WM-Start Daumendrücken in Bonn für die Seleção

BONN · 545 aus Brasilien stämmige Menschen leben in Bonn, 320 von ihnen sind eingebürgert. Zum WM-Start sprach der GA mit dreien und stellte fest: Die Vorfreude ist wegen der Probleme in der Heimat nicht ungetrübt.

Gelb-grüne Flaggen und Hüte stecken das Territorium ab: Ein Großraumbüro in lichtdurchfluteten im südlichen Trakt des Schürmann-Baus beheimatet die brasilianische Redaktion der Deutschen Welle. Insgesamt rund zwanzig Journalisten arbeiten dort. Eine von ihnen ist Francis França. Sie moderiert das TV-Kulturmagazin Camarote.21 des deutschen Auslandssenders. "Mir gefällt an meiner Arbeit vor allem, dass ich so eine Brücke von hier nach Brasilien schlage", sagt sie. Auf die Weltmeisterschaft in der fußballverrückten Heimat freut sie sich, allerdings nicht ganz unbefangen.

Obwohl sich Brasilien in den vergangenen Jahren enorm entwickelt habe, sei die soziale Ungleichheit nach wie vor sehr groß. "Ich kann verstehen, dass die Menschen wütend sind, auf die Straße gehen und fragen: Wenn ihr Geld für so ein Großevent habt, warum dann nicht auf für uns?".

2009 ist die heute 32 Jahre alte, stets lächelnde Frau nach Deutschland gekommen. Sofort fielen ihr die kulturellen Unterschiede ins Auge. "In Deutschland wird auch in der Öffentlichkeit immer direkt alles ausdiskutiert. In Brasilien lächeln sich alle an - hier wird das dann gleich als Flirt verstanden." In ihrem Blog "Denke ich..." (denkeich.blogspot.de) sinniert França über diese Kontraste, in ihrer Muttersprache Portugiesisch natürlich. Die kulinarischen beispielsweise: "Der Zuschnitt des Fleischs ist einfach ein anderer."

Wenn es França nach brasilianischer Küche gelüstet, geht sie ins Limao an der Moltkestraße in Bad Godesberg. In Bonns einzigem brasilianischen Restaurant tischt Chefkoch Gerson Elias Franco seine Eigenkreationen auf - "alle mit dem brasilianischen Pfiff".

Vor 24 Jahren ist der heute 56-Jährige nach Deutschland gekommen. "Ich bin schon ein echter Deutscher, fühle mich sehr wohl hier." Wenn nur die vielen Wolken nicht wären. Einmal im Jahr besucht er sein Heimatland, um Sonne und Fröhlichkeit zu tanken. Und natürlich auf der Suche nach Inspiration für seine Gerichte.

Gerade erst ist er von einer dieser Reisen wiedergekehrt, hat dort auch den Unmut der Menschen erlebt. "Wenn ich noch in Brasilien leben würde, ich würde auch auf die Straße gehen." Aus der Küche auf einer der Fernsehbildschirme zu linsen, während im Lokal vor allem zu den Brasilien-Spielen die Stimmung steigt, darauf freut er sich aber trotzdem.

Hier kann in Bonn die WM am Rudel verfolgt werden

Lara Brück-Pamplona hat das WM-Fieber erst vor einigen Tagen gepackt. "Vorher haben wir vor allem die Proteste verfolgt, jetzt kommt die Freude auf - die WM in Brasilien, das ist schließlich ein Traum", sagt die 34-Jährige. Die Sprach- und Literaturwissenschaftlerin lebt seit 2003 in Deutschland und arbeitet bei der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft.

Seit den 1960er Jahren setzt sich die Nichtregierungsorganisation für die Völkerverständigung zwischen den beiden Ländern ein kulturelle, politische und wirtschaftliche Brückenbauer. Dass die Menschen in ihrer Heimat das Großevent zum Anlass nehmen, auf die Straße zu gehen, hat sie gefreut.

"Brasilien hat viele Probleme, und es ist lange her, dass die Menschen in diesem Maße auf die Straße gegangen sind." Seit dem Ende der Militärdiktatur 1985 und den Massendemonstrationen 1992 gegen den korrupten Präsidenten Fernando Collor de Mello sei das nicht mehr geschehen. Was Brück-Pamplona an Brasilien vermisst? "Die Familie, das Wetter und das Meer, ganz klischeehaft."

545 brasilianisch stämmige Menschen leben in Bonn, 320 von ihnen sind eingebürgert. Eine eingeschworene Szene gebe es nicht, sind sich França, Franco und Brück-Pamplona einig. Es sei vor allem die Musik, die Berührungspunkte schaffe - beispielsweise, wenn die Bonner Band "Só Sucesso" brasilianischen Rhythmen spielt.

Neben dem Samba sei es natürlich die Magie des Fußballs, der sich kaum ein Brasilianer entziehen können, sagt Chefkoch Gerson Elias Franco. "Es ist wie eine Religion." Wenn heute Abend die Seleção gegen Kroation aufläuft, sind die Blicke vermutlich aller Bonner mit brasilianischen Wurzeln gebannt auf die Elf in den leuchtend gelben Trikots gerichtet.

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