Bonns Stadtdechant Wilfried Schumacher „Das Münster wird ganz gewiss fehlen“

BONN · Bonns Stadtdechant Wilfried Schumacher spricht im Interview mit dem General-Anzeiger über die große Sanierung der Basilika, den neuen Kölner Erzbischof und die Kritik an der katholischen Kirche.

Die Auflösung der Dekanate ist seit dem 1. Januar in Kraft. Was hat das konkret in Bonn zur Folge?

Wilfried Schumacher: Wir haben in der Stadt 143 pastorale Kräfte – Priester, Diakone und Laien –, die sich weiter in kleineren Gruppen treffen. Ansonsten ist das, was die vier Dechanten bisher gemacht haben, auf eine Person übergegangen. Die Dekanate sind in erster Linie eine Größe der Kirchenverwaltung. Das bekommen die Menschen in den Gemeinden kaum mit. Es gibt jetzt drei Ebenen im Erzbistum: Bischof, Dechant und leitender Pfarrer.

Sie haben vor einigen Jahren mal gesagt, Stadtdechant sei nicht Ihr Traumjob.

Schumacher: Ja, das stimmt. Das war nicht mein Traumjob. Ich hätte gerne etwas anderes gemacht. Ich hätte gerne weitergearbeitet im Bereich von Exerzitienarbeit und geistlicher Begleitung einzelner Menschen, aber den Ruf kann man sich nicht aussuchen.

Sie sind ja letztlich nach Hause zurückgekommen. Trägt Sie auch ein bisschen das Heimatgefühl für die Stadt?

Schumacher: Es war für mich etwas, was mir damals sehr geholfen hat. Ich kenne mich in der Geografie und in den Problemen der Stadt aus. Es ist sehr schön, wenn man in seiner Heimat mitgestalten kann. Wobei: Auch an den Orten vorher bin ich gerne gewesen.

Durch die Sanierung des Münsters wird die Innenstadtgemeinde vorübergehend heimatlos. Wie blicken Sie dem entgegen? Wird diese Kirche als zentraler Ort fehlen?

Schumacher: Das Bonner Münster wird ganz gewiss fehlen. Es ist ja eine Kirche mit einer Gemeinde weit über die Innenstadt hinaus. Die Gemeinde setzt sich jeden Sonntag neu zusammen, die Menschen kommen aus verschiedenen Orten, von Rheinbach bis Eitorf, von Remagen bis Brühl.

Wo finden die Messen statt?

Schumacher: Wir wissen schon, dass es zwei Ausweichquartiere für uns geben wird. Wir werden mit einem Teil der Gottesdienste nach Sankt Remigius umziehen. Mit einem Gottesdienst gehen wir in die evangelische Schlosskirche. Aber: Wir sind zurzeit dabei zu überlegen – und das finde ich die viel spannendere Frage –, wie wir in der Innenstadt auch außerhalb der Kirchen als Kirche präsent sein können.

Über die Aachener Grund gehören den Bistümern zahlreiche hochwertige Geschäftsimmobilien in Innenstädten. Wie passt das damit zusammen, dass für eine andere wichtige Innenstadtimmobilie, nämlich das Münster, Steinpatenschaften vergeben und Spenden gesammelt werden müssen, damit die Sanierung finanziert werden kann? Hätte die Kirche nicht selbst genug Geld?

Schumacher: Die Aachener Grund ist eine Kapitalanlagegesellschaft, wo die Kirche unter anderem Finanzmittel für Renten und Pensionen ihrer Mitarbeiter vernünftig anlegt. Das erwarte ich von ihr. Dass die Aachener Grund hier in Bonn eine ganze Menge Gebäude unterhält, zeigt nur an, dass wir eine sehr prosperierende Innenstadt haben. Die andere Seite ist, dass das Erzbistum Köln uns ja mit einer großen Summe bei der Sanierung des Münsters hilft: Es sind 90 Prozent der Baukosten von 20 Millionen Euro zugesagt. Es ist aber üblich, dass bei jeder kirchlichen Baumaßnahme die Gemeinde mit zur Kasse gebeten wird. Insofern halte ich es für normal, dass wir unseren Beitrag leisten müssen und dass die Bonnerinnen und Bonner, wenn ihnen das Münster etwas wert ist, auch gebeten sind, sich daran zu beteiligen. Da sehe ich keinen Widerspruch.

Wie hat sich das innerstädtische Leben verändert?

Schumacher: Die City hat sich mehr und mehr entvölkert. Wir haben eine Gemeinde, in der 76 Prozent Singles wohnen und in der sich die Mitglieder innerhalb von fünf Jahren um die Hälfte austauschen, also eine große Fluktuation. Dazu gibt es stadtweit die niedrigste Senioren- und die niedrigste Kinderzahl. Das war früher sicherlich anders.

Man hört ja immer von einer Verarmung der Innenstädte. Sind Sie hier auch als Sozialarbeiter gefragt?

Schumacher: In der eigentlichen City würde ich nicht von Verarmung sprechen. Wir haben eine ganz reiche Innenstadt. Was das Problem der Obdachlosen angeht: Das ist ein Thema, was sicher sehr virulent ist. Ich schaue mit Sorge auf das, was sich jetzt am Bahnhof tut. Wir wissen, dass sich dort sehr viele Menschen aufhalten, für die der Bereich um den Hauptbahnhof so etwas wie ein Wohnzimmer ist. Die Ordnungspartnerschaft zwischen den Wohlfahrtsverbänden, der Stadt und der Polizei hat ganz gut gegriffen in den letzten Jahren. Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt, wenn die Wache Gabi nicht mehr im Bonner Loch ist.

