Kein Straßenkarneval in Bonn Wie Bonner die Karnevalssession während Corona erleben

Bonn · Zwischen Frust und Hoffnung: Wie Lina Engbrocks, Chistine Miebach und Werner Knauf den Rosenmontag ohne Straßenkarneval erleben.

 Christine Miebach mit dem Nachwuchs der Stadtsoldaten: (v.l.) Lia, Emilia und Giulia.

Christine Miebach mit dem Nachwuchs der Stadtsoldaten: (v.l.) Lia, Emilia und Giulia.

Foto: Benjamin Westhoff

„Mein Herz blutet“, sagt Lina Engbrocks, „die letzten Tage waren besonders schlimm“. An Weiberfastnacht hätte sie als Tanzmariechen der Bonner Stadtsoldaten ihre letzten Auftritte gehabt – „das ist dann besonders schön, der letzte Powertag der Session, wenn wir mit dem Bus von Auftritt zu Auftritt fahren, das Highlight überhaupt“. Rosenmontag wäre sie dann mit ihrem Tanzoffizier auf dem Zug mitgefahren. Das hatte sich die 22-Jährige so schön vorgestellt. Doch durch Pandemie und Lockdown ist dieses Jahr alles anders. Eine komische Situation für sie, die seit ihrem dritten Lebensjahr bei den Stadtsoldaten tanzt. „Die Mama war auch schon bei den Stadtsoldaten“, erzählt sie. Bonna war sie ebenfalls.

Das Tanzmariechen ist nicht alleine mit seinem Frust: Eine Karnevalssession ohne Session und Finale, Weiberfastnacht ohne Rathaussturm, Rosenmontag ohne Zug. Das ist Ausnahmezustand. Rosenmontag in Bonn: Nieselregen bei einem Grad plus, leergefegte Straßen, die Karnevals-Hotspots entvölkert, keine Narren unterwegs, Masken nur Typ FFP2.

Karneval fand dieses Mal nur digital statt

„Jeck zu hus“ steht unter vielen Profilbildern auf Facebook, dieses Jahr bleibt man unter sich und in den sozialen Medien. Dort finden sich auch Versuche, doch noch auf eine Art Rosenmontagszug aufzuspringen: Der Playmobil-Zug von Roland Goseberg erinnert mit viel Liebe zum Detail an den Bonner Zoch, auch der Legotross der Katholischen Jugendagentur. Algis Lunskis, Bass im Bonner Opernchor, hat ein Video mit einem alternativen Rosenmontagszug gepostet – da öffnet sich der Lastenaufzug hinter der Opernbühne, Bühnenarbeiter kommen mit Fahrzeugen heraus und drehen zu „wenn et Trömmelche jeht“ eine Runde auf der leeren Bühne.

Der berühmte Kölner Rosenmontagszug ist auf 32 Meter zusammengeschnurrt wird mit 177 Puppen im Maßstab 1:3 im Hänneschen-Theater nachgestellt und im WDR kommentiert. Alle wichtigen Themen des Jahres sind per Mottowagen dabei: Corona, Trump und Geisterspiele, Flüchtlinge und Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Karneval findet 2020 in den Medien statt.

Engbrocks verfolgt das Treiben im Fernsehen, hört Karnevalsmusik, schaut Fotos und Videos aus dem vergangenen Jahr an. Da hatte sie auch schon Pech: Es war ihre erste Session als Tanzmariechen, da verletzte sie sich Mitte Januar 2020 schwer bei einem Sprung während eines Auftritts in Alfter-Volmershoven. Bänderriss, Kapselriss – die Session war gelaufen. Immerhin, sie konnte ihre Mittänzer auf Krücken begleiten und am Rosenmontag mit ihrem Tanzoffizier Michael Orth auf dem Festwagen mitfahren. Damals dachte sie: „Nächste Saison kann ja nur besser werden.“ Weit gefehlt.

Erst im Sommer konnte sie wieder trainieren. Drei Monate – und dann kam der Corona-Lockdown. Treffen nur noch per Zoom, individuelles Training. Diesen Rosenmontag hat Engbrocks Urlaub genommen, „ich kann da nicht zur Arbeit gehen wie jeden anderen Tag“. Außerdem braucht sie etwas Ruhe, um für die Optikerprüfung zu lernen. „Man muss positiv denken“, sagt sie noch tapfer.

Bereits im letzten Jahr war die Stimmung anders

Und befindet sich damit in bester Gesellschaft mit Werner Knauf, Vorsitzender der Kultur- und Karnevalsgesellschaft Bönnsche Chinese. Der wäre zwar am Rosenmontag liebend gerne mit drei Wägen und hundert Mann Fußgruppe dabeigewesen, „aber Gesundheit geht vor“. Rechtzeitig hat er mit seinem Verein die Schalter auf Coronamodus umgelegt: Alle Regeln werden befolgt, am 12. November stellte der Verein seinen Orden vor, am prächtigen Karnevalssonntag wurden im Kaiser Garden in Hersel der große Drache und historische Kostüme gezeigt, außerdem gab es Kamelle-Büggel to go und am Aschermittwoch folgt Fischessen to go. Der 73-Jährige erinnert sich an den Rosenmontagszug 2020: „Das war ganz merkwürdig, denn in unserer Fußgruppe lief ein ZDF-Fernsehteam mit und fragte unsere Bönnsche Chinese, ob sie Masken trügen und Bezug auf Corona nähmen. Wir haben 300 Mitglieder, ein Drittel stammt aus China. Und damals ging die Pandemie da gerade los.“

Christine Miebach hat sehr schöne Erinnerungen an den Rosenmontagszug 2020 – wie an die vielen Züge der vergangenen Jahrzehnte. „Seit meinem 40. Lebensjahr wohne ich direkt am Zugweg“, sagt sie, „die Bude war immer voll. Früher hat meine Mutter eine Gulaschsuppe für alle gekocht, und es gab ein rheinisches Buffet“. Die Bonna von 1986 hat ihr Haus wenigstens beflaggt, wenn sonst schon nichts los ist: „Das macht die Menschen froh. Das Herzblut ist bei mir immer dabei.“ Ansonsten gibt’s TV-Karneval: „Die Mädchensitzung“ im ZDF fand sie nicht so toll, dafür gefielen ihr „Mainz bleibt Mainz“, „Die etwas andere Stunksitzung“ und das neue melancholische Lied von Brings, „Mir singe Alaaf!“. Das sei ein anderes Gefühl. So könne man auch mal Karneval feiern, meint sie.

Doch seit Weiberfastnacht erhöht sich der Leidensdruck. Insbesondere auch bei der Lebensgefährtin der 68-Jährigen, Sonja Reul, Wirtin der Kultkneipe Sonja‘s. Da herrschen durch den Lockdown Existenzsorgen. „Seit Donnerstag rufen immer mehr Freunde an, sprechen uns Mut zu, sagen ‚wir vermissen euch, denken an euch‘“, sagt Miebach. „Im Sonja’s ging sonst immer die Post ab, da hat man gefeiert und geschwoft, in diesen Tagen würde die Hütte brennen“, sagt sie und freut sich über die Anrufe: „Es gibt eben doch noch einen Zusammenhalt.“ Miebachs Fazit lautet: „Es ist so wie es ist. Jetzt müssen wir alle gesund bleiben, damit wir nächstes Jahr normal feiern können.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort