Millionenfalle - Teil 92 "Der Vorwurf der Täuschung greift nicht durch"

Bonn · Im 86-Millionen-WCCB-Bürgschaftsstreit zwischen Sparkasse und Stadt tendiert der Richter am ersten Verhandlungstag zu einem Vergleich, der die Stadt wesentlich mehr belasten würde als die Sparkasse.

Der überschuldete Bonner Haushalt bibbert vor weiteren Belastungen durch das gestrauchelte World Conference Center Bonn (WCCB), und seit gestern ziehen weitere dunkle Wolken auf: Im Bürgschaftsstreit zwischen der Sparkasse Köln Bonn (Kläger) und der Stadt Bonn (Beklagte) deutete Uwe Schneiders, Vorsitzender Richter der 3. Zivilkammer am Landgericht Bonn, an, dass im Fall eines Vergleichs das Quotenpendel, die prozentuale Aufteilung der Bürgschaftssume, voraussichtlich stärker gegen die Stadt ausschlagen werde. Nach weiteren Schriftsätzen der Kanzleien Clifford Chance (Sparkasse) und Gather-Plössner-Ewig (Stadt) will das Gericht im Frühling 2015 einen Hinweisbeschluss mit Vergleichsvorschlag verkünden. Die nächste mündliche Verhandlung ist für Juni 2015 vorgesehen.

Bis dahin tickt die Zinsuhr erstmal weiter. Die Hauptforderung besteht aus 76,1 Millionen Euro, die nach GA-Informationen inzwischen - inklusive Zinsen - auf rund 86 Millionen angewachsensind. Der Prozess mit dem höchsten Streitwert ist "eine der vielen Folge-Auseinandersetzungen nach der Insolvenz" (Schneiders) der UNCC GmbH im Spätsommer 2009 - jenem Unternehmen, das das WCCB als Bauherr errichten sollte und in dem der zwischenzeitlich verurteilte Investor Man-Ki Kim Geschäftsführer war.

Auch in diesem Prozess dreht sich alles um die Jahre 2005 bis 2007, als Stadt, Sparkasse und Investor die Weichen für ein Projekt stellten, das im Desaster endete. Weil Kim nicht ausreichend Eigenkapital beisteuerte und von der Sparkasse als nicht kredittauglich beurteilt wurde, was der Stadtrat aber nicht wusste, konnte das Projekt nur an den Start gehen, indem die Stadt Bonn für den Investor bürgte. Zunächst über 74,3 Millionen Euro, später über 104,3 Millionen. Doch das heikle Kind (Bürgschaft) wurde damals nicht beim Namen genannt (der GA berichtete), sondern hieß "Nebenabrede". Denn eine städtische Bürgschaft für eine private GmbH wäre ein Rechtsgeschäft gewesen, das die Bezirksregierung Köln nicht genehmigt hätte. Mit dem diffusen Begriff, den kaum ein Politiker damals verstand oder hinterfragte, segelte das WCCB-Projekt Mitte Dezember 2005 auch ohne Beanstandung durch den Stadtrat.

Im Fokus steht vor Gericht nun die juristisch anspruchsvolle Frage: Verstößt diese Nebenabrede gegen das EU-Beihilferecht? Konkreter: Wird durch eine öffentliche Subvention ein Unternehmen rechtswidrig über die Maßen bevorteilt? Beihilferecht ist somit Wettbewerbsrecht. Auch die Sparkasse könnte überbevorteilt gewesen sein, weil sie praktisch kein Risiko trug. Eine beisitzende Richterin sagt zum alles andere als störungsfreien WCCB-Verlauf zur Klägerseite: "Ich will nicht sagen, es konnte ihnen egal sein, aber sie waren zu 100 Prozent abgesichert."

Der zweite Pfeiler der Klage stützt sich auf das - völlig unzureichende - WCCB-Controlling durch das Städtische Gebäudemanagement (SGB). Nach dem vom Gericht geprüften Schriftverkehr dazu resümiert Richter Schneiders: "Es war ein Wunsch der Stadt, das Controlling zu übernehmen, um Kosten zu sparen." Ein Dritter wäre teurer gekommen, so blieb es bei jenen 350 000 Euro, die die Sparkasse dem SGB als Honorar zahlte. Das Rechnungsprüfungsamt (RPA) hatte im April 2010 dem SGB ein vernichtendes Zeugnis für seine Controlling-Leistung ausgestellt.

