden als Verbraucher zweiter Klasse behandelt.

Vassiliou: Da will ich doch entschieden widersprechen. Der Handel freut sich über alle Kunden, natürlich auch, wenn sie mit dem Rad kommen.

Quaedvlieg: Das glaube ich Ihnen. Der Einzelhandel setzt sich allerdings auf der anderen Seite kaum für Radabstellmöglichkeiten direkt vor den Geschäften ein und auch nicht dafür, dass ältere Menschen und Eltern mit Kindern per Rad sicher in die Stadt hineinkommen.

Vassiliou: Ich muss Ihnen sagen, dass ich Radfahrer gerade in der Stadt oft als rücksichtslos wahrnehme. Auf der Friedrichstraße beispielsweise wird viel zu schnell gefahren. Der Handel verschließt sich aber nicht der Idee, Parkplätze für Räder anzubieten. Als Aufsichtsratsmitglied der Bonner Parkraum GmbH kann ich sagen, dass nach Lösungen gesucht wird, um Abstellflächen in bestehenden Parkgaragen zu finden. Einfach ist das nicht, weil es meist nur eine Zufahrt und Abfahrt gibt. Am Stadthaus und dem neuen Parkhaus Rabinstraße gibt es aber Möglichkeiten.

Ein Argument der Befürworter der Kappung lautet, so wäre eine bessere städtebauliche Anbindung von Hofgarten und Kaiserplatz an die Innenstadt möglich. Verpasst der Handel eine Chance?

Quaedvlieg: Ein solcher positiver Effekt wird durch die Öffnung nun konterkariert. Die Schwierigkeiten der Innenstadthändler beruhen vor allem auf dem blühenden Online-Handel. Darauf ist zu reagieren. So kann es in Zeiten des Klimawandels doch nicht weitergehen. Eine Chance liegt darin, dass eine Stadt sich so aufstellt, dass dort nicht nur etwas erledigt, sondern auch erlebt werden kann: mit Musik und Kultur beispielsweise. Oder mit einer leichteren Erreichbarkeit von Hofgarten und Rheinufer.

Vassiliou: Ich zweifle daran, dass eine solche Anbindung einen Wert für die Innenstadt hätte. Schauen Sie sich die Rathausgasse und die Straße Am Hof an. Früher gab es dort jede Menge Geschäfte. Heute sind die Straßen tot. Wir docktern am falschen Problem herum. Das Problem sind die Pendler. Während Corona konnte man das gut beobachten: Die ganzen Angestellten von Post, Postbank und Telekom blieben zu Hause. Die Straßen waren leer, leider auch die Parkhäuser. Die Stadt hat viele Chancen liegen gelassen, die Verkehrssituation zu verbessern. Beispielsweise mit einer unterirdischen Zufahrt zum Hauptbahnhof mit direkter Anbindung des Hotels und so weiter. Stattdessen führt sie jetzt mit dem Bauinvestor des Urban Soul-Projekts am Hauptbahnhof einen Streit um Millionen von Euro für Residualkosten.

Quaedvlieg: Auch wir sehen Versäumnisse bei der Verkehrspolitik der Stadt, wenn zum Teil auch andere als Sie. Es geht aber jetzt darum, den Menschen Lust auf Alternativen zum Auto zu machen. Aus Untersuchungen ist bekannt: 50 Prozent der Autofahrten sind unter fünf Kilometer, 70 Prozent unter zehn Kilometer. Das ist Radfahrpotenzial. Nahverkehrs-Tickets sind viel zu teuer. Bei diesen Preisen ist es kein Wunder, wenn die Menschen ins Auto steigen. Zugleich fehlt ihnen die Möglichkeit, das Fahrzeug außerhalb der Stadt abzustellen und mit Leihrad, Bussen und Bahnen weiterzufahren. Die Idee, an den Stadtgrenzen Mobilitätshubs zu errichten, geht deshalb in die richtige Richtung.

Vassilliou: Sie nannten deutschlandweite Zahlen. Aber was Bonn anbelangt, haben wir ein Zahlendefizit. Die Stadt hat während der Änderungen am Cityring den Fehler gemacht, keine aktuellen Informationen zu ermitteln. Es wäre möglich gewesen, die Kunden der Innenstadt zu fragen, warum sie in die Stadt kommen, was sie dort erledigen. Autofahrer hätte man fragen können, warum sie mit dem Auto kommen und was passieren müsste, damit sie Alternativen nehmen. Das ist nicht erfolgt.

Ist es möglich, diese Probleme in den Griff zu bekommen oder wäre es an der Zeit, neue Verkehrslösungen zu denken?

Quaedvlieg: Es hat im Lauf der Zeit etliche Verkehrskonzepte von namhaften Experten gegeben. Es wäre schon unglaublich viel gewonnen, wenn die Inhalte umgesetzt würden. Um drei Beispiele zu nennen: ein zweiter Tunnel für den Radverkehr an der Unterführung Poppelsdorfer Allee, die Kappung des Cityrings und eine Aufwertung des Rheinufers inklusive Verkehrsberuhigung.

Vassiliou: Eine zweite Röhre kann sich der Einzelhandel durchaus vorstellen. Ebenso einen Radweg auf der anderen Seite der Uni über den Regina-Pacis-Weg, den der Uni-Rektor auch befürworten würde, wie er mir zugesichert hat. Vielleicht wäre es in der Tat an der Zeit, einen guten Stadtplaner von außerhalb mit einem Gesamtkonzept zu beauftragen. Was ich allerdings ablehne ist, den Bürgern vorschreiben zu wollen, welches Fortbewegungsmittel sie zu benutzen haben.

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