Einer der ältesten Vereine in Bonn Wie steht es um die Zukunft der Bonner Lesegesellschaft?

Bonn · Freimaurer, Franzosen, Frauen als Mitglieder: Die Lese- und Erholungsgesellschaft hat in über 230 Jahren viele Veränderungen erlebt. Aktuell setzt sie Themen für das Kant-Jahr 2024 und diskutiert zum Auftakt über Recht und Moral.

 Wechselvolle Geschichte: Anfang der 1920er Jahre war das Gebäude der Lese ein französisches Offizierscasino. Es wurde 1944 bei einem Bombenagriff zerstört.

Wechselvolle Geschichte: Anfang der 1920er Jahre war das Gebäude der Lese ein französisches Offizierscasino. Es wurde 1944 bei einem Bombenagriff zerstört.

Foto: Archiv des BonnBuchVerlags

Am Anfang waren die „Lichtstrahlen der Aufklärung“ und der Wunsch nach der neuesten Literatur. Weil Bücher und Zeitschriften 1787 noch sehr teuer waren, schlossen sich Gleichgesinnte in Bonn zur Lese-Gesellschaft zusammen, wie überall in Europa. Das Interesse an aktuellen Themen und geistigem Austausch hat sich eine der ältesten Bonner Bürgergesellschaften bis heute bewahrt. Am Montag beginnt eine neue Veranstaltungsreihe der Lese- und Erholungsgesellschaft Bonn, kurz Lese, als Vorbereitung auf das Kant-Jahr 2024, in dem sich der Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant zum 300. Mal jährt.

Das Motto der Lese lautete „Et sibi et aliis“, für sich und für andere. Im Büro im Haus der evangelischen Kirche steht der Bienenstock, das Zeichen der Gesellschaft: Die Bienen sammeln fleißig Wissen. Obwohl die Lese ihr Restaurant 2016 geschlossen und den Gebäudeanteil an der Adenauerallee 37 an den evangelischen Gemeindeverband verkauft hat, kann sie weiter den Saal im Haus und den eigenen Klubraum nutzen. Die vier Tische – Gruppen, die sich regelmäßig einmal im Monat treffen – sind aus dem Restaurant Zur Lese erst in die Kommende Ramersdorf umgezogen, dann in die Stadthalle Bad Godesberg. Seit zwei Jahren tagen und essen sie in der Regel im Haus am Rhein.

„Es war anfangs eine reine Aufklärungsgesellschaft, die vom Kurfürsten Max Franz unterstützt wurde“, sagt der Vorsitzende Emil Schwippert. In der Lese trafen sich Illuminaten und Freimaurer, auch der junge Ludwig van Beethoven war oft zu Gast. Zu den ersten Mitgliedern zählten die befreundeten Musiker Nikolaus Simrock, Christian Gottlob Neefe und Franz Anton Ries. Das Inventarverzeichnis von 1814 zeigt, dass Kant gelesen wurde, aber auch Schiller. 1824 kaufte der Verein ein Haus in der Innenstadt, das 1833/34 um einen Saal erweitert wurde. „Mitte des 19. Jahrhunderts tat es der Karriere gut, Mitglied der Lese zu sein“, berichtet Schwippert.

Büros mit Rheinblick: Der Vorsitzende Emil Schwippert auf dem Balkon der Lese im Haus der evangelischen Kirche.

Büros mit Rheinblick: Der Vorsitzende Emil Schwippert auf dem Balkon der Lese im Haus der evangelischen Kirche.

Foto: Benjamin Westhoff

Neues Stadtpalais mit Rheinblick

1897 zog der Verein in sein neues Gesellschaftshaus an der damaligen Coblenzer Straße um. Das Stadtpalais oberhalb des Rheinufers hatte nicht nur eine große Bibliothek, sondern auch einen Festsaal, Gesellschaftsräume und einen eigenen Weinhandel. Das repräsentative Haus wurde zum Veranstaltungs- und Kongresszentrum der Stadt. Bekannte Philosophen, Mediziner, Naturforscher und Musiker gingen ein und aus. Man war in guter Gesellschaft – Networking würde man das heute nennen.

In der Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg kamen 1920 französische Truppen nach Bonn, die das Palais der Lese als Kasino nutzten, wie ein seltenes historisches Foto aus dem Archiv des „BonnBuchVerlags“ von Josef Niesen zeigt. Keine 25 Jahre später lag das Gebäude in Trümmern.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Anwesen beim großen Bombenangriff auf Bonn vom 10. Oktober 1944 zerstört. Das wertvolle Grundstück in bester Innenstadtlage ermöglichte laut Schippert später den Neuanfang. Auf dem einen Teil wurde die Universität-Bibliothek errichtet, auf dem anderen 1974/75 das Terrassenhaus nach Plänen des Bonner Architekten Ernst van Dorp, ein gemeinsamer Bau mit dem Gemeindeverband der evangelischen Kirchen in Bonn.

 Um 1900: Das Gebäude der Lesegesellschaft (links) an der früheren Coblenzer Straße. Heute steht dort die Uni-Bibliothek an der Adenauerallee.

Um 1900: Das Gebäude der Lesegesellschaft (links) an der früheren Coblenzer Straße. Heute steht dort die Uni-Bibliothek an der Adenauerallee.

Foto: Archiv der BonnBuchVerlags, veröffentlicht in "Historisches Bonn, Band 1"

Wandern und Schach im Angebot

Die Lese steht nicht nur für Lesen und Debattieren, das sagt schon der zweite Teil ihres Namens. Seit der Fusion mit der Erholungsgesellschaft im Jahr 1821 hatte sie auch verschiedene Freizeitangebot. Wandern, Schach und Bridge stehen heute noch auf dem Programm. „Alle Gesellschaften hatten in den drei Corona-Jahren eine ziemliche Durststrecke“, sagt der Vorsitzende. Jetzt geht es wieder los, mit neuen Themen und gerne auch neuen Gesichtern. 120 Mitglieder hat die Lese zurzeit, seit 2019 können auch Frauen in die Gesellschaft eintreten, statt nur ihre Männer zu begleiten. Das Kant-Jahr bringt neue Diskussionsansätze für die Treffen.

„Immanuel Kant ist der geistige Ziehvater unserer Gesellschaft und die Festveranstaltungen finden in Bonn statt“, berichtet Schwippert. Die Lese kooperiert bei ihren Vorträgen mit Philosophieprofessoren der Uni und der Kant-Gesellschaft, „um in gut verständlicher Sprache die Gedanken Kants zu vermitteln und auf aktuelle Geschehnisse zu beziehen“, so Schwippert.

Raus aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, rein ins gesellschaftliche Leben: Die Lese- und Erholungsgesellschaft wollte schon immer Dinge zur Sprache bringen. Und heute? „Wir sind ein großartiges Angebot für Leute, die sich am Ende des Berufslebens noch intellektuell, spielerisch und sportlich betätigen wollen“, sagt der ehemalige Richter. Er erhofft sich durch das Kant-Jahr neuen Auftrieb und neue Interessierte für die traditionsreiche Bonner Institution. Bücher und Zeitschriften sind längst kein Luxus mehr, aber der anregende Austausch darüber schon.

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