Das SGB war auch für den Finnanzierungsnachweis, für die Beantragung des NRW-Zuschusses von 35,79 Millionen zuständig. Wie das RPA feststellte, lag die Baukostenschätzung zum Zeitpunkt der SGB-Antragstellung bereits über dem ursprünglichen Betrag. Deshalb ist der ehemalige SGB-Chef auch wegen Betrug im besonders schweren Fall angeklagt. Im aktuellen Prozess argumentiert die Sparkasse, dass sie keinen Euro des bebürgten 74,3-Millionen-Kredits ausbezahlt hätte, wenn sie über die steigende Baukostenschätzung informiert gewesen wäre. Richter Schneiders lässt nach einer ersten rechtlichen Prüfung erkennen, dass das SGB-Controlling im Verfahren nicht die Schlüsselrolle spiele.

Ausführlicher wird um den Vorwurf der Stadt gestritten, die Sparkasse habe die Kommune bei der inhaltlich geänderten Nebenabrede getäuscht. Hintergrund: Zunächst wurde Ende 2005 eine Nebenabrede entworfen, die bedeutete, dass die Bürgschaft erst nach Fertigstellung des WCCB gilt, also erst für die Betriebsphase. Später sei eine inhaltlich andere von Stadtkämmerer Ludger Sander und Stadtdirektor Arno Hübner unterschrieben worden - eine, die bereits für die Bauphase galt und sogar das fehlende und von der Sparkasse zwischenfinanzierte Eigenkapital Kims umfasste.

Auf dem Richtertisch stapeln sich viele Akten, in denen sich unter anderem auch zahlreiche Mails aus dem Stadt-Sparkasse-Dialog aus jener Zeit befinden. Richter Schneiders sagt: "Wenn nur eine Person bei der Stadt das Problem erkennt, dann reicht das schon" - in dem Sinne, dass die Stadt über die geänderte Nebenabrede dann als informiert gilt. Tatsächlich hatte das RPA bereits 2010 in seinem ersten WCCB-Report dokumentiert, dass zahlreiche städtische Mitarbeiter über die neue gefasste Nebenabrede diskutierten. Insbesondere über die Frage, ob sie inhaltlich über die Ermächtigung des Stadtrates hinausgehe. Richter Schneiders: "Der Täuschungsvorwurf greift nicht durch", und ob Sander und Hübner die bürgschaftsähnliche Nebenabrede unterzeichnen durften, "steht hier nicht zur Diskussion".

Vieles kommt am ersten Verhandlungstag zur Sprache. Es wird unstreitig festgestellt, dass sich die Sicherheitslage der Sparkasse Schritt für Schritt verbesserte. Den Grund nennt ein Anwalt des Klägers: Weil sich auf der anderen, der privaten Seite "die Sicherheitsstruktur extrem verschlechterte". Damit meint er, dass Kim sich in Sachen Eigenkapital mit fortschreitender Projektdauer als zunehmend unsicherer Kantonist erwies. 40 Millionen sollte er beisteuern, doch anfangs waren es nur zehn. Fragen im Gerichtssaal: Hätte die Sparkasse die Zinskonditionen nicht angesichts ihrer üppigen Sicherheitsausstattung senken müssen? Was wäre marktüblich für Kim gewesen? Etwa jene 60 Prozent Zinsen, wie sie die Investmentfirma Arazim Ltd. (Zypern) für ein Zehn-Millionen-Darlehen von Kim erhielt?

Zwischen den Anwälten geht es zu diesem Punkt munter zu. Vorwurf gegen Vorwurf. Richterin Silvia Klose mischt sich ein: "Wenn ich mir in dieser durchaus komplexen Geschichte Mal die Liste verletzter Sorgfaltspflichten auf beiden Seiten anschaue . . ." - sie muss den Satz nicht vollenden. Alle wissen, was gemeint ist. Das WCCB war von Anfang an ein Projekt der Versäumnisse und der blauäugigen Zuversicht, dass es auch mit einem Investor ohne Geld irgendwie klappt. Hat es nicht, weshalb die Stadt heute ein Millionengrab von noch ungewisser Größe beklagt.

Folgen die Streitparteien dem gestern gewiesenen Weg des Gerichts zu einem Vergleich, entfällt eine Beweisaufnahme - und damit die Auflösung des schon im Kim-Prozess ungelösten Rätsels, welcher städtische Amtsinhaber genau die Sparkasse dazu drängte, das Projekt durch eine städtische Bürgschaft noch "zu retten". Nach der ernüchternden Investorprüfung durch die Sparkasse war das Projekt eigentlich beendet.

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