Regionale Hilfe Bonner Therapeuten gründen ADHS-Netzwerk

Bonn · Zwei Bonner Therapeuten haben ein regionales Netzwerk zur Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gegründet. Jens Haetzel und Marcus Raible wollen damit eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene und Fachkollegen bieten.

Wenn Lernen wegen mangelnder Konzentrationsfähigkeit immer mehr zur Qual wird, kann dahinter auch ADHS stecken.

Wenn Lernen wegen mangelnder Konzentrationsfähigkeit immer mehr zur Qual wird, kann dahinter auch ADHS stecken.

Foto: picture alliance / dpa

Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Etwa fünf Prozent der Sechs- bis 18-Jährigen in Bonn und der Region sind nach Angaben der Selbsthilfeorganisation ADHS Deutschland davon betroffen. Kinder und deren Eltern müssen sich oft den Strapazen einer Therapie-Odyssee unterziehen, bis die Diagnose eindeutig ist. Das Regionale Netzwerk ADHS Bonn will nun Abhilfe schaffen.

„Das Netzwerk soll eine zentrale Anlaufstelle für betroffene Menschen und fachliche Kolleginnen und Kollegen sein“, sagten die Initiatoren Jens Haetzel und Marcus Raible vom Bonner Lern- und Therapiezentrum bei der Präsentation ihrer Ziele. Die Gründung war am Wochenende eingebettet in ein zweitägiges ADHS-Symposium, das sich im Wissenschaftszentrum an der Ahrstraße unter anderem mit neuen Ergebnissen wissenschaftlicher Studien befasste. Anliegen der Initiatoren ist die Erarbeitung eines Hilfsangebotes vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter. „Hilfe für betroffene Familien“ und „Profis im Netzwerk unterstützen Profis“ sind die zwei Säulen. Zur ersten gehören die Diagnostik durch die Uni- sowie die LVR-Klinik in Bonn, Therapiemöglichkeiten für Kinder und Erwachsene, Selbsthilfegruppen und Begleitung in Schule, Ausbildung und Beruf.

Multiprofessionelles Team soll zum Beispiel Kitas und Schulen beraten

Die zweite Säule ist die Arbeit eines multiprofessionellen Teams, das etwa Kitas und Schulen Beratungen anbietet. Die Veröffentlichungen von Studien, Fortbildungen und gemeinsamer Dialog sollen Kompetenzen und Wissen der Profis erweitern. Eine Lenkungsgruppe will Unterstützer gewinnen, organisiert Veranstaltungen und stellt Hilfsangebote online.

Haetzel und Raible wollen nicht zuletzt durch Projekte mit Schulen für mehr Aufklärung über ADHS sorgen. Ein Vorhaben, das die Kinder- und Jugendärztin Dr. Rosemarie Berthold bei der Gründungsversammlung unterstützte: „Ich habe seit 20 Jahren Erfahrung mit jungen ADHSlern. Das wenige Wissen und die Hilflosigkeit in vielen Schulen, vor allem in Gymnasien, ist erschreckend. Schüler mit ADHS brauchen als Nachteilsausgleich zum Beispiel bei Klausuren mehr Zeit und separate Räume.“

Symptome sind Unkonzentriertheit oder motorische Unruhe

Zu den Symptomen gehören Unkonzentriertheit, motorische Unruhe, Desorganisation, Impulsivität und Stimmungsschwankungen. Kreativität und Empathie sind zwei der nicht wenigen Stärken. Schulkinder mit ADHS lassen sich schnell ablenken, wechseln von einem Gedanken zum nächsten und verlieren ihr angestrebtes Ziel aus den Augen. Häufig fangen sie eine Sache an, springen dann zu einer anderen und können oft auch Aufgaben nicht zu Ende führen. Andererseits können sie sich sogar besser als viele andere Menschen konzentrieren, wenn sie an einem Thema brennend interessiert sind – eine vor allem für Lehrer irritierende Tatsache. Im Kindesalter stellt eine motorische Unruhe durch Zappeln, Wippeln und Toben die Eltern vor Herausforderungen. Ihre Kinder finden oft nachts keine Ruhe und können nicht einschlafen. Sie sind getrieben, immer auf Achse.

ADHS ist eine neurobiologische Störung, die mit einer Veränderung der Botenstoffe einhergeht. In den vorderen Hirnabschnitten wird weniger Blutzucker verbraucht und das Gehirn weniger durchblutet. Durch Zwillingsstudien konnte die Erblichkeit von ADHS belegt werden. Eineiige Zwillinge mit dem gleichen Erbgut erkranken in 60 bis 80 Prozent der Fälle gleichzeitig, während zweieiige Zwillinge nur zu 35 Prozent erkranken. Auch Eltern und Geschwister von Betroffenen haben eine fünf Mal höhere Wahrscheinlichkeit für ADHS als die Normalbevölkerung. Bei einer erfolgreichen Behandlung, so der Psychotherapeut Fritz Jansen, hänge alles von der Bindung zwischen Therapeut und Patient ab. „Man muss bereit sein, eine tiefe Bindung und Beziehung einzugehen, darf sich nicht ärgern und ungeduldig werden“, sagte der Lerntherapeut, der viel mit intensiven Blickübungen arbeitet.

Betroffene Zwillingsmutter rät zur Gelassenheit

Eine Erfahrung, die auch Regina Johnson aus Bad Godesberg gemacht hat. 2011 wurde ADHS bei ihren heute 13 Jahre alten Zwillingen diagnostiziert. „Danach begann der Therapie-Marathon. Als betroffene Mutter bin ich über die Gründung des Netzwerkes sehr erfreut. Mein wichtigster Rat: Cool bleiben. Das erreicht man durch viel Sport“, sagte die ehemalige Basketballspielerin. Ein von ADHS betroffener Vater setzt auf Humor: „Den Autisten ist es gelungen, vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu gelangen. Das müssen wir Rüpel nun auch schaffen.“

Weitere Infos auf der Seite des Vereins www.adhs-deutschland.de

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