Häusliche Gewalt Der Schläger im eigenen Haus

BONN · Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Übergriffe durch den eigenen Partner oder die Partnerin um zehn Prozent auf 965 Fälle. Mehr als 80 Prozent der Täter sind Männer. Das neue Polizeigesetz bietet mehr Möglichkeiten.

Es hätte niemand für möglich gehalten, nicht die Familie, nicht die Freunde. Das Ehepaar lebte mit seinen Kindern in einer Eigentumswohnung, beide hatten gute Jobs in derselben Firma. Alles schien in Ordnung. Bis zu dem Tag, an dem der Mann in der Öffentlichkeit die Kontrolle verlor. Er schlug zu, und zwar vor den gemeinsamen Freunden. „Am nächsten Tag rief die Frau bei uns an“, erinnert sich Ulrike Große-Kreul, die sich im Frauenhaus und in der Beratungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ engagiert. Dabei habe sich herausgestellt, „dass er sie seit Jahren misshandelt und sie es verheimlicht hat“. Aus Scham und weil die 59-Jährige für die Kinder die Beziehung aufrechterhalten wollte.

Dabei gebe es nicht „den einen Fall“ häuslicher Gewalt, so Große-Kreul. Sie ziehe sich durch alle Altersgruppen und alle Schichten hindurch. Doch eines sei klar, sagt Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa: „Es sind vor allem Frauen, die zum Opfer werden“, die von ihrem gewalttätigen Partner (häufig mehrfach und über einen längeren Zeitraum) geschlagen, misshandelt und gedemütigt werden. Und es werden stetig mehr. 965 Fälle registrierte die Bonner Polizei im vergangenen Jahr, 2017 waren es 870. Der Anteil der männlichen Täter liegt bei mehr als 80 Prozent.

Anders lag der Fall, als Beamte der Bonner Polizei in der Nacht zum 6. April dieses Jahres nach Beuel gerufen wurden. Dort war eine 25-jährige Frau auf ihren Ehemann losgegangen. Als sie anschließend in der Wohnung randalierte, rief der Mann die Polizei. Die Beamten nahmen die stark alkoholisierte Frau mit ins Präsidium. Nach der Nacht im Polizeigewahrsam wurde ihr ein zehntägiges Wohnungsbetretungsverbot ausgesprochen.

Es blieb nicht bei diesem einen Fall an jenem Wochenende: Auch ein 36-jähriger Mann aus dem Stadtbezirk Hardtberg, der seine Frau bei einer Auseinandersetzung leicht verletzt hatte, sowie ein 49-jähriger Bad Godesberger wurden mit dieser Sanktion belegt.

Wenn Kinder im Spiel sind, wird das Jugendamt eingeschaltet

Damit bestätigt sich indirekt eine Ankündigung der Polizei: Man werde, so hatte Ursula Brohl-Sowa im Januar erklärt, von dem zehntägigen Betretungsverbot nunmehr häufiger Gebrauch machen. Es soll dem Opfer die Möglichkeit gegeben werden, sich beraten zu lassen. Sind Kinder im Spiel, wird – falls nötig – das Jugendamt eingeschaltet. Je nach Schwere der Tat kann der Täter per Gerichtsbeschluss auch längerfristig von den eigenen vier Wänden ferngehalten werden, sogar Näherungsverbote oder Führerscheinentzug seien möglich. Verstößt der Täter gegen die Auflagen, wird ein Zwangsgeld fällig. Im ersten Schritt liegt dieses bei 500 Euro: „Wir können aber auch auf 1000 Euro oder mehr gehen“, so Brohl-Sowa. 2018 war dies 18 Mal der Fall.

Ist Gefahr im Verzug, handeln die Beamten sofort – und zwar egal, ob das Opfer Anzeige erstattet oder nicht. Mit dem neuen Polizeigesetz, das im Dezember 2018 vom Landtag verabschiedet worden ist, „haben wir mehr Möglichkeiten bekommen, den Schlägern beizukommen“, erklärt Ursula Brohl-Sowa. Grundlage sei allerdings stets ein richterlicher Beschluss, betont die Polizeipräsidentin. Eine elektronische Fußfessel, deren Einsatz derzeit geprüft wird, sei eine Option, das sogenannte Unterbringungsgewahrsam eine andere. „Dann können die Täter bis zu zehn Tage in Polizeigewahrsam genommen werden“, so Brohl-Sowa.

Erfahrungen gibt es bereits: In zwei Fällen, in denen Frauen massiv bedroht und misshandelt wurden, wanderte ein Täter in U-Haft, der andere wurde ins Unterbringungsgewahrsam genommen. Das war in Mönchengladbach. Derzeit prüft die Polizei, ob es in Bonn genug Platz gibt, um die Maßnahme vor Ort durchzusetzen. Vielfach sind die Protagonisten bereits bekannt. Denn häusliche Gewalt gilt als Wiederholungstat. Dennoch fällt es vielen Opfern schwer, sich zu lösen, häufig besteht eine Abhängigkeit – psychisch und finanziell. Um Opfer aufzuklären, wohin sie sich wenden können, halten die Beamten Infomaterial bereit, etwa vom Verein „Frauen helfen Frauen“.

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