Flüchtlingshilfe Den Alltag takten die sozialen Netzwerke

Bonn · Die Anzahl der ehrenamtlichen Organisationen ist in Bonn mittlerweile auf 80 gestiegen. Sie kümmern sich um rund 3000 Flüchtlinge. Ohne Handy, PC und soziale Medien im Internet wäre eine effektive Kommunikation untereinander kaum möglich.

Bashar (links) und Abdullah setzen alles daran, um sich in ihrer neuen Heimat zu integrieren. Ohne Handy und Internet wäre dies fast unmöglich.

Bashar (links) und Abdullah setzen alles daran, um sich in ihrer neuen Heimat zu integrieren. Ohne Handy und Internet wäre dies fast unmöglich.

Foto: Jutta Specht

Ohne Handy hätten Bashar (21) und Abdullah (20) niemals die Flucht aus Syrien geschafft. Mehrere Jahre waren sie unterwegs. Über Dubai und Ägypten. Ohne Handy hätten sich die beiden Cousins nicht in Bonn wiedergetroffen und keinen Kontakt zu den Eltern in der alten Heimat. Und sie hätten nicht so viele Unterstützer kennengelernt und Freunde gefunden. Den Alltag in der Fremde taktet ihr soziales Netzwerk.

Dazu gehört die gleichaltrige Sonnhild, die ihnen bei Behördengängen, aber auch beim Verständnis deutscher Lebensart hilft. Oder die Schauspielerin Bettina Marugg, die neben ihrer privaten Begegnung mit Flüchtlingen an einer künstlerischen Umsetzung ihrer Erfahrungen arbeitet. „Nachdenklich macht mich im Kontakt mit Geflüchteten, was sie erlitten und verloren haben im Vergleich zu meinem sicheren, satten Leben. Dieser Konflikt ist schwer auszuhalten, weil man zwischen Zuwendung und Abgrenzung pendeln muss. Es gab Momente, wo mir das Helfen angesichts der erschütternden Schicksale zu viel wurde. Meine radikalste Erfahrung? Ich war überzeugt, dass ich sehr tolerant bin. Aber mit dem Thema Kopftuch habe ich Probleme.“

Umgekehrt haben die beiden jungen Syrier ihre Probleme mit der hiesigen Kultur. Dass die Kinder von den Eltern wegziehen, statt zusammenzubleiben, alte Menschen allein im Heim sind, und an Karneval so viele junge Leute betrunken sind. Das will sich ihnen nicht erschließen. Da gibt es Gesprächsbedarf, allerdings hapert es noch mit der deutschen Sprache. Sie warten darauf, dass endlich der Sprachkurs beginnt. Einstweilen hilft das Handy mit einer Übersetzungs-App Arabisch-Deutsch.

„Dass wir uns für die Flüchtlingshilfe engagieren, war von Anfang an ein ökumenisches Signal in Endenich“, sagt Pfarrer Uwe Grieser. Er ist mit Diakon Werner Preller Sprecher des Arbeitskreises in Endenich, der seit zwei Jahren Flüchtlinge im Paulusheim betreut. Über das Internet und eine später entstandene Homepage lassen sich das Engagement, die vielen Termine und die Kommunikation strukturieren.

Zu euphorische Hilfsbereitschaft

Mit Internet, Handy, Facebook und Whatsapp agiert die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe sehr effizient. „In den Gruppen gibt es immer einen, der einen kennt, der weiterhelfen kann“, sagt Juliane Göbel. Die angehende Lehrerin hat ein freiwilliges soziales Jahr im Paulusheim absolviert. „Unsere rund 60 Helfer haben unterschiedliche Einsatzbereiche ausgewählt, bringen sich mit ihrem individuellen Zeitbudget ein und sind bestens vernetzt“, sagt die junge Frau.

Nicht alles klappte anfangs reibungslos. So stellten die Ehrenamtlichen beispielsweise fest, dass euphorische Hilfsbereitschaft einen Berg Arbeit machen kann. Buchstäblich, denn die Helfer in der Kleiderkammer wurden der Spenden ohne geregelte Annahmezeiten nicht Herr. Dazu einer alten Dame verständlich zu machen, dass sie Flüchtlingen mit der ausrangierten Garderobe ihres verstorbenen Mannes nicht hilft, war nicht ganz einfach.

