Podiumsdiskussion im Bonner Münster Experten aus Recht, Ethik, Medizin und Kirche diskutieren über assistierten Suizid

Bonn · Wie reagieren, wenn ein Mensch sterben möchte? Über den Umgang mit Suizidassistenz in Deutschland haben Experten aus Recht, Ethik, Medizin und Kirche im Bonner Münster diskutiert.

 Viele Besucher bei der Podiumsveranstaltung mit (v.l.) dem Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., Udo Di Fabio, Medizinethikerin Christiane Woopen, Moderator Thomas Bade, UKB-Palliativdirektor Professor Lukas Radbruch und dem Bioethiker Pater Stefan Buchs.

Viele Besucher bei der Podiumsveranstaltung mit (v.l.) dem Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., Udo Di Fabio, Medizinethikerin Christiane Woopen, Moderator Thomas Bade, UKB-Palliativdirektor Professor Lukas Radbruch und dem Bioethiker Pater Stefan Buchs.

Foto: Benjamin Westhoff

So voll wie am Montagabend war die Münsterbasilika in den vergangenen Jahren kaum. Eine Viertelstunde vor Veranstaltungsbeginn schien jeder Platz belegt, sodass zusätzlich Bänke aufgestellt werden mussten. In das Gotteshaus gelockt wurden die rund 750 Bonner, darunter Ärzte, Pflegekräfte und Politiker, von der ersten Podiumsdiskussion des Stadtdekanats in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät und dem Katholischen Bildungswerk. Das Thema war keine leichte Kost: „,Assistierter Suizid‘ – Worum es geht und was auf dem Spiel steht“.

Der an der Uni Bonn lehrende Professor und Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., Udo Di Fabio, merkte zu Beginn an, dass nach Interpretation des BVerG zur Selbstbestimmung auch die Freiheit gehöre, sich das Leben nehmen zu können. Diese Auffassung sei nicht neu. Die Frage sei jedoch: „Welche Rahmenbedingungen schafft eine Gesellschaft, um mit diesem Recht umzugehen?“, so Di Fabio. Das Recht berge die Gefahr, dass bei Unterstützung der Selbsttötung ein Geschäft daraus werde und, dass „in diesem Geschäft die Autonomie des Einzelnen unter die Räder kommt.“

Was das konkret bedeutet? Aus den Niederlanden, wo der assistierte Suizid und die aktive Sterbehilfe unter bestimmen Bedingungen straffrei bleiben, seien Fälle bekannt, bei denen schwer kranke Menschen gedrängt wurden, sich für einen herbeigeführten Tod zu entscheiden, oder Scham empfunden hätten, wenn sie trotz schwerer Erkrankung leben wollten. Zudem bringe ein Mensch in Krise immer die Frage mit sich, wie autonom er sich aus der Situation heraus tatsächlich für das eigene Sterben entscheiden könne, merkte der Jurist an.

Dem Begriff der Autonomie des Menschen und seiner Auslegung kommt in der gesellschaftlichen Debatte eine bedeutende Rolle zu – darin schienen sich alle Mitglieder des Podiums, das von Phoenix-Redakteur Thomas Bade moderiert wurde, einig zu sein; darunter neben Di Fabio auch Medizinethikerin Professor Christiane Woopen, der Ärztliche Direktor der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am UKB, Professor Lukas Radbruch, und der Bioethiker Pater Stefan Buchs.

Radbruch wies darauf hin, dass schwer kranke Menschen im Wunsch nach dem Tod immer wieder schwanken würden, dass „gleichzeitig der Sterbewunsch und Lebenswille“ vorhanden seien und viele nicht wissen, welche Symptome durch die Palliativmedizin gelindert werden können. „Die Palliativmedizin hat nicht nur die Lebensqualität zum Ziel. Sie will das Leben weder verkürzen noch verlängern“, unterstrich er. Zu seinem Bild als Arzt passe es nicht, jemanden eine tödliche Medikation zu setzen.

Eine Perspektive, auf die auch Pater Buchs aufmerksam machte, denn immer müsse ein Arzt, „zusteuern“. Demnach ist das Medikament Natrium-Pentobarbital, das in anderen Ländern häufig zur Tötung verwendet wird, nicht ohne ärztlicher Beteiligung zu erwerben. „Begleitpersonen – zu Hause oder in der Klinik – assistieren bei dem Suizid. Sie müssen die Räumlichkeiten herrichten, etc. Was heißt das für diese Menschen?“, warf Buchs auf.

Forderung nach einem praxisnahen Gesetz

Von ihren Erfahrungen berichteten Mediziner und einen Klinikseelsorger, die das Podium unterbrachen und aus ihrem Berufsalltag erzählten. Alle von ihnen sind immer wieder mit Todeswünschen von Patienten konfrontiert und erachten es als wichtig an, Zeit für das Aufbauen einer Vertrauensbeziehung mit den Patienten zu haben, um Todeswünschen begegnen zu können. Sie vereint der Wunsch an die Entscheider in Berlin: ein Gesetz zu haben, das praxisnah und verständlich ist.

Radbruch hält jedoch die viel diskutierten Checklistenlösungen, nach denen ein assistierter Suizid legalisiert werden könnte, für nicht zielführend. „Alle Situationen sind kompliziert, müssen einzeln betrachtet werden.“ Es gehe nicht um Beratungsgespräche, die geleistet werden müssen, sondern darum, eine vertrauensvolle Beziehung zu dem Betroffenen aufzubauen. Das koste Zeit und Personal, sei jedoch unumgänglich.

Woppen geht einen Schritt weiter, in dem sie ein neues Suizidpräventionsgesetz forderte. Über 9000 Suizide jedes Jahr in Deutschland und zehn- bis zwanzigmal so viele Versuche, nicht nur von schwer kranken Menschen, würden Maßnahmen dringend erforderlich machen. Auch, wenn für die Medizinethikerin, Freiheit wichtiger als das Leben sei, warnte sie davor, dass ein Suizid zum Normalfall werde, und brachte einen Wunsch mit.

Soziales Umfeld hat wichtige Rolle

Sie machte auf die Bedeutung von Kommunikationsskills aufmerksam, die Menschen in der Pflege, aber auch in der Gesellschaft erlernen müssen, damit sie merken, wenn jemand davon spricht, sterben zu wollen. Woppen: „Ich wünsche mir Strukturen und Menschen, die das ins Leben hinein übersetzen, den Menschen ernst nehmen.“ Darauf sollte das Augenmerk der Gesetzgeber liegen.

Auch Pater Buchs schreibt dem Sozialgefüge der Betroffenen eine wichtige Rolle zu. „Hinter dem Suizidwunsch steht oftmals nicht der Todeswunsch, sondern der Wunsch, nicht mehr so zu leben, wie ich jetzt lebe.“ Vereinsamung und Abschottung seien wesentliche Faktoren dafür, die es von der Gesellschaft zu überwinden gelte. Kirche könne diese Gemeinschaft stiften. „Gemeinschaft lässt solche Wünsche nicht verschwinden, aber sie lässt sie kleiner werden.“

Am Ende des zweistündigen Podiums schien das Ziel der Veranstalter aufgegangenen zu sein: „Wir werden keine Lösungen finden können, aber wir werden Wege diskutieren, sich dem Thema anzunähern“, kündigte Moderator Bade schon zu Beginn an. Im Kreuzgang der Basilika wurde nach dem Podium bis spät in den Abend weiter diskutiert.

■ Das Video der Veranstaltung ist online auf dem YouTube-Kanal des Bonner Münsters verfügbar.

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