Interview mit Katharina Desery von Mother Hood „Nicht jede Frau ist nach der Geburt glücklich“

Interview | Bonn · Immer mehr Frauen berichten, dass sie Geburten im Kreißsaal als schwierig empfinden. Zwei Elterninitiativen haben ein spezielles Mütter-Hilfetelefon eingerichtet.

 Katharina Desery hat ein spezielles Mütter-Hilfetelefon eingerichtet.

Katharina Desery hat ein spezielles Mütter-Hilfetelefon eingerichtet.

Foto: Privat

Mütter können nach einer schwierigen Geburt ein Bonner Hilfetelefon nutzen. Für die beiden Vereine Mother-Hood und International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM) beraten hier ausgebildete Therapeutinnen zweimal die Woche jeweils zwei Stunden lang zu schwer verdaulichen Geburtserlebnissen. Mit Katharina Desery, einer der Initiatorinnen des Telefonprojekts, sprach Ebba Hagenberg-Miliu.

Zuerst eine provokante Frage: Ist nicht jede Mutter nach einer Geburt glücklich?

Katharina Desery: Nein, leider nicht. Das bestätigen uns sogar Mütter, die sich noch nach Jahren an Details von schwierigen Geburten erinnern. Wir sind ein Elternverein und bekommen viele E-Mails mit Geburtserfahrungen, oder die Frauen kommen an unsere Informationsstände und beginnen genau über dieses Thema zu erzählen.

Was berichten Frauen denn Negatives von Geburten?

Desery: Am häufigsten sagen Frauen mit schlechten Erfahrungen, dass sie während des Geburtsvorgangs nicht genug betreut und sich allein gelassen gefühlt haben. Dass sie dadurch Ängste entwickelten. Dass ihre Männer rausrennen mussten, um nach einer Hebamme zu suchen.

Wir sprechen also über Geburten in Kreißsälen von Krankenhäusern, ja?

Desery: Genau. Es gibt Fälle, da wissen die Frauen im Kreißsaal nicht mehr, was gerade passiert. Es ist keiner da, der sie aufklärt, wie die Geburt vorangeht. Und dann kommen natürlich die Fälle hinzu, in denen es plötzlich zu einem Kaiserschnitt kommen muss. Schlimm ist für Frauen dann, wenn niemand mit ihnen darüber spricht, sodass sie sich übergangen fühlen.

Da dürfte natürlich die Antwort kommen: Beim Kaiserschnitt ist keine Zeit, oder?

Desery: Ja, so wird argumentiert. Aber auch in einer Notsituation ist Zeit, sich noch ein paar Sekunden der Frau zuzuwenden. Wenn das nicht passiert, dann geraten Frauen im ohnehin schon extremen Geburtsprozess in eine zusätzliche Schocksituation.

Erleben das erst heute Frauen vermehrt?

Desery: Uns berichten ältere Frauen, dass das früher genauso lief. Da hat es bloß niemanden interessiert. Geburten gelten ja als eine sozusagen heilige Angelegenheit. Mit verklärtem Blick sagte man früher: Eine Mutter muss doch glücklich sein, wenn ihr das Baby im Arm liegt. Jahrzehntelang hat es eigentlich niemanden interessiert, wie es gebärenden Frauen wirklich geht. Insofern möchte ich nicht sagen: Das Problem gab es früher nicht. Fakt ist aber, dass heute mehr darüber gesprochen wird.

Wie häufig kommt es denn zu solch traurigen Situationen?

Desery: Etwa 20 bis 40 Prozent der Frauen erleben die Geburt als belastend oder sogar traumatisch. Eine einstellige Prozentzahl an Frauen erleidet nach einer Geburt eine extreme posttraumatische Belastungsstörung. Und Psychoanalytiker weisen schon länger auf den Zusammenhang zwischen einer schwierigen Geburtserfahrung und Folgen für die ganze Familie hin.

Welche Folgen meinen Sie?

Desery: Frauen spüren, dass ihr Selbstwertgefühl stark gelitten hat. Sie haben das Vertrauen in sich, in ihre eigenen Kräfte verloren. Es kommt häufig zu Bindungsstörungen zum Baby und Stillproblemen. Das heißt, die Mütter wissen nicht genau, wie sie sich in ihre neue Rolle einfinden können, und brauchen Hilfe von außen. Extreme Folgen sind posttraumatische Belastungsstörungen, die zu schweren Depressionen führen können. Dazu ist die spontane Reaktion oft: Ich will bestimmt nicht noch ein Kind.

Wie leiden Kinder an den Folgen einer schwierigen Geburt?

Desery: Ein Beispiel ist das sogenannte Schreibaby-Syndrom. Das bedeutet: Die Babys schreien viele Stunden am Stück. Andere Babys sind sehr unruhig und schreckhaft. Insgesamt belastet die Situation natürlich die Beziehung zum Partner und die ganze Familie, so dass ihnen unbedingt geholfen werden muss. Deshalb kooperieren wir in unserem Projekt ja auch mit dem Verein International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM), der sich genau um diese frühkindliche Phase kümmert.

Seit Juni 2020 läuft also ihr Hilfetelefon. Zweimal die Woche jeweils zwei Stunden lang können sich betroffene Mütter auch anonym bei Ihnen melden.

Desery: Wir wollten Frauen nach einer schwierigen Geburt auf jeden Fall eine Möglichkeit geben, einfach einmal über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Und das wird sehr gut angenommen. Es kommen ganz unterschiedliche Anrufe von Jung und Alt. Zuletzt unter anderem von einer schon älteren Dame, die sich auch nach Jahrzehnten von der Seele reden wollte, was ihr widerfahren ist. Frauen stoßen in ihrem Umfeld häufig auf Unverständnis, wenn sie von Problemen bei der Geburt erzählen. Wichtig ist für uns, dass jede Frau bestimmt, ob die Geburt für sie schwierig war.

Und was kann das Projekt dann leisten?

Desery: Die Frau wird erst einmal gehört. Wir sagen ihr ganz sicher nicht: Hauptsache, das Kind ist gesund, stell dich doch nicht so an, Geburten sind halt so. Wir überlegen mit ihr gemeinsam, wie der nächste Schritt aussehen könnte, wenn er nötig ist. Ob die Frau also eine weitere Beratung oder vielleicht auch eine Therapie wünscht. Wir zeigen Optionen auf, wie sie selbst aus dem Kreislauf herauskommen kann. Das Telefonat kann also der erste Schritt aus einer möglichen Krise sein, die mit der Geburt zusammenhängt.

 Bei einigen Geburten machen Frauen traumatische Erfahrungen.

Bei einigen Geburten machen Frauen traumatische Erfahrungen.

Foto: dpa/Fabian Strauch

Und wer sind die Beraterinnen am Telefon?

Desery: Es sind vorwiegend ausgebildete Therapeutinnen aus dem Pool der ISPPM, die erfahren im Umgang mit schwierigen Geburtserlebnissen sind. Das ist uns ganz wichtig. Die Frauen benennen mit ihnen selbst ihre Erfahrungen und ordnen sie ein.

Aber was müsste passieren, dass es weniger schwierige Geburten im Kreißsaal gibt?

Desery: Das Allerwichtigste ist, das die Geburt als zentraler Bestandteil des Lebens von Mutter, Kind und Familie wertgeschätzt wird. Deshalb müssten aktuell die Rahmenbedingungen im Kreißsaal verbessert werden. Ich spreche von den Arbeitsbedingungen von Hebammen und ausdrücklich auch von Ärzten. Natürliche Geburten brauchen einfach Zeit. Frauen muss Zeit gegeben werden zu gebären. Sie müssen gut und möglichst kontinuierlich betreut und zwischendurch nicht alleingelassen werden.

Ihre Forderung ist also: generell mehr Personal im Kreißsaal?

Desery: Genau. Wir wissen, dass die Kliniken erkannt haben: Wir brauchen in der Geburtshilfe mehr Personal. Sie schreiben inzwischen weitere Stellen aus, bekommen sie aber nicht besetzt. Der Prozess ist zumindest angestoßen. Die Lage wird sich nicht von heute auf morgen ändern lassen. Aber sicher ist: Wenn eine 14- bis 16-stündige Geburt endlich entsprechend dem Betreuungsbedarf vergütet wird, wäre das ein Grundstein dafür, dass im Kreißsaal alles besser werden kann.

Dass also eine Geburt auch so lange dauern darf?

Desery: Ja. Dass nicht eingegriffen wird, dass der Frau also die Zeit für eine natürliche Geburt gegeben wird. Dazu kommt, dass das Umfeld der Frau mitgeben sollte: Du kannst das schaffen. Wenn es Probleme gibt, sind wir da und helfen dir. Aber du packst die Geburt, auch wenn sie 16 oder noch mehr Stunden dauert. Insofern hängt unser Hilfetelefon sehr stark mit der aktuellen Situation der Geburtshilfe zusammen.

Letzte Frage. Steigt die Anzahl schwieriger Geburten nicht auch, weil gebärende Frauen immer älter werden?

Desery: Das ist eine medizinische Frage, die ich aus meiner Sicht nicht befriedigend beantworten kann. Doch wenn dieser Zusammenhang besteht, dann brauchen ja vor allem Spätgebärende, die ein höheres Komplikationsrisiko haben, eine intensive und zeitaufwendige Betreuung, die individuell auf die Frau und ihr Kind eingeht.

Das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt ist ein Projekt der Bundeselterninitiative Mother Hood e. V. in Kooperation mit der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine, ISPPM e. V. Die Hotline ist erreichbar unter der Rufnummer 0228 92 95 99 70. Die Beratungszeiten sind mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr. Kontakt: www.hilfetelefon-schwierige-geburt.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort