Interview mit dem Chef des Bonner Uniklinikums zu Corona „Wir müssen die Zeit nutzen“

Bonn · Der Bonner Uniklinik-Chef Wolfgang Holzgreve äußert sich über die Vorbereitungen auf die steigende Zahl der Corona-Infizierten. Seit Beginn der Krise gibt es auf dem Venusberg eine Taskforce. Im Moment plant das Team die Aufstockung der Beatmungs-Kapazität um 50 Plätze.

 Professor Wolfgang Holzgreve in der Notaufnahme seines Klinikums auf dem Venusberg.

Professor Wolfgang Holzgreve in der Notaufnahme seines Klinikums auf dem Venusberg.

Foto: Benjamin Westhoff

Die Bonner Krankenhäuser arbeiten mit Hochdruck daran, sich auf die weiteren Folgen der Corona-Pandemie vorzubereiten. Der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende der Bonner Unikliniken (UKB), Wolfgang Holzgreve, geht von verschiedenen Eskalationsstufen aus. Im Vergleich zu den dramatischen Entwicklungen in Italien sieht er es als Vorteil an, dass Deutschland sich länger auf die rasante Verbreitung des Coronavirus vorbereiten konnte. Die Fragen stellten Andreas Baumann, Lisa Inhoffen und Philipp Königs.

Herr Holzgreve, wie bereitet sich das UKB auf die steigende Zahl der Corona-Infizierten in Bonn und der Region vor?

Wolfgang Holzgreve: Wir haben gleich bei Beginn der Epidemie eine Task Force eingerichtet: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von unserem Notfallzentrum, aus der Virologie, Hygiene-Abteilung, den Kliniken, dem Betriebsärztlichen Dienst, der Verwaltung und aus anderen Bereichen des UKB werten regelmäßig die neuesten Entwicklungen aus und treffen Entscheidungen für das akute Vorgehen, aber vor allem auch zur Vorbereitung von potentiellen Verschlechterungen der Lage. Wir haben zum Beispiel Schwerpunktbereiche mit unterschiedlichen Zonen für bestätigte Virusträger und Verdachtsfälle geschaffen. Im Moment ist die geplante Aufstockung unserer Beatmungs-Kapazität um 50 Plätze eine riesige Herausforderung.

Ist geplant, Zelte auf dem UKB-Gelände aufzubauen?

Holzgreve: Im Moment haben wir keinen Bedarf für Zelte, aber wir haben die Gebäudeteile identifiziert für jetzige und zukünftige Aufgaben.

Warum sind diese Umstrukturierungen sinnvoll?

Holzgreve: Wir müssen alle mit der Unsicherheit leben, ob die vielen, teilweise einschneidenden Maßnahmen des „social distancing“, wie das die Weltgesundheitsorganisation nennt, ausreichen, Deutschland noch um die Kurve zu bringen und Schlimmeres zu verhindern. Entsprechend den prognostizierbaren Szenarien müssen wir uns als Klinikum der Maximalversorgung aber auf verschiedene Eskalationsstufen konkret und nachhaltig vorbereiten, damit wir alle in Bonn und Umgebung nicht von der Entwicklung überholt werden.

Wenn Sie die Zahl der Intensivbetten erhöhen wollen, inwiefern wird das UKB Personal und unnötige Operationen und Eingriffe verschieben?

Holzgreve:  Wir haben bereits die Operationen reduziert, welche nicht lebensnotwendig und verschiebbar sind. Aber um ein Beispiel zu nennen: Eine Operation wegen einer Krebserkrankung ist zwar häufig kein Notfall, kann aber nicht einfach verschoben werden. Auch in Zeiten der Corona-Covid-19-Pandemie gibt es weiter Patienten mit Herzinfarkten, Schlaganfällen und vielen anderen Erkrankungen, die unsere Hilfe benötigen. In diesen besonderen Zeiten müssen wir neues Personal rekrutieren und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegebenenfalls Wechsel des Einsatzortes und der Aufgaben zumuten.

Wo braucht das UKB zusätzliche Mitarbeiter?

Holzgreve: In verschiedenen Berufsgruppen, vor allem beim pflegerischen und ärztlichen Personal müssen wir aufstocken, aber auch im Labor, wo eine ständig steigende Zahl von Proben bearbeitet wird, bis hin zum Sicherheitsdienst bei steigenden Patientenzahlen. Alleine in unser Notfallzentrum kommen derzeit 50 Patienten mehr pro Tag.

Wie stark ist die Virologie mit den Testungen auf das Virus ausgelastet?

Holzgreve: Sehr stark mit über 500 Tests am Tag, aber die Nachfrage wird noch größer. Daher bereiten wir aktuell eine Aufstockung durch Kooperation mit anderen Laborbereichen im UKB vor, um die Kapazität noch einmal deutlich ausweiten zu können.

Hat das UKB derzeit Patienten mit dem Coronavirus zu betreuen?

Holzgreve: Ja, zwei.

Wie geht das Klinikum im Fall eines infizierten Mitarbeiters vor?

Holzgreve: Entsprechend den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts ist für diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häusliche Quarantäne für 14 Tage vorgesehen, die Kontaktpersonen werden aufgesucht und Maßnahmen werden eingeleitet nach einem mit dem Gesundheitsamt vereinbarten Eskalationsschema mit Führen eines Fieber- und Symptomtagebuchs und anderen Maßnahmen.

Teilen Sie die Befürchtungen des UKB-Personalrats, dass die hohe Arbeitsbelastung über kurz oder lang zu einem Anstieg der Krankenquote bei den Mitarbeitern führen könnte?

Holzgreve: Das haben wir bisher nicht festgestellt, und wir wirken solchen, für die Bevölkerung sehr nachteiligen Szenarien durch verschiedene Maßnahmen  entgegen, aber unser Personal leistet Großartiges. Ich möchte mich im Namen aller dafür herzlich bedanken.

Seit Dienstag gilt für die Unikliniken ein Besuchsverbot. Wie reagieren Patienten und Angehörige?

Holzgreve: Ganz überwiegend mit Verständnis angesichts der ernsten Gesamtlage, aber natürlich gibt es teilweise Kritik und manchmal Aggression, aber dann erklären wir die Zusammenhänge und unser aller Verantwortung gerade für die Schwächsten in der Gesellschaft.

Mit dieser drastischen Maßnahme soll das Infektionsrisiko minimiert werden. Reichen Schutzanzüge und Desinfektionsmittel nach bisherigem Stand aus und kommt genug Material nach?

Holzgreve: Insgesamt wird alles Schutzmaterial inzwischen rationiert, und dadurch kann der Bestand gestreckt werden. Durch verschiedene Aktivitäten unserer Beschaffungsabteilung, der Landes- und Bundesregierung werden zusätzliche Belieferer gefunden und Bestände aufgestockt. Desinfektionsmittel stellen wir inzwischen auch selbst her.

Inwiefern stimmen sich die Bonner Krankenhäuser untereinander über das weitere Vorgehen ab?

Holzgreve: Wir haben regelmäßige Treffen im Gesundheitsamt, und es gibt glücklicherweise schon gut funktionierende Netzwerke wie zum Beispiel zum Thema der Multiresistenten Keime unter Führung unseres Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit.

Gibt es einen Austausch mit Material?

Holzgreve: Nicht regelhaft, aber in Notsituationen haben wir uns schon untereinander geholfen.

Nehmen die Bürger den Appell ernst, nur in dringendsten Fällen in die Ambulanz auf dem Venusberg zu kommen?

Holzgreve: Wir sehen den gewünschten Rückgang, aber wir kommen am UKB von einer extrem hohen Zahl von mehr als 350.000 ambulanten Patienten pro Jahr, das sind also im Durchschnitt rund 1000 pro Tag.

Können Sie dramatische Situationen wie an italienischen Kliniken für das UKB ausschließen?

Holzgreve: Wir wissen von Augenzeugen, dass in den Risikogebieten die Lage wirklich dramatisch ist, und mein Mitgefühl ist bei den betroffenen Menschen dort, den Patienten und den inzwischen 3600 Infizierten aus den Medizin-Berufen. Es gibt aber Unterschiede zwischen den Ländern, indem es zum Beispiel in Deutschland pro 100.000 Menschen etwa 35 Intensivplätze gibt und in Italien nur etwa 15. Außerdem hatten wir mehr Zeit, uns auf die rasante Verbreitung des Virus vorzubereiten, und diese Zeit gilt es für unsere Bevölkerung zu nutzen – hier ist nun jeder Einzelne gefragt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort