Ruhestätte in Bonn Stadt räumt Grabstätte von jüdischer Familie ab

Bonn · Große Aufregung um die letzte Ruhestätte der jüdischen Verlegerfamilie Cohen-Bouvier: Die Verwaltung hatte die Grabstätte abgeräumt, die Fläche eingesäht und den mächtigen Grabstein entsorgt. Nun hat die Stadt reagiert.

 Stehen vor der wiederhergerichteten Grabstätte der Familie Cohen-Bouvier auf dem Poppelsdorfer Friedhof: Christiane (links) und Friedegard Cohen.

Stehen vor der wiederhergerichteten Grabstätte der Familie Cohen-Bouvier auf dem Poppelsdorfer Friedhof: Christiane (links) und Friedegard Cohen.

Foto: Benjamin Westhoff

Da trauten Christiane und Friedegard Cohen auf dem Poppelsdorfer Friedhof kaum ihren Augen: Die Ruhestätte der Familie Cohen-Bouvier, die auf einer Tafel am Eingang als „bedeutsames Grab“ bezeichnet wird, war im Mai 2018 ohne Rücksprache von der Friedhofsverwaltung leergeräumt, die Fläche frisch eingesät worden. Den mächtigen Grabstein habe man „entsorgt“, habe die Verwaltung auf Nachfrage erklärt. Und erst ein Freund fand ihn dann beschädigt und sicherte ihn, sagt Friedegard Cohen. Sie gehört zum Kölner Zweig der bekannten jüdischen Familie und setzt sich mit ihren Geschwistern seither für die Wiedererrichtung, Würdigung und für eine Übernahme der Verantwortung durch die Stadt Bonn ein.

„Die Grabstätte der Familie Cohen-Bouvier auf dem Poppelsdorfer Friedhof ist versehentlich durch die Stadt abgeräumt worden“, bestätigte das Presseamt auf GA-Anfrage. Sie sei zwar weder denkmalgeschützt noch eine Ehrengrabstätte, dennoch sei sie als erhaltenswerte Grabstätte eingestuft und hätte deshalb nicht geräumt werden dürfen. „Für dieses Versehen hat die Stadt die Familie um Entschuldigung gebeten“, so das Presseamt. Die Grabstätte sei auf Kosten der Stadt wiederhergerichtet und werde künftig von ihr unterhalten. Aus diesem Anlass lädt die Familie am 15. November vor Ort zu einer öffentlichen Gedenkfeier ein. „Die Cohens haben immerhin Bedeutendes für die Stadt geleistet“, betont Friedegard Cohen. Generationen von Bonnern hätten in der zentralen Universitätsbuchhandlung Bouvier eingekauft, ohne noch etwas über die Gründer zu wissen.

Geschichte der Erzählerfamilie

Am Grabstein entlang lässt sich denn auch die erfolgreiche, dann aber tragische Geschichte der Verlegerfamilie erzählen. Friedegard Cohens Vater Erich hatte dazu recherchiert. Im Grab liegt also Friedrich Cohen (1836-1912) mit seiner Frau Helene (1842-1914), der die seit 1829 prosperierende Buchhandlung seines Vaters Maximilian Cohen (1806-1865) bis 1912 Am Hof 30 zur ersten Adresse gemacht hatte. Die Wissenschaft ging also direkt gegenüber vom Uni-Hauptgebäude bei den Cohens ein und aus. Heute wartet dort ein Tapas-Restaurant auf Gäste.

Letzte Ruhe im Grab fand auch Friedrichs Sohn Fritz (1872-1927) mit seiner Frau Hedwig Cohen-Bouvier (1883-1960). Bis zu seinem plötzlichen Tod 1927 expandierte er das Verkaufs- und Verlagsgeschäft und verstärkte das Engagement für die Bildende Kunst mit Hilfe seines Bruders Walter Cohen (1880-1942). Der war ein renommierter Kunsthistoriker, der ab 1908 Direktorialassistent am nachmaligen Landesmuseum Bonn und später Kustos der städtischen Kunstsammlungen Düsseldorf wurde. Walter Cohen war mit der Maler-Avantgarde, mit August Macke, Franz Marc und Paul Klee, befreundet. Er brachte 1913 die legendäre „Ausstellung Rheinischer Expressionisten“ nach Bonn: in den Kunstsalon seines Verlegerbruders Fritz. „Wir erinnern bei unserer Gedenkfeier auch an Walter Cohen“, sagt Friedegard Cohen. Der von den Nazis verfolgte Verwandte starb 1942 im KZ Dachau.

Fast in den Ruin getrieben

Mit der Naziherrschaft sei auch die Bonner Universitätsbuchhandlung schnell zum Hauptangriffsziel der nationalsozialistisch orientierten Studenten geworden, berichtet die Nachfahrin. Deren Boykott jüdischer Geschäfte habe Fritz Cohens Witwe Hedwig, geborene Bouvier, fast in den Ruin getrieben. Unter Druck nannte sie den Betrieb ab 1937 „Buchhandlung H. Bouvier u.Co“. Zug um Zug sei alles „arisiert“ worden. Zuerst als Geschäftsführer, dann seit 1941 als Teilhaber sei Herbert Grundmann 1953 schließlich Alleininhaber geworden, so Cohen. Das Geschäft sollte dann bis zur Schließung 2013 unter dem Namen „Bouvier“ weiter bestehen: bis 2004 durch die Grundmanns und zuletzt durch das Unternehmen Thalia.

Ebenfalls im Grab liegen die Söhne Hedwig Cohen-Bouviers, Fritz Cohen (1904-1967) und Klaus Bouvier (1910-1994), und zwar mit Fritz` Ehefrau Elsa Kahl-Cohen (1901-1992). Alle Drei hatten wie die Cohen-Schwester Dora ihr Leben vor den Nazis durch Flucht nach England und in die USA retten müssen. Klaus hatte Verlegernachfolger in Bonn werden sollen. In New York arbeitete er später im selben Beruf. Bruder Fritz (Friedrich Alexander) war Komponist und machte mit seiner Frau Elsa, einer Tänzerin, in der Musik-Company Kurt Joos Karriere. Originalnoten des in den USA als Frederick A. Cohen bekannten Künstlers sind kürzlich wieder aufgetaucht. Der Musiker Albrecht Maurer wird bei der Gedenkfeier in Anlehnung an diese Kompositionen zu Bildern der Toten spielen.

„Wir wollen der sieben in der Grabstätte ruhenden Menschen und des im KZ Dachau verstorbenen Verwandten und ihrer Bedeutung für das Kulturleben der Stadt Bonn und darüber hinaus gedenken,“ so Friedegard Cohen. Bonner Bürger seien herzlich willkommen, auch ihre Erinnerungen an die Cohens beizusteuern.

„Alle reden über Halle, alle reden über zunehmenden Antisemitismus. Hier kann Bonn ein Zeichen setzen“, meint die Nachfahrin. Enttäuscht seien sie als Einladende jedoch, dass wohl weder von der Stadt noch von der Universität Vertreter zur Feier kommen werden, fügt sie hinzu. „Diese Zurückhaltung verstehen wir nicht.“

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