Unglück heute vor hundert Jahren Das Drama an der Ersten Fährgasse in Bonn

Bonn · Vor hundert Jahren, am 8. Mai 1922, kenterten Lorenz Frings und sein Sohn Wilhelm mit einem Ruderboot auf dem Rhein in Bonn. Der Vater starb, der Junge überlebte. Enkel und Urenkel besuchen die Unglücksstelle.

 Sonntagsgesellschaft: Dieses Foto schickte Lorenz Frings (2.von rechts mit weißem Hut) 1913 als Postkarte an  seine zukünftige Frau. Ganz links sein zukünftiger Schwiegervater, der vor der tödlichen Bootfahrt gewarnt hatte.

Sonntagsgesellschaft: Dieses Foto schickte Lorenz Frings (2.von rechts mit weißem Hut) 1913 als Postkarte an seine zukünftige Frau. Ganz links sein zukünftiger Schwiegervater, der vor der tödlichen Bootfahrt gewarnt hatte.

Foto: Privat

„Hier ist es passiert“, sagt Ludwig Frings und schaut mit seinem Enkel Jakob in die Wellen. Ihr Blick geht auf jene Stelle auf dem Rhein, an der sich vor genau hundert Jahren ein Drama abspielte, das in der Familie Frings bis heute nachwirkt. Am 8.Mai 1922 kenterten dort, wo die „Rheinnixe“ Bonn mit Beuel verbindet, Lorenz Frings und sein Sohn Wilhelm mit einem Ruderboot. Der Vater kam ums Leben, der Junge überlebte.

Wellen der „Stolzenfels“ als Ursache

„Der Kahn war wohl umgeschlagen, weil ein vorbeifahrender Ausflugsdampfer hohe Wellen erzeugte“, erzählt Ludwig Frings. Und so berichtete es am Tag nach der Havarie auch der General-Anzeiger: Demnach hatte der Dampfer „Stolzenfels“ derartige Wellen erzeugt, dass das Paddelboot ins Schwanken geriet und umkippte. Anhand von Augenzeugenberichten schildert der GA die dramatischen Szenen, die dann folgten: So habe der 37-jährige Lorenz Frings seinen Sohn zwar noch packen und schwimmend in Richtung Ufer schleppen können, bis Helfer den Jungen im Wasser übernehmen konnten. Dabei jedoch verließen den Vater die Kräfte: Er wurde „von einer Welle erfaßt und ertrank vor den Augen der Retter des Kindes“.

Die Lokalredaktion nennt in ihrem Folgebericht einen Tag später den Werkführer Ferdinand Niesen als Retter: Dieser sei den beiden Verunglückten in die reißende Strömung nachgesprungen, habe das Kind im Wasser vom Vater übernehmen können und ans Ufer geschleppt, wo es von einem weiteren Helfer namens Fritz Beyer aus dem Wasser gezogen worden sei.

Junge schrieb später seine Erinnerungen nieder

Auch der damals sechsjährige Wilhelm hielt seine Erinnerungen an das Drama fest, die er als alter Mann später zu Papier brachte: „Es war ein schöner, fast warmer Frühlingstag. Wir befanden uns in der Höhe zwischen der Ersten und Zweiten Fährgasse. Aus Richtung der Gronau kam der Köln-Düseldorfer ‚Stolzenfels‘. Aus unerfindlichen Gründen gelang es meinem Vater nicht, das Boot um eine halbe Achse herumzulenken. So schaukelten wir zwischen den Wellen und kippten um. Ich mit meinen sechs Jahren konnte noch nicht schwimmen. Nach Zeugenaussagen soll die Strömung fast reißend gewesen sein. Mein Vater soll nicht gleich an mich herangekommen sein. Plötzlich hielt er mich in seinen Händen, schwamm nur mit den Beinen. Plötzlich hörte ich meinen Vater rufen: Hilfe, Hilfe, Hilfe.“ Und an die Augenblicke am Ufer erinnerte er sich: „Als wir auf den ersten Treppenstufen standen, rief ich dauernd: Wo ist mein Vater? Ich konnte mich nicht beruhigen und wiederholte jammernd die Rufe nach meinem Vater.“

Innerhalb der Familie, die am Stiftsplatz wohnte, hatten die Paddelleidenschaft von Lorenz Frings und sein selbst gebautes Boot für Diskussionen gesorgt: Sein Schwiegervater jedenfalls muss ihn eindringlich gewarnt haben.

Urenkel Jakob ist heute ebenfalls sechs

Der sechsjährige Jakob (Jahrgang 2016) ist heute genauso alt wie sein Uropa Wilhelm (Jahrgang 1916) zum Zeitpunkt des Unglücks, und der 73-jährige Ludwig verkörpert sozusagen die familiäre Brücke zwischen den beiden. Per E-Mail und Rundruf hat er innerhalb der Familie noch einmal auf den Jahrestag hingewiesen. „Als ich ein Kind war, sprachen wir in der Familie oft über den Vorfall. Wenn wir auf Spaziergängen hier vorbeikamen, hieß es immer: Hier ist Opa ertrunken. Nach der Kriegszeit war das nicht der einzige Schicksalsschlag, den die Familie erlebt hatte.“ Immerhin hat Wilhelm überlebt, sonst säßen seine Nachkommen jetzt nicht auf der Bank am Fähranleger. Von ihm und seiner Schwester Greta mit jeweils drei Kindern ging eine weitverzweigte Familie aus. Gut möglich also, dass auch Jakob irgendwann seinem Enkel davon erzählt. Für den Sechsjährigen sind die Ereignisse von 1922 naturgemäß weit weg. Froh sei er aber, so sagt er mit Blick auf den Rhein, dass er gerade gute Fortschritte beim Schwimmenlernen macht.

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