Dienst an Adenauers „Computer“ Kessenicherin arbeitete in den 1950er Jahren im Kanzleramt

Kessenich · Christel Kaltenbach aus Kessenich arbeitete in den 1950er Jahren als Schreibkraft im Bundeskanzleramt in Bonn. Hier bediente sie eine der ersten nicht-analogen Telefonvermittlungsanlagen in Deutschland – und kam Kanzler Konrad Adenauer ab und zu auf Sichtweite nahe.

 Christel Kaltenbach (90) aus Kessenich erinnert sich gerne an ihre Zeit in den 1950er Jahren im Kanzleramt in Bonn zurück.

Christel Kaltenbach (90) aus Kessenich erinnert sich gerne an ihre Zeit in den 1950er Jahren im Kanzleramt in Bonn zurück.

Foto: Stefan Knopp

Da saß sie nun an diesem Gerät, das sie bis heute „Computer“ nennt. Ein- bis zweimal in der Woche hatte Christel Kaltenbach (90) abends Bereitschaftsdienst an der Telefonschaltzentrale des Bundeskanzleramtes, musste Anrufer weitervermitteln oder zur Stelle sein, wenn sie als Schreibkraft angefordert wurde. „Ich saß mit Herzklopfen da“, erzählt sie. Denn es hätte ja sein können, dass der Bundeskanzler etwas von ihr wollte. „Aber ich wurde nie zu Adenauer gerufen. Ein Glück.“

Zwischen 1952 und 1955 war Christel Kaltenbach – da hieß sie noch Pardeyke – eine von sieben Schreibkräften im Kanzleramt, damals im Museum Koenig untergebracht. Zur Arbeit gehörte eben auch der regelmäßige Telefondienst an dieser großen Apparatur mit Holzverkleidung in der Villa Hammerschmidt. Damit gehört sie zu den ersten Menschen in Deutschland, die die Telefonvermittlung nicht mehr durch analoges Umstecken an großen Schaltkästen leisteten, sondern im Prinzip digital per Knopfdruck. Die erste Anlage dieser Art stand in Frankfurt, die zweite sollte die Amtsgespräche in Bonn abhörsicherer machen.

 Der Arbeitsplatz von Christel Kaltenbach war im Museum Koenig. Dort war das Bundeskanzleramt von 1949 an eine Zeit lang untergebracht.

Der Arbeitsplatz von Christel Kaltenbach war im Museum Koenig. Dort war das Bundeskanzleramt von 1949 an eine Zeit lang untergebracht.

Foto: Privat

Beruflicher Anfang bei einem Rechtsanwalt in Herford

Christel Kaltenbach wurde 1931 im pommerschen Lauenburg geboren. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden sie und ihre Familie durch die Russen von dort vertrieben. Sie gelangten über Rostock nach Schweicheln bei Herford. Die Tochter absolvierte die Mittlere Reife in Herford und hatte dann Glück: Ein Rechtsanwalt in Herford sollte eine Ausbildungsstelle mit einem Vertriebenenkind besetzen. „Ich war die einzige Vertriebene in der Klasse.“

In Windeseile lernte sie Stenografie und Schreibmaschineschreiben, damit sie juristische Texte zu Papier bringen konnte. Bei der ersten Bundestagswahl entschied sich die Familie gegen den Trend – „in Herford wurde SPD gewählt“ – und gab die Stimmen für die CDU ab. Ein gutes Omen für die spätere Arbeit, könnte man meinen. Und dann wieder Glück: Ihr Vater, ein Beamter, hatte Kontakte nach Bonn – da kannte einer einen, der wusste, dass im Bundeskanzleramt Schreibkräfte gesucht wurden. Während der Vater eine Anstellung im damaligen Bundesvertriebenenministerium erhielt, hatte seine Tochter einen Vorstellungstermin im Kanzleramt. „Da wurde ich geprüft von drei Herren“, erzählt Christel Kaltenbach. Steno-Schnellschreiben: eigentlich kein Problem. Sie war aber Kürzel von juristischen Texten gewohnt und brauchte für den aufgegebenen kaufmännischen Text etwas länger. Für die Prüfer war sie aber schnell genug.

Adenauer bei den Weihnachtsfeiern auf Sichtweite

Dann bezog sie ihren Schreibtisch im Museum. Mit Konrad Adenauer hatte sie nichts zu tun, ihn sah sie nur bei den Weihnachtsfeiern ihrer Abteilung, auf denen er sich immer blicken ließ. Und an Weiberfastnacht gab es einen Korb mit Weinflaschen vom Kanzler. Ab 11 Uhr die Arbeit liegen zu lassen, sich zu Hause umzuziehen und dann mit Mitarbeitern und Vorgesetzten teils per Du feiern, das kannte sie gar nicht. „Am nächsten Morgen waren wir wieder per Sie.“

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Schon damals wohnte die Familie in Kessenich, und dort lebt sie noch heute. 1955 heiratete sie ihren Mann, den Christel Kaltenbach im Bundeskanzleramt kennengelernt hatte, und danach arbeitete sie nicht mehr. Aber auch mit 90 Jahren erinnert sie sich gerne zurück.

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