Auftakt zur Weltklimakonferenz Wie Delegierte und Beobachter in Bonn aufs Klima schauen
Bonn · 5000 Delegierte beraten bis zum 15. Juni im Bonner Kongresszentrum über Wege aus der Klimakrise. Unter ihnen ist auch eine Stammesvertreterin der Yuqui.
Muhammed Jeng ist auf der Bonner UN-Klimakonferenz in diesem Jahr unter den erwarteten bis zu 5000 Gästen vermutlich der jüngste Teilnehmer. Adrett angezogen und mit einer Mütze auf dem Kopf strahlt der acht Monate alte Säugling aus Gambia in die Kamera des GA-Fotografen. Muhammed hat sogar einen eigenen Teilnehmer-Ausweis bekommen. Aber seine Mutter Fatou, die für das UN-Klimasekretariat arbeitet, hat ihn sich um den Hals gehängt. Das Band wäre einfach zu lang. „Ich habe ihn ganz bewusst mitgebracht“, sagt sie. Das solle den Delegierten zeigen, dass die Kinder der Welt die Großen und ihre Entscheidungen nicht aus den Augen lassen.
An der Küste von Gambia steigt der Meeresspiegel
Schmerzhaften Entscheidungen, die aus Fatous Sicht jetzt getroffen werden müssen. Ihr Land Gambia im tropischen Zentralafrika gehöre zur Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Landwirtschaft dominiere das Wirtschaftsleben. „An unseren Küsten steigt bereits der Meeresspiegel. Das Land vertrocknet immer stärker. Die Dürre ist allgegenwärtig. Und damit ist auch unser Regenwald in akuter Gefahr“, warnt Fatou Jeng.
Es sei höchste Zeit, dass der UN-Fonds zum Ausgleich von Schäden und Verlusten durch die Klimakrise handlungs-, sprich zahlungsfähig werde. „Sonst setzen wir alles aufs Spiel“, sagt Jeng. Dann setzt sie ihren Jungen in seinen Kinderwagen und macht sich mit einer Kollegin auf den Weg zum nächsten Meeting.
Aus Tucson in Arizona ist Andrea Carmen angereist. Ihre Stammesgemeinschaft der Yuqui siedelt sowohl in den USA wie auch im mexikanischen Nachbarbundesstaat Sonoma. An sich schon eine politisch schwierige Situation, die durch Hitze und Wassermangel weiter verschärft werde. Carmen vertritt als geschäftsführende Direktorin in Bonn den International Indian Treaty Council (IITC), der für die Rechte indigener Gruppen eintritt. „Obwohl wir am wenigsten dafür verantwortlich sind, sind wir indigenen Völker der Klimakrise besonders intensiv ausgesetzt“, sagt sie.
Vorsorge treffen mit Anpassung
In Verantwortung für künftige Generationen und alle anderen Lebewesen müsse nun endlich ein Umsteuern gelingen. Dazu muss aus ihrer Sicht die Vorsorge intensiviert werden. „Wir sollten nicht vordringlich Schäden ausgleichen. Vieles lässt sich gar nicht mit Geld kompensieren. Wir müssen stattdessen mit Klimaschutz und Anpassung Vorsorge treffen, bevor alles noch viel schlimmer wird“, sagt Carmen. So bemühe sich ihr eigenes Volk, wieder Bisons in der Prärie anzusiedeln statt der seit Langem vorherrschenden Rinder. Carmen erklärt: „Bisons sind besser angepasst und schonen das Land.“
Audrey Luiza Almeida Gonçcalves hat eben einen Blick auf das Podium in der zentralen Plenardebatte im großen Saal New York geworfen. Jetzt tippt sie in einem der bequemen Sessel in der gläsernen Lobby eine Nachricht in ihr Mobiltelefon. Die 26-Jährige aus Belo Horizonte in Brasilien ist zum ersten Mal als Beobachterin für eine große südamerikanische Jugendorganisation auf einer UN-Konferenz. Und sieht dringenden Handlungsbedarf. „Hier dominieren immer noch alte weiße Männer die Veranstaltung“, merkt sie an. Verfahrensfragen bestimmten die Debatten. „Dabei haben indigene Gruppen und auch die Zivilgesellschaften so viele Lösungsansätze für die vielen Einzelfragen zum Schutz des Klimas zu bieten“, appelliert sie, „man müsste sie nur stärker einbeziehen.“
Das wünscht sich auch Johnny Stengel aus Hamburg. Der 23 Jahre alte Masterstudent hat schon die zwei letzten UN-Klimakonferenzen in Glasgow und Sharm-el-Sheikh miterlebt. Jetzt ist er für eine Woche zum ersten Mal bedeutend klimaschonender zu einer Zwischenkonferenz nach Bonn angereist. Gerade kommt er aus einem Briefing des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie in einem der Nebenräume. Auf seinem T-Shirt prangt gut sichtbar das Ziel 1,5 Grad. „Die Erkenntnisse dazu sind da“, sagt Stengel, der für die BUND-Jugend als Beobachter akkreditiert ist, „ich würde mir nur wünschen, dass unser Bundeskanzler auch den Wissenschaftlern mal zuhören würde.“
Für die Heizung der Zukunft etwa stehe praktisch kein grüner Wasserstoff zur Verfügung, nennt der junge Mann ein Beispiel, „deshalb macht es auch keinen Sinn, den als mögliche Alternative zu Fernwärme und Wärmepumpen zu forcieren“.
Absichtserklärungen für weit in der Zukunft liegende Einsparziele brächten wenig konkrete Erfolge, glaubt der junge Aktivist. Ganz praktisch könnte das WCCB zum Beispiel damit anfangen, auf dem Platz der Vereinten Nationen deutlich mehr Fahrradständer aufzustellen. Am Eröffnungsmorgen reichten die vorhandenen bei Weitem nicht aus – und die nächste Bonner Klimakonferenz kommt bestimmt.