„2014 markiert eine dramatische Veränderung der Flüchtlingssituation. Bis dahin hatten wir drei Flüchtlingsheime, jetzt sind es 20“, sagt die Bonner Integrationsbeauftragte Coletta Manemann. Ähnlich hat sich die Zahl der Initiativen entwickelt. „Mindestens 80 sind es im Bonner Gebiet.“

Hassattacken in der Gruppe

Eine enorm große Gruppe ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer koordinieren Maria, Sven und Yannick in einer geschlossenen Facebook-Community. Rund 5000 Mitglieder sind auf „Flüchtlinge willkommen in Bonn“ registriert, rund 1000 sind aktiv. Die geschlossene Gruppe haben sie zur Sicherheit eingerichtet, „gegen Anfeindungen von Rechten, aber auch von Salafisten“. Sie treten nicht mit ihrem Familiennamen auf.

Dennoch landen Hassattacken in der Gruppe. „Saudumme Sprüche, so menschenverachtend und beleidigend. Diese Feiglinge.“ Maria (23) studiert Englisch und Religion auf Lehramt. In einer Projektarbeit hat sie sich mit der Integration von Flüchtlingen beschäftigt. „Mir wurde klar, wie glücklich ich mich schätzen kann, in Deutschland zu leben. Ich wollte mehr tun und das Potenzial der sozialen Netzwerke nutzen“, sagt sie.

Maria kennt die wenigsten ihrer Mitstreiter persönlich. Darum geht es auch gar nicht, sondern darum, Hilfebedarf und Spender zusammenzubringen, Informationen weiterzugeben, auf Veranstaltungen hinzuweisen. Zur Internet-Community gehören auch immer mehr Flüchtlinge. Für sie postet Maria Infos über kulturelle Ereignisse wie Nikolaus, Silvester oder Karneval. „Es soll eine Plattform für unkomplizierte Dienstleistung sein, und die User posten fleißig“, sagt die 23-Jährige.

Überschattete Willkommenskultur

Unkompliziert und effektiv haben sich auch Holzlarer Bürger auf Initiative des CDU-Ortsverbands organisiert, als vor Weihnachten kurzfristig 60 Flüchtlinge in der Turnhalle der Grundschule einquartiert wurden. Die Kommunikationsplattform „Holzlar hilft“ war längst programmiert. Sprecher Christoph Brüssel legt Wert auf den überparteilichen Status. „Um Parteipolitik geht es nicht, sondern dass Hilfe zu den Menschen kommt, die sie brauchen.“ 6000 User wurden seither auf der Seite gezählt. 130 ehrenamtliche Flüchtlingshelfer sind im Einsatz. „Zu helfen, tut uns als Gesellschaft gut. Das macht auch stolz“, sagt er.

Leider drehe sich die Diskussion derzeit nur darum, „ob wir das wirklich schaffen. Aber der Konflikt sucht sich seinen Weg, und wir müssen vor Ort eine Perspektive schaffen. Die Flüchtlinge sollen Zeit haben, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Sie sind durch die Hölle gegangen“, sagt Brüssel. Die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln haben nach seiner Auffassung dazu geführt, „dass die ungeteilte, positive Willkommenskultur von Sorgen, es könnte etwas passieren, überschattet wird. Aber hier vor Ort werden Flüchtlinge durch den Kontakt zu Mitmenschen. Sie sind nicht länger eine gesichtslose Menge.“

Genauso differenziert sehen es viele Frauen – in der Flüchtlingshilfe sind mehrheitlich Frauen aktiv. Viele Hilfsorganisationen haben nach den Vorfällen in Köln das Gespräch mit den ehrenamtlichen Helfern gesucht – auch die Caritas: „Was in Köln passiert ist, macht die Frauen betroffen, ratlos und zornig“, sagt Gabriele Al-Barghouthi, Leiterin des Caritas-Fachdienstes Integration und Migration. Auch über deutsche Politiker ärgern sie sich, die wie in alten Zeiten von „unseren Frauen“ sprechen. „Wir haben eher Fälle, dass die Helferinnen sich seither vor Familie und Freunden rechtfertigen müssen“, bedauert Al-Barghouthi.

Haus Mondial ist nicht nur Anlaufstelle für Flüchtlinge, sondern ein Link im Bonner Netzwerk der Flüchtlingshilfe. „2015 ist mit der wachsenden Zahl an Flüchtlingen auch die Zahl der ehrenamtlichen Helfer enorm gestiegen. Wir geben Schulungen im Akkord, daran hat sich auch nach Köln nichts geändert“, betont sie.

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