Wo Joschka Fischer Asterix-Hefte las Neues Buch nimmt das Bundesbüdchen unter die Lupe

Bonn · Das Bundesbüdchen ist viel mehr als nur ein Kiosk. Es ist ein Symbol für Bonn als Hauptstadt. Ein neues Buch nimmt das Büdchen unter die Lupe – wissenschaftlich, aber auch mit humorvollen Anekdoten.

 Karl-Heinz Erdmann hat ein ganzes Buch über das Bundesbüdchen und seine Geschichte geschrieben.

Karl-Heinz Erdmann hat ein ganzes Buch über das Bundesbüdchen und seine Geschichte geschrieben.

Foto: Martin Wein

Frische Brötchen, dampfend heißen Kaffee und auch den General-Anzeiger kauft man im ehemaligen Bundesviertel längst wieder im legendären Bundesbüdchen. Sogar die Bockwurst im Brötchen ist zurück wie in den Bonner Regierungstagen, als Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sie vor seinen Reisen jeweils zusammen mit einer Tüte Gummibärchen erwarb.

Demnächst hat der Kiosk, der seit 2021 von der Meckenheimer Bäckereikette „Mauel 1883“ betrieben wird, wohl als einziger in Deutschland auch ein eigenes Buch im Angebot. Der Bonner Geografie-Honorarprofessor Karl-Heinz Erdmann hat es zusammen mit Lukas Gielen und Johannes Stoltenberg geschrieben (BonnBuchverlag, 212 Seiten, 32,80 Euro).

In der Monografie, die mehr wissenschaftliche Studie sein möchte als unterhaltsame Anekdotensammlung, erheben die Autoren die ovale Bude auf der Grundlage diverser strukturierter Zeitzeugeninterviews mit dem letzten Besitzer und Betreiber Jürgen Rausch sowie mit ehemaligen Beschäftigten umliegender Bundesinstitutionen kurzerhand zum „Symbol der Bonner Republik“ – so lautet immerhin der Untertitel des Buches.

In den ersten Kapiteln skizzieren sie dazu die Entwicklung der jungen Bundesrepublik ab 1945 und des Bonner Bundesviertels bis in die Gegenwart. Anschließend beschreiben sie in erschöpfender technischer Detailtiefe, wie Christel Rausch Anfang der 1950er Jahre zunächst mit ihrem Obstkarren und später mit einem Pkw-Anhänger vor das Bundeshaus zog, um den Parlamentariern und ihrem Personal Frischobst und Zeitungen zu verkaufen. Außer den Kantinen, die nur zur Mittagszeit öffneten, gab es sonst keine Einkaufsmöglichkeiten. Niemand anders machte den Hunger der Bonner Republik zum Geschäftsmodell.

Buch über das Bundesbüdchen: Familiengeschichte bleibt auch in der aktuellen Veröffentlichung unerzählt

Die Familiengeschichte der Rauschs bleibt auch in der neuen Veröffentlichung leider weitgehend unerzählt, genauso wie die Frage, warum Hans Trossmann, der damalige Leiter der Bundestagsverwaltung, und die Stadt Bonn 1957 ausschließlich Christel Rausch zum Bau eines festen Kiosks direkt vor dem Bundeshaus anregten. Sogar einen Keller durfte sie ausschachten lassen zum Lagern der Vorräte. Immerhin passte der ovale, zeittypische Pavillon, den Rausch 1984 an ihren Sohn Jürgen übergab, nicht wirklich in die sonstige Bebauung.