Sie haben die Probleme ja quasi vor der Haustür . . .

Schumacher: Ich bin sicher einer der wenigen, die noch mitten in der Stadt wohnen. Wenn Sie samstags oder sonntags morgens durch die Innenstadt gehen, sehen Sie Vandalismus, umgeworfene Bänke und zerstörte Pflanzkübel. Das gehört mit zur City und ist in den letzten Jahren schlimmer geworden. Das hat auch damit zu tun, dass die Präsenz der Ordnungskräfte nachgelassen hat.

Jugendpfarrer Meik Schirpenbach wird leitender Pfarrer in Neuss. Wie gehen Sie mit den stetigen Personalveränderungen und dem Weggang von jüngeren Pfarrern um?

Schumacher: Wir sind hier in Bonn im Vergleich zum gesamten Erzbistum gut aufgestellt. In allen zehn Seelsorgebereichen haben wir noch leitende Pfarrer. Es gehört natürlich zum kirchlichen Leben, dass Leute versetzt werden. Ich bedauere sehr, dass Meik Schirpenbach geht – er hat einen sehr guten Job gemacht. Aber vielleicht gibt es sogar nahtlos einen Nachfolger.

Was hat sich mit dem neuen Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki verändert? Ist frischer Wind eingekehrt?

Schumacher: Der Erzbischof pflegt eine ganz neue Form der Kommunikation. Er setzt auf Partizipation und hat in seinen beiden Fasten-Hirtenworten einen Zukunftsweg des Bistums eingeschlagen. Die Menschen sind eingeladen mitzuberaten, wohin der Weg der Kirche in Köln geht.

Elf Pfarrer, darunter der Bonner Subsidiar und Organist Wolfgang Bretschneider, haben sich 50 Jahre nach ihrer Priesterweihe in einem offenen Brief zu Fragen der Kirche wie Abendmahl in der Ökumene und Zölibat geäußert. Was halten Sie davon?

Schumacher: Ich finde es sehr bemerkenswert, dass die elf Jubilare, von denen ich die meisten auch persönlich kenne und schätze, sich nicht in irgendwelchen wohlklingenden Festtagsreden geäußert haben, sondern indem sie eine nüchterne Bilanz ziehen. Das sind sehr sorgenvolle Hinweise auf die gegenwärtige Situation der Kirche, und es wird jetzt darauf ankommen, dass wir über das, was sie angestoßen haben, auf unterschiedlichen Ebenen ins Gespräch kommen.

Die Kritik der elf Pfarrer richtet sich unter anderem gegen die Großgemeinden. Was sagen Sie zu dieser Folge des Priestermangels?

Schumacher: Ich komme gerade von einer Bundestagung der Stadtdechanten in Hannover. Es ist überall das gleiche Thema, die Räume werden immer größer. Die Frage ist, ob wir bei diesem Thema auf den Mangel schauen: Weil wir weniger Priester haben, müssen wir die Gemeinden vergrößern, oder ob wir nicht anfangen neu, vom Volk Gottes her zu denken. Wie bekommen wir als Gläubige unser kirchliches Leben vor Ort gestaltet? Dafür braucht es nicht immer nur die Priester und die Kleriker und die Hauptamtlichen. Wir sind das so gewohnt, auch aus der Geschichte des 19. Jahrhunderts heraus. In unseren Vorstellungen sind wir eine sehr priesterzentrierte Kirche. Ich glaube aber, dass im Volk Gottes so viel Kraft, Ideen und Kreativität stecken, um das Gemeindeleben zu gestalten. Wenn ich den Bischof richtig verstehe, ist das genau der Weg, den er beschreiten möchte.

Sie haben immer wieder gesagt, dass die Ökumene in Bonn sehr gut aufgestellt ist. Wie sieht es in einem anderen Feld aus, dem Dialog mit dem Islam?

Schumacher: Er wird in einigen Bereichen, zum Beispiel in der Nordstadt, intensiv geführt. Da, wo es die Menschen im Zusammenleben betrifft. Auf Stadtebene ist es sehr mühsam, weil wir auf der Seite der Muslime momentan keine Struktur haben. Vor Ort ist es leichter, da können wir mit Einzelnen reden. Wir werden aber schauen, dass wir das auch auf Stadtebene intensivieren können.

Im Zusammenhang mit islamistischem Terror wird oft davon gesprochen, dass wir unsere demokratischen, freiheitlichen, aber auch christlichen Werte schützen müssen. Sind den Menschen diese christlichen Werte überhaupt noch bewusst?

Schumacher: Ich glaube, dass es einen Plausibilitätsverlust gibt, was Kirche und christliche Religion angeht. Das, was früher selbstverständlich war, ist heute nicht mehr gegeben. Die Kirchen und das Christentum müssen sich bemühen, ihr Eigenes wieder verständlich zu machen. Wir müssen uns engagieren und unsere Werte transportieren. Das ist nicht einfach. Wir leben auf einem Markt der Sinnangebote und der Sinnstifter. Ich glaube, dass gerade im Dialog mit Nichtchristen unser eigenes Profil geschärft werden kann. Deshalb ist es wichtig, dass man miteinander redet und das auch im Respekt voreinander tut.

Mit einem Pontifikalamt mit Weihbischof Ansgar Puff bedankt sich die Kirche an diesem Freitag bei den ehemaligen Bonner Dechanten und deren Stellvertretern. Die Messe beginnt um 18 Uhr im Bonner Münster. Musikalisch wird sie vom Chorus Cantate Domino und von Münster-Kantor Markus Karas gestaltet.

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