Anonyme Spurensicherung hilft Vergewaltigten Der schwere Schritt zur Anzeige

BONN · Die junge Frau brauchte Zeit und Kraft. Sie wollte nach der Vergewaltigung erst einmal ruhig über eine Anzeige des Täters nachdenken. Vorsorglich ließ sie in einem Bonner Krankenhaus eine anonyme Spurensicherung vornehmen: die Spermaspuren, die zerrissene Kleidung, die Fotos von den Hämatomen - alles wurde im Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn unter einer Chiffrenummer anonym gelagert.

"Danach hat die Frau sich in Ruhe zu dem für sie schweren Schritt entschieden. Sie hat den Mann angezeigt, und inzwischen ist er verurteilt", berichtete Conny Schulte von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt Bonn am gestrigen internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen von einem dieser Fälle, auf dessen Ausgang man stolz sein könne.

Wenn es dieses Verfahren nicht gegeben hätte, wäre der Täter straffrei geblieben, ergänzten Katja Schülke und Maria Mensching. Die stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Stadt und die Psychologin des St.-Marien-Hospitals arbeiten wie Schulte im Arbeitskreis Opferschutz Bonn/Rhein-Sieg, der 2006 genau dieses Spurensicherungsverfahren modellhaft für NRW eingeführt hat.

Diese gerichtsverwertbare kostenlose medizinische Untersuchung und Spurensicherung, die Opfer in allen gynäkologischen Krankenhausabteilungen und Kinderkliniken der Region anfordern können, sei aber leider immer noch nicht finanziell abgesichert. Sie beruhe bisher nur auf der Bereitschaft der Beteiligten, weist Mensching auf Handlungsbedarf hin. "Wir setzen uns nun für eine landesweite Umsetzung dieses Modells ein und hoffen, es mit Unterstützung des Landes NRW langfristig absichern und ausbauen zu können."

Studien zeigten, dass 99 Prozent der Vergewaltiger Männer seien und dass 13 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen seit dem 16. Lebensjahr strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erlebt hätten, so Schulte. Tatort sei überwiegend die eigene Wohnung. Meist seien die Täter dementsprechend keine Unbekannten. Fast die Hälfte der Frauen sprächen jedoch mit niemandem über das Erlebte.

Bis zu 95 Prozent zeigten die Taten nicht bei der Polizei an. "Sie sind oftmals schwer traumatisiert und brauchen lange zur psychischen Stabilisierung, um eine Anzeige in Erwägung zu ziehen", so Schulte. Daran könne langfristig die anonyme Spurensicherung etwas ändern. Das Material werde zehn Jahre anonym gelagert. "Wir möchten die Opfer von Gewalt ermutigen, ihre Rechte einzufordern."

Es gebe aber auch immer noch eine gravierende rechtliche Hürde: "In Deutschland ist eine sexuelle Handlung gegen den Willen einer erwachsenen Person nur dann strafbar, wenn entweder Gewalt angewendet, mit Gewalt gedroht oder eine so genannte schutzlose Lage ausgenutzt wird", so Schulte. Es sei für eine Strafbarkeit nicht ausreichend, wenn die Betroffenen lediglich ?Nein? sagten. "Hier ist dringend eine Gesetzesänderung auf der Grundlage europäischer Konventionen erforderlich."

Der Arbeitskreis

Im Netzwerk Arbeitskreis Opferschutz Bonn/Rhein-Sieg-Kreis sind rund 50 Institutionen und Fachkräften vertreten, die mit Gewaltopfern arbeiten oder sich für deren Belange einsetzen. Ziel des Arbeitskreises ist die Verbesserung der Hilfestrukturen für Opfer von Gewalttaten. Der Arbeitskreis tagt dreimal jährlich. Geschäftsführung: Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, Wilhelmstraße 27, Bonn, Telefonnummer 0228/635524, E-Mail info@beratung-bonn.de, Homepage unter www.beratung-bonn.de.

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