GA-Serie Bonner Kopf Schreiben, wie die Gefühle kommen

Serie | Bonn · Er ist studierter Ernährungswissenschaftler, Fashion-Model und Lyriker: Der Bonner Niklas Müller hat seinen ersten Band mit Gedichten herausgegeben.

 Neben seiner Arbeit als wissenschaftliche Hilfskraft beim Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung findet Niklas Müller auch Zeit zum Schreiben.

Neben seiner Arbeit als wissenschaftliche Hilfskraft beim Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung findet Niklas Müller auch Zeit zum Schreiben.

Foto: Niklas Müller

Dieser 26-Jährige schreibt Gedichte. Nicht unbedingt gereimte, aber lyrische Zeilen. Sie bedeuten eine „Reise durch meine letzten drei Jahre“, sagt Niklas Müller über sein erstes Buch „Zurück zu mir und darüber hinaus“. Darin beginnt er eins der Gedichte mit: „Loszulassen / ist der größte Schritt.“ Und fährt über das Scheitern einer Liebe fort: „Denn es bedeutet, / den Spiegel zu zerschlagen, / in dem ich unsere Zukunft sah.“ Müller hat Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaft in Bonn studiert und im vergangenen Jahr seinen Master in „Agricultural and Food Chemistry“ gemacht. Der Mann ist also Fachmann für den Weg von Lebensmitteln von der Agrarproduktion über den wettbewerbsorientierten Handel bis zum Konsum.

Müller arbeitet inzwischen als wissenschaftliche Hilfskraft beim Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung. „Ich bin da für die Edition wissenschaftlicher Texte und den Twitteraccount zuständig“, erklärt er seinen ganz und gar nüchternen Berufsalltag. Und in der Freizeit schreibt er Verse. „Mein erster Band ist eine authentische Sammlung von Gedichten, die sich mit junger Liebe, der Suche nach der Sexualität, Body Issues und dem Verlust geliebter Menschen beschäftigt“, erläutert der 26-Jährige. Mit also genau den Themen, die die meisten in seiner Generation bewegen. Das Buch ist in fünf Kapitel eingeteilt: Es gehe um das Lieben, das Verlieren, das Suchen, das Finden und schließlich um das Lernen. Es geht um den Prozess einer Beziehung. „Das Buch beschreibt den Weg aus der Dunkelheit zurück zu sich selbst“, erläutert der Autor.

Bonn sei sympathische Mischung aus großer Stadt und Dorf

Er kommt aus einem 500-Einwohner-Dorf bei Siegen. Da bedeutete Bonn, als er 2013 hierher zum Studieren kam, fast schon die große weite Welt. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt Müller, der die Cafés und Kneipen im Zentrum besonders liebt. Bonn sei eine sympathische Mischung aus großer Stadt und Dorf. Natürlich sei er unglücklich, dass die Pandemie gerade jungen Leuten wie ihm die Freizeitaktivitäten einschränke. „Ich singe in meiner Kneipe so gerne Karaoke. Das geht jetzt natürlich mal gar nicht“, meint der 26-Jährige und lacht. Andererseits sei er dankbar, dass er weiter arbeiten kann und finanziell abgesichert ist. „Außerdem konnte ich im letzten Jahr wegen Corona auch prima Gedichte schreiben“, fügt er hinzu. Vielleicht könnten seine Verse ja aktuell auch für andere Zuflucht sein?

Sein Buch spiegelt zudem einen anderen Aspekt seines Alltags wider. Niklas Müller ist nebenberuflich Model. „Eine Bekannte ist Fotografin. Und für die stand ich einfach aus Spaß mal Modell“, erzählt der 26-Jährige. Er habe sich eigentlich nie als fotogen empfunden. „Also ich dachte: Ich muss nicht vor die Kamera.“ Aber dann seien die Bilder Modelscouts in die Hände gekommen. Und eine Agentur habe ihn auf den Fashion-Laufsteg geschickt. „Na, das erste Mal war das schon aufregend. Da muss man plötzlich betont lässig gehen“, erinnert sich Müller lachend. Männer müssten Gott sei Dank nicht wie weibliche Models die Hüften schwingen. Aber man müsse eben total entspannt wirken. „Da hilft dann die Erfahrung“, sagt der 26-Jährige, der schon auf der Berliner Fashion Week und anderen deutschen Terminen auftrat. So habe er sich in der Studienzeit ein schönes Taschengeld zum Reisen verdient.

