Verkehrskonzept unzureichend Erheblich mehr Autoverkehr im Bundesviertel befürchtet

Bonn · Droht durch den Ausbau des Bundesviertels ein Verkehrschaos? Ein Gutachten geht von 11.500 zusätzlichen Autofahrten aus, wenn das Viertel wie geplant nachverdichtet wird.

Ein Verkehrsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass es bei einer Umsetzung des Rahmenplans Bundesviertel zu erheblich mehr Autoverkehr kommen wird, wenn alternative Verkehrsträger wie der öffentliche Nahverkehr und das Rad nicht deutlich gestärkt werden. Das Büro VSU mit Sitz in Herzogenrath prognostiziert knapp 60.000 Pkw-Fahrten mehr am Tag für das Jahr 2030, wenn die im Rahmenplan vorgeschlagene Nachverdichtung erfolgen würde.

VSU geht als Grundlage für seine Berechnungen von rund 18.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen (derzeit rund 45.000) und etwa 10.000 neuen Bewohnern (derzeit rund 4300) durch die geplante Neustrukturierung mit einer Mischung aus Gewerbe und Wohnen aus. Der politisch noch nicht beschlossene Rahmenplan des Büros Cityförster aus Hannover sieht ein Potenzial für zwölf Hochhäuser auf der 500 Hektar großen Fläche zwischen Kennedyallee und Zweiter Fährgasse.

Mehr Verkehr auf der Südbrücke

Die stärkste Zunahme des Verkehrs erwarten die Gutachter mit 15.000 zusätzlichen Fahrten auf der Südbrücke. Erhebliche Zuwächse hätten auch die Bundesstraße 9, die Reuterstraße, die Hausdorffstraße und Ausweichrouten in den Ortsteilen Kessenich, Dottendorf, Poppelsdorf, Südstadt und Bad Godesberg zu verzeichnen. VSU sieht allerdings schon gegenwärtig Überlastungen: „In den Spitzenstunden sind die Zubringerstraßen hoch ausgelastet, erhebliche Reisezeitverlängerungen durch Staus liegen regelmäßig vor“, heißt es im Gutachten.

Der Rahmenplan, der als Leitlinie gedacht ist, enthält allerdings ein Verkehrskonzept. Den Politikern war klar, dass eine Nachverdichtung verkehrliche Folgen  haben würde. Die Wirkung dieser Vorschläge sollte VSU ebenso untersuchen wie bereits eingeleitete Maßnahmen, um den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern und Radschnellrouten zu bauen.

Der Ausbau der S13 im Rechtsrheinischen bis Oberkassel ist im Gange. VSU sieht außerdem Entlastungspotenzial durch die angestoßene Elektrifizierung der S23 (von Euskirchen nach Bonn) und deren Verlängerung über ein noch zu bauendes drittes Gleis bis nach Bonn-Mehlem. Eine Taktverdichtung wäre notwendig. Auch der Bau einer Seilbahn zwischen Ramersdorf und Venusberg und der Westbahn zwischen Hauptbahnhof und dem Bonner Westen brächte Verbesserungen im Nahverkehr.

Zu beiden Projekten liegen bislang allerdings nur Machbarkeitsstudien vor (die zur Seilbahn fertigte VSU an). Eine Umsetzung bis 2030 ist zumindest fraglich. Bussonderspuren und mehr barrierefreie Haltestellen brächten laut Gutachten Entlastung und der Ausbau von Fußgängerwegen sowie eine konsequente Parkraumbewirtschaftung, um Angestellte zum Umstieg vom Auto zu bewegen. Der Ausbau von Straßen sei praktisch nicht mehr möglich.

