Stadtrat trifft Entscheidung Ukrainische Stadt Cherson will Partnerschaft mit Bonn

Bonn · Russische Truppen zermürben die Bevölkerung der ukrainischen Stadt Cherson mit Artilleriefeuer. Der Bonner Stadtrat soll grünes Licht für Verhandlungen über eine Partnerschaft mit der Frontstadt geben.

 Ein Feuerwehrmann raucht, während er nach dem Löschen eines Feuers in Cherson eine Pause einlegt. Der Brand entstand durch russischen Beschuss auf ein Industriegebiet.

Ein Feuerwehrmann raucht, während er nach dem Löschen eines Feuers in Cherson eine Pause einlegt. Der Brand entstand durch russischen Beschuss auf ein Industriegebiet.

Foto: dpa/Libkos

Mangelndes Tempo kann man der Bonner Stadtverwaltung in diesem Fall wahrlich nicht vorwerfen. Nachdem am 18. Januar die Bitte um eine Städtepartnerschaft aus der ukrainischen Stadt Cherson im Stadthaus einging, soll der Stadtrat bereits in der Sitzung am Donnerstag seine grundsätzliche Bereitschaft dazu bekunden.

„Cherson hat konkret Bonn für die Partnerschaft angefragt. Dieser Bitte komme ich angesichts der furchtbaren Situation in Cherson gerne nach und schlage dem Rat die Solidaritätspartnerschaft vor“, sagte Oberbürgermeisterin Katja Dörner am Dienstag dem GA. Erste Kontakte bestünden bereits. „So haben mich zum Beispiel im vergangenen August der Landrat der Region Cherson und der Präsident der Landesversammlung der Cherson Oblast im Stadthaus besucht“, berichtet Dörner.

Die jüngsten Nachrichten aus der Stadt am Mündungsdelta des Dnepr rund 100 Kilometer nordöstlich der russisch besetzten Halbinsel Krim sind bedrückend. Allein am Montag sei die Stadt von Truppen der russischen Armee vom anderen Flussufer aus zehnmal beschossen worden, berichtet der Pressedienst der Stadtverwaltung Cherson. Fotos zeigen Einschläge in Wohnhochhäusern. Auch eine Kirche sei getroffen worden. Ein Bild zeigt geborstene Fenster und Türen.

Von den 283.000 Einwohnern im Jahr 2021 sind nach einem aktuellen Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ nur noch rund 40.000 in der Stadt und den umliegenden Dörfern geblieben oder dorthin zurückgekehrt. Nach der Rückeroberung der Stadt am 11. November durch ukrainische Truppen ist ihr Leben akut bedroht. Russische Truppen zermürben die Bevölkerung mit anhaltendem Artilleriefeuer. Nach Zählung der Stadtverwaltung kamen dadurch seither 77 Menschen ums Leben. Darunter ist auch ein Kind. 214 Menschen wurden verletzt, unter ihnen sechs Kinder.

Aktuelle Fotos der Stadtverwaltung Cherson zeigen, welche Spuren die ständigen russischen Angriffe hinterlassen.

Aktuelle Fotos der Stadtverwaltung Cherson zeigen, welche Spuren die ständigen russischen Angriffe hinterlassen.

Foto: Martin Wein

Auch die Sachschäden sind immens und erschweren zunehmend das Überleben in der Stadt. Die Verwaltung unter Bürgermeister Igor Kolychajev zählte Einschläge und Schäden an 58 Schulen, Kindergärten und Gebäuden der drei Hochschulen sowie bei 19 medizinischen Einrichtungen und Apotheken. Noch schwerer wiegen die Verluste im Wohnungsbestand. 850 Privathäuser und 484 Mehrfamilienhäuser wurden getroffen. Insgesamt seien bis zum vergangenen Wochenende 1504 Objekte durch russischen Beschuss beschädigt worden.

Weil ein sicherer Alltag vor allem in Flussnähe derzeit kaum möglich ist, organisiert die Stadt Cherson seit letzter Woche jeden Tag kostenlose Busse, die Freiwillige in sichere Gebiete im Raum Odessa bringen. Jeden zweiten Tag besteht auch eine Zugverbindung ins Landesinnere. Tausende wollen aber nicht gehen. „Wir reparieren Stromkabel, die Wasserversorgung, Fernwärme und Telefonkabel. Wir reinigen die Straßen und räumen vermintes Gelände. Wir organisieren Hilfspunkte, wo die Menschen Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und Lebensnotwendiges bekommen können“, schreibt der Leiter der ukrainischen Militärverwaltung in seinem Brief an Oberbürgermeisterin Katja Dörner.

Der ist die bedrohliche Lage in der Frontstadt bewusst. Sie sagt dazu: „Die besonders schwierige Situation darf meines Erachtens gerade nicht dazu führen, keine Unterstützung zu leisten. Auch ihr Amtskollege Kolychajew drängt zur Eile: „Wir werden keine bessere Chance bekommen, den Entwicklungsprozess unserer Heimatstadt zu beginnen, als jetzt“, schreibt er auf der Homepage der zivilen Verwaltung.

Bislang unterhält Cherson Städtepartnerschaften unter anderem mit der norwegischen Hauptstadt Oslo, dem polnischen Rzeszów, Schumen in Bulgarien, Zonguldak an der türkischen Schwarzmeerküste sowie mit der Wüstenstadt Tucson in den USA. Die Stadt Bonn strebt zunächst keine reguläre Städtepartnerschaft an, wie sie etwa mit Tel-Aviv-Jaffa in Israel gepflegt wird. Vielmehr sei an eine Solidaritätspartnerschaft gedacht. „Diese bezieht sich auf die konkrete Not-Situation. Sie kann schnell starten. Sollte die Stadt aber in russische Hand fallen, was bei einer Grenzstadt eine realistische Gefahr ist, werden wir die Partnerschaft beenden“, erläutert Stadtsprecherin Barbara Löcherbach.

Im Vordergrund solle „die humanitäre Unterstützung der Einwohnerinnen und Einwohner von Cherson und die Hilfe beim Wiederaufbau kommunaler Verwaltungsstrukturen“ stehen, heißt es in der Ratsvorlage. Nach dem Ratsbeschluss soll es laut Löcherbach zeitnah Gespräche mit den Verantwortlichen in der Ukraine geben.

Bei einem Abkommen könnte die Stadt Fördertöpfe der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder der Gemeinnützigen GmbH Engagement Global anzapfen, die beide ihren Sitz in Bonn haben. „Das haben bereits viele Kommunen getan“, berichtet Kurt-Michael Baudach, Abteilungsleiter Kommunalpartnerschaften Länder und Regionen bei Engagement Global.

Förderfähig sind aus dem Kleinprojektfonds Ukraine sowohl die Unterstützung beim Online-Dialog etwa mit Dolmetschern sowie auch konkrete Hilfen. Für jedes Projekt, etwa die Lieferung alter Rettungs- oder Feuerwehrfahrzeuge oder von medizinischem Gerät, stehen bis zu 50.000 Euro zur Verfügung. Die Stadt müsste lediglich einen Eigenanteil von zehn Prozent übernehmen. Diese Summen können auch aus Spenden aufgebracht werden.

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