Schüler sitzen fest Bonner Vater bangt um seine Kinder in Kabul

Bonn · Mehrere Schüler und Erwachsene aus Bonn sitzen noch in Kabul fest. Auch Naqi A. war­tet bis­lang ver­geb­lich auf die Rück­kehr sei­ner Frau und seiner drei klei­nen Töch­ter aus der afghanischen Hauptstadt. Hil­fe er­fährt er von der Grund­schu­le, die sei­ne Kin­der be­su­chen.

 Soldaten sind am Flughafen Kabul im Einsatz.

Soldaten sind am Flughafen Kabul im Einsatz.

Foto: dpa/Stfw Schueller

Die Dramatik der Ereignisse in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind in diesen Tagen das beherrschende Thema auch in der deutschen Öffentlichkeit. Tausende Menschen harren weiterhin um den Flughafen der Stadt aus, während die internationalen Kräfte ihre Evakuierungen zum Teil bereits abgeschlossen haben. Der letzte Evakuierungsflieger der Bundeswehr ist am vergangenen Donnerstag gestartet. Zurück bleiben viele Menschen, auch deutsche Staatsbürger, die ebenfalls nach Deutschland heimkehren wollen.

Auch Bonner Familien sind darunter, mit ihnen auch zahlreiche Kinder, darunter allein drei von der Bonner Carl-Schurz-Schule. Deren Leiterin Claudia Köse und Sonderpädagoge Daniel Jakubik formulieren einen dramatischen Appell: „Wir fürchten um das Wohl unserer Schülerinnen und Schüler und ihrer Familien.“ Die Pädagogen berichten von weiteren Kindern, die mit ihren Angehörigen in Kabul oder anderen Teilen Afghanistans festsitzen sollen. „Wir wissen von insgesamt 13 Kindern und mindestens drei Müttern“, sagt Jakubik. Und dann sind da noch diejenigen, die in Bonn auf die Rückkehr ihrer Familien und Angehörigen hoffen.

Familie wollte eigentlich am 16. August zurückkehren

Einer von ihnen ist Naqi A. (Nachname der Redaktion bekannt), der bislang vergeblich darauf gewartet hat, seine Frau und seine drei Kinder wiederzusehen. „Ich habe sie eigentlich am 16. August zurückerwartet“, sagt der Mittdreißiger. Seine Frau und die drei Mädchen seien am 1. August aufgebrochen, um seine Schwiegereltern zu besuchen, die in Kabul leben – „wie schon ein paar Mal zuvor. Es gab in den letzten Jahren nie Probleme.“

Das sollte sich diesmal ändern. Mit fester Stimme spricht A. über eine Situation, die weniger gefestigte Zeitgenossen aufgrund ihrer Dramatik genauso gut überfordern könnte. „Einen Tag, bevor meine Frau und die Kinder ihre gebuchten Rückflüge nehmen wollten, kam die Nachricht, dass die Taliban Kabul erobert haben“. Was folgte, waren Bilder aus der Millionenstadt, die um die Welt gingen. Der Flughafen galt schließlich als letztes Tor zur Welt außerhalb Afghanistans.

Vergebliche Versuche, auf Passagierliste zu kommen

In Bonn stand der Vater von drei Töchtern im Alter von einem, acht und elf Jahren plötzlich vor der Frage, wann er seine Familie wiedersehen würde. „Erst habe ich natürlich gehofft, dass sie am Flughafen gute Chancen haben, weil sie ja deutsche Pässe haben.“ Nach mehreren vergeblichen Versuchen, auf die Warte- und Passagierlisten zu kommen, schwand diese Hoffnung mehr und mehr. „Sie haben es immer wieder versucht, meine Kinder waren unheimlichem Stress ausgesetzt“, berichtet A., der selbst 1998 als Geflüchteter mit seinen Eltern nach Deutschland kam. „Sie sind bei meinen Schwiegereltern halbwegs sicher, denke ich. Meine Frau beruhigt mich immer wieder. Sie sagt, ich solle mir keine Sorgen machen, sie würden nicht mehr rausgehen. Aber wie soll man sich in so einer Lage nicht um seine Familie sorgen?“

