Passiver Widerstand 1923 Als Bonn gegen die Ruhrbesetzung protestierte
Bonn · In Bonn steht das öffentliche Leben am 15. Januar 1923 aus Protest gegen die Ruhrbesetzung still. Während die Auseinandersetzung in Bonn friedlich bleibt, hat der passive Widerstand im Ruhrgebiet selbst dramatische Folgen.
Am 11. Januar 1923 marschieren zunächst 60.000 französische und belgische Soldaten in das gesamte Ruhrgebiet bis hoch nach Dortmund ein. Später folgen weitere Truppen. Sie sollen dort die Kohle und Koksproduktion beschlagnahmen, weil Deutschland im Jahr zuvor nicht seinen Reparationspflichten aus dem Versailler Friedensvertrag nachgekommen sei. Die alliierte Reparationskommission hat der Regierung in Berlin Anfang des Jahres gar vorgeworfen, absichtlich Lieferungen zurückgehalten zu haben. Weil die wirtschaftliche Lage in Deutschland sich zusehends verschlechtert, haben die Alliierten auf eine Zahlung in Goldmark verzichtet und stattdessen Sachleistungen angeordnet. Aber auch die möchte die Reichsregierung unter dem parteilosen Kanzler Wilhelm Cuno nicht akzeptieren. „Festgefahren!“ titelt der General-Anzeiger zu den Verhandlungen.
Stattdessen ruft Cuno die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf – auch in Bonn. Die Stadt ist seit dem Ende des Ersten Weltkriegs wie alle Gebiete links des Rheins von alliierten Truppen besetzt. Der Versailler Friedensvertrag schreibt die Besatzung bis 1935 fest. Deutsche Truppen dürfen sich in dieser Zeit nicht im Rheinland aufhalten. In Bonn wird sie allerdings nur bis 1926 dauern. Die Interalliierte Rheinlandkommission in Koblenz fungiert für Bonn faktisch als Ordnungsmacht.
Die Kommission hat Demonstrationen im Freien nach der vollständigen Besetzung des Ruhrgebiets untersagt. Deshalb kommt das Leben in Bonn wie sonst auch an Rhein und Ruhr am 15. Januar in einer halbstündigen Schweigepause zum Erliegen. Der General-Anzeiger schreibt tags drauf: „Die halbstündige Arbeitsruhe, die gestern von 11 bis 11.30 angesetzt war, wurde allenthalben durchgeführt. Das angekündigte Glockengeläute unterblieb, stattdessen ertönte aus den verschiedenen Stadtteilen das Geheul von Fabriksirenen. Die Geschäfte blieben während dieser Zeit geschlossen und wo man hier und da noch Käufer antraf, wurden sie und die Inhaber nachdrücklich auf ihre Pflicht aufmerksam gemacht. Auf dem Markt und in den angrenzenden Straßen herrschte Sonntagsverkehr. Mehrfach wurden Straßenbahnwagen, die nach 11 Uhr noch weiterfahren wollten, von der Menge angehalten und die Insassen zum Verlassen der Wagen aufgefordert. (…) In den Schulen wurde durch kurze Ansprachen auf die Bedeutung der Stunde aufmerksam gemacht.“
Während die Auseinandersetzung in Bonn friedlich bleibt und die Zeitung sich am Tag danach vor allem einem spektakulären Raubmord in Siegburg widmet, hat der passive Widerstand im Ruhrgebiet selbst dramatische Folgen. Als Arbeiter und die Werksleitung der Firma Krupp den Abtransport werkseigener Lkw verhindern wollen, schießen französische Soldaten in die Menge. 13 Menschen sterben. Die Auseinandersetzung geht als „Essener Blutsonntag“ in die Geschichte ein.
Letztlich heizt der Ruhrkampf die in Folge des Ersten Weltkrieges entstandene Inflation massiv an. Schließlich hat die Reichsregierung die Fortzahlung der Löhne für rund zwei Millionen Arbeiter im Ruhrgebiet übernommen, die nach der Besetzung in den Generalstreik getreten sind. Auf Dauer kann Deutschland diese Belastung nicht durchhalten. Zugleich fördert die Entwicklung die ohnehin starken revanchistischen und nationalistischen Tendenzen in weiten Kreisen der Bevölkerung. Die junge Republik steht vor einer Bewährungsprobe.