Verkehrssituation wird sich verschlechtern

Das von Cityförster vorgeschlagene Park&Ride-Konzept mit Pkw-Abstellanlagen für 6000 Autos außerhalb der Stadt könnte von den 58.500 zusätzlichen Fahrten 13.000 auffangen. Zusätzliche Kapazitäten in Bussen und Bahnen wie sie auch durch Taktverdichtungen auf der Stadtbahnlinie 66 ab 2023 vorgesehen sind, könnten 10.000 Fahrten sparen, Mobilitätskonzepte mit kurzen Wegen und Duschkabinen am Arbeitsplatz schafften eine Entlastung von 6000 Fahrten, der Ausbau zum Radnetz 15 000 Fahrten, durch den Bau von Wohnungen entfielen 3000 Fahrten. 11.500 Zusatzfahrten von Autos blieben aber unterm Strich übrig. Die Verkehrssituation würde sich nach Ansicht des VSU „weiter verschlechtern“.

Eine zusätzliche Steuerungsmöglichkeit der Autoverkehre würde sich durch eine zeitliche Streckung der Arbeitszeiten vonseiten der Unternehmen erreichen lassen und die Bündelung vorhandener Tiefgaragenstellplätze. Der Verkehrsclub Bonn/Rhein-Sieg (VCD) sieht die Studie von VSU an vielen Stellen kritisch. Karl-Heinz Rochlitz vom VCD hält es zwar für richtig, statt neuer Parkplätze im Arbeitsviertel Parkplätze vor den Toren der Stadt mit Anbindung an der Nahverkehr zu bauen (Regio-Hubs). Einen von VSU erwähnten Zehn-Minuten-Takt für eine bis Mehlem verlängerte S23 hält er allerdings für „illusorisch“, weil der Knotenpunkt am Bonner Hauptbahnhof das nicht leisten könne. Von einem bestehenden Radwegenetz, wie es VSU benennt, könne keine Rede sein. Die Stadt plane die Seilbahn als eher kleine Bahn mit einem Seil pro Richtung. „Das ist nicht ambitioniert genug“, sagte Rochlitz.

Auch fehle in der Betrachtung eine aus seiner Sicht sinnvolle Verlängerung der Linie 18 bis zur  Heussallee. Wie auch der ADFC hält der VCD es für notwendig, die für 2029 geplante Unterführung an der Ollenhauer Straße nur Radfahrern, Fußgängern und dem Nahverkehr zur Verfügung zu stellen, um jenseits der Bahntrasse liegende Ortschaften vor weiterem Autoverkehr zu schützen und Anreize zum Umstieg zu schaffen.

Die Umweltorganisation BUND äußert Bedenken zum Rahmenplan. In Teilen würden Flächen überplant, die heute begrünt seien. „In der Vergangenheit sind bereits viele Grünflächen zwischen ehemaligem Regierungsviertel und Bad Godesberg verschwunden, vor allem viele alte Gehölze wie beispielsweise auf dem bebauten Grundstück Haus der Höfe“, sagte Stephan Brus vom BUND. Die Umweltorganisation akzeptiere es im Grundsatz, wenn die Stadt im Bundesviertel Nachverdichtungen anstrebe, statt erhaltenswerte Freiräume mit Gebäuden zu versiegeln, „aber gerade beim Baumbestand und wilden Grundstücken sollte man genau hinschauen“.

Ebenso wie Teile der Politik sehen Brus und Rochlitz im Vorschlag von Cityförster, Raum für deutlich mehr Arbeitsplätze im Vergleich zu Neuwohnungen zu schaffen, ein Missverhältnis. Es müssten mehr Wohnungen gebaut werden, damit die Verkehrsprobleme zu bewältigen sind. Dahingehend hatten sich ebenfalls SPD, Grüne und Linke geäußert.

Wie berichtet wendet sich die Bürgerinitiative Bonner Baukultur gegen den Rahmenplan, weil er zwölf Hochpunkte in der Fläche verteilen will (“dezentrales Gewirr“) statt geballt an zentraler Stelle.

Die Initiative, für die sich der Bonner Bauinvestor Marc Asbeck stark macht, hat im Dezember Plakate verteilen lassen, um auf seine Haltung aufmerksam zu machen. Asbeck besitzt im Bundesviertel selbst einige  Grundstücke, Fragen zu den handelnden Personen, der Zahl der Unterstützer und das weitere Vorgehen ließ die Bürgerinitiative unbeantwortet. Im Impressum ist Jürgen Mahlig, Vorstand der BONNA Wohnbau AG, als Verantwortlicher genannt.

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