Der Bonner berichtet auch von dem, was seine Frau beobachtet haben will: „Es gibt dort viele Unruhen, meine Familie hat Gewalt hautnah mitbekommen.“ So erzählte seine Frau, dass bei einer Explosion Menschen vor ihren Augen verletzt worden seien – „auch Menschen aus Bonn“, sagt A. Er selbst wisse von mehreren Familien aus Bonn, „25 bis 30 Menschen“, die ebenfalls noch in Kabul ausharren. Einzelheiten über das Schicksal weiterer Bonner Bürger in Kabul waren am Freitag trotz intensiver GA-Recherche nicht zu erfahren.

Schwere Vorwürfe an die Bundesregierung

Die deutschen Pässe seiner Frau und der Kinder hätten ihnen nichts genutzt, sagt der Familienvater. Ärger steige in ihm auf, wenn er daran denkt, dass Deutschland und etliche andere Nationen ihre Evakuierungsflüge abgeschlossen haben. Die Gefasstheit weicht Wut und Enttäuschung. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und Ministerien – seine Familie habe schließlich deutsche Pässe, die Kinder seien in Deutschland geboren: „Wieso tut man jetzt nichts mehr für seine Landsleute?“

A. berichtet von Menschen mit afghanischen Wurzeln, die ohne Papiere den Weg aus Kabul nach Deutschland, Belgien oder die Niederlande geschafft hätten. „Anderswo geht es doch auch“, sagt er. Die Aussage lässt sich unmittelbar nicht nachprüfen. Bei A. sitzt der Frust über diesen Umstand jedoch tief. Mit der letzten offiziellen Maschine der Bundeswehr sei auch ein Stück Hoffnung gewichen.

Kontakt durch Telefonate und Videos

Bis dahin hatte er von Bonn aus alles Mögliche unternommen, um seine Frau und die Kinder zu unterstützen. „Ich habe das Auswärtige Amt zig Mal kontaktiert, es hieß dann immer wieder: Ihre Familie bekommt einen Code, sie kommen auf eine Liste. Irgendwann kam dann nichts mehr.“ Wie sich die Mädchen und auch seine Frau, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, aktuell fühlen, weiß er nur aus Telefonaten und Videos. „Die Kinder sind traurig, sie haben Angst, sie kennen das Land nicht so gut wie wir Erwachsenen“, zählt er auf.

Alle hätten sich gefreut, Zeit bei den Großeltern zu verbringen. „Für meine Schwiegereltern war es etwas Besonderes, die Kleinste zu sehen. Ich bin froh, dass sie wenigstens nicht durch das halbe Land reisen mussten. Aber die Situation ist auch so heftig genug.“ Er schlafe schlecht, esse wenig. „Man versucht, irgendwie klarzukommen. Meine Eltern und Freunde sind hier für mich da. Wenn die Schule nicht wäre, hätte ich nicht viel echte Unterstützung beim Versuch, meine Familie zurückzuholen.“

Carl-Schurz-Schule setzt sich für Familien ein

In Absprache mit den Eltern von in Afghanistan verbliebenen Schulkindern hat die Carl-Schurz-Schule in den vergangenen Tagen an viele Türen geklopft, real wie digital, um etwas zu erreichen. Von der Kommunalpolitik über den Auswärtigen Ausschuss bin zum Kanzleramt – der Ruf aus Tannenbusch nach Unterstützung ist breit gestreut.

So unsicher wie die Lage für Naqi A. und seine Familie ist, so ist sie es auch über deren Horizont hinaus. Wie viele Bonnerinnen und Bonner in Kabul tatsächlich festsitzen, lässt sich derzeit nicht sagen. Das Afghanische Konsulat in Bonn und zahlreiche andere Stellen waren am Freitag für eine Information nicht zu erreichen. „Notfalls fliege ich selber hin“, sagt A. auf die Frage, was er als nächstes unternehmen wolle. „Ich gebe die Hoffnung jedenfalls nicht auf.“ Seine Älteste solle schließlich bald auf die weiterführende Schule gehen. „Und zwar in Bonn.“

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