Zwar betonen alle Zeitzeugen unisono, der Kiosk habe ihnen nur als profane Versorgungsstation gedient. Als informeller Treffpunkt über Partei- und Hierarchiegrenzen und bis zur Hauptstadtpresse hin erfüllte das Bundesbüdchen, wie es bald ebenfalls informell hieß, aber gewiss auch eine Kommunikationsfunktion. Das jahrzehntelange Regierungsprovisorium manifestierte sich in einer an sich banalen Zeitungsbude, die nur kurzfristig auch Nylonstrümpfe im Angebot führte (so viel zum langen Ringen um Emanzipation im Hohen Haus). „Der Pavillon steht gleichermaßen für die vielfältige, oft gegensätzliche Bebauung des Regierungsviertels, für das ,Provisorium Bonn‘ wie auch für die informelle und einzigartige Volksnähe der Bonner Republik“, fasst Philipp Hoffmann, Leiter des Zentrums für Stadtgeschichte und Erinnerungskulturen der Stadt Bonn, die Bedeutung des Büdchens in seinem Vorwort zusammen.

Buch über das Bundesbüdchen: Anekdoten über Stammgäste

Die anekdotischen Absätze über häufig gesehene Gäste lesen sich dann trotz des wissenschaftlichen Anspruchs vor allem ausgesprochen unterhaltsam. Von Helmut Kohl ist die Rede, der seinen Fahrer „Ecki“ Seeber häufig frische Brötchen holen ließ. Von Joschka Fischer, der jeden Werktag persönlich 16 internationale Zeitungen kaufte, aber nur die neuen Asterix-Hefte gleich vor Ort las. FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff sei hingegen während der Flick-Affäre um Parteispenden schon frühmorgens aufgetaucht, um die Zeitungen zu studieren, berichtet Pächter Rausch. Erst danach sei er zum Bonner Landgericht gefahren, wo in der fraglichen Sache ein Verfahren gegen ihn anhängig war. Es endete mit einer sechsstelligen Geldstrafe.

Medial bekannt wurde das Bundesbüdchen erstmalig im Sommer 1973, als es in verschiedenen Einstellungen als Kulisse für den 20. „Tatort“-Film „Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer“ diente. Im Spätherbst 1981 verkaufte dann der bekannte WDR-Journalist Friedrich Nowotny in der Bude ein paar Stunden lang Bockwürste für einen guten Zweck, nachdem er in der damals neuen ZDF-Abendshow „Wetten dass ..?“ bei Frank Elstner seine Wette verloren hatte. Selbst Kanzlergattin Loki Schmidt sei damals aus dem nahen Kanzlerbungalow herbeigeeilt, um eine heiße Wurst zu erwerben, berichten die Autoren.

Karl-Heinz Erdmann, der auch zuvor schon wiederholt zur Bonner Geschichte und auch ihres Karnevals geschrieben hat, hat sich nicht zufällig für das Bundesbüdchen begeistert. Schon als Schuljunge habe der Kessenicher sich bei Sonntagsspaziergängen mit seinen Eltern Kamelle an der Bude kaufen dürfen. Nachdem der Kiosk für den Bau des Marriott-Hotels abtransportiert worden war, musste das seit 2001 geschützten Baudenkmal länger auf seine Sanierung und Wiederaufstellung warten. Von den Kosten von über 400.000 Euro runden über 110.000 Euro aus Bundesmitteln finanziert, über 70.000 Euro trug die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bei. Die notwendigen Tiefbauarbeiten konnten Stiftung und Bund nicht finanzieren, weil sie nach ihren Regeln nur für das oberirdische Denkmal zuständig sind.

Erdmann hatte sich daher 2018 als Vorstandsmitglied der NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege zusammen mit dem Förderverein historischer Verkaufspavillon erfolgreich für eine finanzielle Unterstützung bei der Wiederaufstellung eingesetzt. Die andere Hälfte der Kosten übernahm die Stadt Bonn. So erzählt das Buch mit vielen Fotos auch die Geschichte der Rettung des unkonventionellen Baudenkmals und wie es 200 Meter von seinem alten Standort entfernt (dort ist heute die Zufahrt zum Marriott-Hotel) wieder zur Verpflegungsstation für die umliegenden Büros und Touristen wurde, jetzt allerdings ohne eigenen Keller.

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