Gedicht als Weg zur Selbstvergewisserung

Nein, weiter habe er sich dann doch nicht in der Branche engagiert, fährt er fort. „Das wird irgendwann schon surreal.“ In seinem Gedichtband findet man Zeilen wie: „Wenn du in den Spiegel schaust, / siehst du dann dich selbst / oder die Worte anderer, / wie sie deinen Körper formen?“ Müller schreibt von „einer Welt, / die sich in Perfektion kleidet, / um ihre Einsamkeit zu verbergen“. Dann wird er im Gespräch selbstkritisch. „Ich bin ja bestimmt auch nicht der Dreitagebart-Schönling“, sagt er. Für den internationalen Markt habe er zudem nicht gepasst, weil Männer da noch schmalere Hüften haben müssten. Im Gedicht hat er den knallharten Ton der Branche so verinnerlicht: „Ich war dünn, aber nie dünn genug. / Ein Körper so zerbrechlich / Wie der Wunsch nach Anerkennung, / der ihn erst hervorbrachte.“ Das Gedicht als Weg zur Selbstvergewisserung.

Zur Literatur sei er übrigens wie andere Gleichaltrige durch die „Harry-Potter“-Bucher von Joanne K. Rowling gekommen, berichtet Müller. Dann habe er Gefallen an der kürzesten Literaturform gefunden und sich an Gedichte gewagt. Autoren wie die indisch-kanadische Schreiberin Rupi Kaur, die in den sozialen Medien Furore macht, hätten ihn ermutigt, seinen eigenen Stil zu finden, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie ein Gedicht auszusehen habe. „Sie sagt, sie schreibe, wie ihr die Gefühle kommen. Das tue ich auch“, sagt der 26-Jährige. Er erzeuge Bilder, erzähle Geschichten, bilde ab, was er sehe und fühle. Das „Ich“ in seinen Gedichten, das sei er selbst, keine Kunstfigur. Er wolle authentisch, er wolle ehrlich sein. Damit mache er sich in der Öffentlichkeit natürlich angreifbar, gibt Müller zu. „Aber bisher hatte ich Glück. Das kommt gut an.“

Viel Leid eines enttäuschten Liebhabers

Für den Leser ist viel Leid eines enttäuschten Liebhabers in seinen Gedichten zu spüren, wenn Müller „all die einsamen Nächte zu zweit“ rekapituliert. Aber da kommen durchaus auch aufmüpfige Zeilen vor wie: „Ich bin kein Rubbellos, / ich bin der Jackpot, / der noch nicht geknackt wurde.“ Müller wagt sich was, zumal er im Vorwort glasklar bekennt: Diese Gedichte seien so etwas wie sein Tagebuch. „Ich weiß, ich habe mich damit ziemlich ausgezogen vor den Leuten“, bekennt der 26-Jährige. Es sei ein enormer Schritt gewesen, seine Zeilen nicht nur Freunden, sondern auch online und dann im gedruckten Buch öffentlich zu machen. „Das ist ein Risiko. Aber ich habe es bisher noch nicht bereut“, sagt Müller. Und die geliebte Freundin, der er viele Gedichte lang nachtrauert, wie hat sie die Veröffentlichung aufgenommen? Er habe mit ihr vor der Herausgabe gesprochen, berichtet der 26-Jährige. Sie sei einverstanden gewesen. „Und jetzt mag sie das Buch sogar total gerne.“

Im Handel erhältlich: Niklas Müller, Zurück zu mir und darüber hinaus, epubli, Berlin 2021, 11,99 Euro

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