Bonner Schulprojekt Schüler putzen Stolpersteine und reflektieren Nationalsozialismus

Bonn · Die Gräueltaten der Nazis werden greifbarer, wenn man den Opfern etwas näher kommt. Das fanden zwei Lehrerinnen der St. Hedwig-Hauptschule und planten deshalb ein Projekt für ihre Abschlussklassen: Ein „digitaler Lehrpfad“ inklusive Putzen von Stolpersteinen.

 Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen 10a und 10c der St. Hedwig-Hauptschule in Bonn erfahren den historischen Hintergrund der Stolpersteine.

Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen 10a und 10c der St. Hedwig-Hauptschule in Bonn erfahren den historischen Hintergrund der Stolpersteine.

Foto: Benjamin Westhoff

Eva-Maria Berges kniet vor dem ehemaligen Haus einer deportierten Bonner Familie. Anna Levys Name steht auf einem von fünf Stolpersteinen. Sie war eines von mehreren Millionen Opfern des Holocausts. „Die Frau ist vielleicht eine Oma gewesen. Hier steht, dass sie gedemütigt wurde. Die Menschen haben hier ihre Rechte verloren“, erzählt sie am Freitag einer Gruppe von Jugendlichen, die ihr gebannt zuhören. Es sind Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen 10a und 10c der St. Hedwig-Hauptschule in Bonn. Sie putzen am Freitag Stolpersteine in Bonn. Es ist Teil eines digitalen Pfades zur Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen. Berges ist mit bemerkenswerter Leidenschaft bei der Sache.

Gleichzeitig bleibt sie auf Augenhöhe mit den Schülerinnen und Schülern, wählt einfache, klare Worte. Die Zehntklässler sind mit Konzentration und Spannung bei der Sache. Berges und ihre Kollegin Julia Braun schließen eine fächerübergreifende Unterrichtsreihe ab. Die Aktion am Freitag ist eine praktische Aktion. Die ist nötig, um das Thema greifbar für die Jugendlichen der Anschlussförderklassen zu machen.

Aktion schafft Bewusstsein für Stolpersteine bei Schülern

Nicht wenige Schüler waren selbst in Berührung mit Krieg und Flucht, kommen ursprünglich aus Syrien, dem Irak oder Iran. So zum Beispiel Hevy, Katalina und Walid. Sie sind 2015 und 2017 nach Deutschland geflohen. Die Aktion finden sie schön. „Es ist komisch, vor dem Haus dieser ermordeten Familie zu stehen. Man kriegt Gänsehaut bei dem Gedanken, dass hier jemand gelebt hat“, kommentiert Walid das Haus hinter Levys Stolperstein. Youness, ein anderer Zehntklässler, wurde durch die Aktion erst auf die Stolpersteine aufmerksam, er kannte sie vorher nicht. „Ich finde, das ist ein schönes und wichtiges Andenken“, sagt er.

Ähnlich wie Walid hat Sara die Stolpersteine bislang zwar wahrgenommen, doch ihren Sinn nicht gekannt. Sie findet es „schade, dass man so etwas übersieht und einfach weitergeht“. Die deportierte Anna Levy stellt sie sich wie eine etwas ältere Dame mit kurzen Haaren vor. Die Schüler sind alle froh, mal an der frischen Luft und an Gegenständen mit Realitätsbezug zu lernen.

Über 90.000 Stolpersteine wurden bisher verlegt

Nachdem sie die Steine poliert und Informationen zum Standort gesammelt hat, geht die erste Gruppe weiter. Die Klassen wurden in Einheiten aufgeteilt, die mithilfe einer vom Land NRW zur Verfügung gestellten App („Bipacours“) eine Art Schnitzeljagd durch die Stadt machen sollen. Zwei Stolpersteine sind als Ziele vorgegeben, drei weitere müssen die Jugendlichen selbst finden. An den jeweiligen Orten müssen sie außerdem ihre Eindrücke über die Gegend in Form von Fotos, Videos und Audiodateien festhalten. „Mit Sprachdateien können manche der Schüler ihre Assoziationen besser artikulieren, als mit geschriebenen Texten“, erklärt Lehrerin Berges.

Stolpersteine sind ein EU-Projekt, das von dem Künstler Gunter Demnig 1992 angestoßen wurde. Sie sollen an die Gräueltaten des NS-Regmies und ihre Opfer erinnern. In mittlerweile 1265 Kommunen Deutschlands und 26 Ländern Europas haben Demnig und sein kleines Team über 90.000 Stolpersteine verlegt. Der erste Stolperstein in Bonn wurde Mitte 1992 gesetzt. Die Stadtverwaltung hat eine Karte mit allen Steinen im Stadtgebiet auf ihrer Seite.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort