Jesuit spricht an Bonner Uni über Missbrauch „Dann ist die Falle zugeschnappt“
Bonn · Der Jesuitenpater Klaus Mertes warnt in der Bonner Universität vor den Gefahren geistlichen Missbrauchs. Mertes besuchte als Schüler das Bonner Aloisiuskolleg.
Vor den Gefahren geistlichen Missbrauchs auch in der Katholischen Kirche hat in der Universität Bonn der bekannte Berliner Jesuitenpater Klaus Mertes gewarnt. Auf Einladung der Katholischen Fakultät sprach der 68-Jährige am Montagabend im Rahmen der zweiten Fritz-Tillmann-Lecture im Hörsaal eins zum Thema „Schreckliche Verwechslungen. Über den Missbrauch geistlicher Autorität“. Der geschehe, wenn ein geistlicher Lehrer seine Rolle verwechsele, also zulasse, selbst erhöht zu werden, anstatt das asymmetrische Gefälle zum geistlichen Schüler aufzulösen, machte Mertes an biblischen Beispielen klar. „Die Verantwortung dafür liegt dabei nur beim Lehrenden. Dann ist die Falle zugeschnappt.“ Und zwar sowohl in Zweierbeziehungen als auch in kirchlichen Gemeinschaften.
Amtsträger sind „Hörende“
Dabei habe dieser geistliche Lehrer doch die Aufgabe, seinem Gegenüber zuzuhören, anstatt nur sich selbst zu hören. Amtsträger müssten sich zuerst als Hörende verstehen und nicht als Autoritäten, erläuterte Mertes. Die Folge könne eine scheinbar gewaltfreie Gehirnwäsche sein. Denn geistlicher Missbrauch könne sich genauso verheerend auswirken wie sexueller Missbrauch Abhängiger. Betroffene könnten also noch lange Jahre von Angststörungen heimgesucht werden. Im kirchlichen Rahmen könnten selbst Gebete und kirchliche Handlungen kontaminiert sein, sagte Mertes zu möglichen Nachwirkungen. Bei einer Therapie müsse hier also die theologische Dimension mit in den Blick genommen werden.
Klaus Mertes ist selbst Absolvent des von zahlreichen Fällen sexuellen Missbrauchs betroffenen Bonner jesuitischen Aloisiuskollegs (Ako). Er war dort Schüler, als der 2010 verstorbene Hauptbeschuldigte, ebenfalls ein Pater, Internatsleiter war. Bundesweit bekannt wurde Mertes, als er im Januar 2010 als damaliger Rektor des Berliner jesuitischen Canisius-Kollegs auf Druck der dortigen Opfer den Missbrauchsskandal in die Öffentlichkeit brachte. Mit einer gewissen Enttäuschung reagierten deshalb am Montagabend Betroffene im Publikum, als Mertes als persönliche Beobachtung geistlichen Missbrauchs in seiner eigenen Schulzeit das Beispiel eines Freundes schilderte, dessen Bruder in den Einfluss der „Vereinigungskirche“ Mun-Sekte geriet.
Gefahren in den Gemeinden
Insgesamt fädelte der Jesuit seinen Vortrag am kürzlich publik gewordenen Skandal in Frankreich um Missbrauch innerhalb der christlichen Arche-Gemeinschaften für Menschen mit und ohne Behinderung auf. Vom Publikum wurde Mertes jedoch sofort nach seinem Vortrag gebeten, mögliche Gefahren geistlichen Missbrauchs auch an der kirchlichen Basis, in örtlichen Kirchengemeinden, einzuschätzen.
Er antwortete mit dem Beispiel, dass, wenn ein Pfarrer von der Kanzel herab Missbrauchsopfer auffordern würde, „endlich mal zu verzeihen“, er sich nicht wundern müsse, wenn sofort 20 Menschen seine Kirche verließen. So eine Person verliere ihre natürliche Autorität, aber eben nicht ihre Macht.
Auch wenn Pfarrer eine Gemeinde in der Gemeinde bildeten, wie offenbar kürzlich in Hamburg geschehen, instrumentalisierten sie ihre Macht, meinte Mertes. Wenn Pfarrer also zwischen Menschen, die ganz zu ihnen hielten, und anderen spalteten, wenn sie ein Schwarz-Weiß-Denken praktizierten. Dabei hätten die Menschen doch so viel Sehnsucht nach Spiritualität. Und das sei eine tiefe Herausforderung an die Kirche, für den rechten Gebrauch der Lehre“ zu sorgen.