NRW-Wahl in Bonn Der Wahlkampftag bei den Bonner Direktkandidaten

Bonn/Düsseldorf · Im Bonner Stadtrat arbeiten sie zusammen, bei der Landtagswahl werden sie zu Gegnern: Der Grüne Rolf Beu bereitet sich auf den Abschied vor, Joachim Stamp ist der heimliche Spitzenkandidat der FDP.

Sie arbeiten als Bonner Ratsherren in einer Koalition zusammen, als Direktkandidaten für den NRW-Landtag treten sie im Wahlkreis 30 an diesem Sonntag gegeneinander an: Joachim Stamp (FDP) und Rolf Beu (Grüne).

In ihrer Art, direkt auf Menschen zuzugehen, sind sie sich nicht unähnlich. Nicht umsonst holte Rolf Beu 2009 und 2014 als Grüner das direkte Ratsmandat für Endenich und Weststadt, Joachim Stamp färbte auch 2009 und 2014 die Kommunalwahlgrafik für Röttgen gelb: jeweils mehr als 65 Prozent für den FDP-Ratsherrn, ein sensationelles Direktergebnis, allen Krisen der FDP zum Trotz.

Vor dem Wahllokal in der Röttgener Grundschule ist die Sympathie zu spüren, die Stamp entgegenschlägt. „Einer von uns!“ steht auf seinen Wahlplakaten. Nicht besonders aussagekräftig, aber treffend. „Tschüss Herr Stamp, viel Erfolg“ und „viel Glück“ rufen ihm die Röttgener zu, während Mutter Ursula Stamp, die ehemalige Kantorin der Thomaskirchengemeinde, zum nächsten offenen Singen einlädt und seine sechs und neun Jahre alten Töchter auf dem Klettergerüst turnen.

Die Kinder haben Stamp und seiner Frau Barbie Haller am Morgen Kaffee ans Bett gebracht: Muttertag mit Frühstück und Selbstgebasteltem. „Die Anspannung ist natürlich groß. Die Prognosen sind ganz schwer einzuschätzen“, sagt der 46-Jährige, der der heimliche Spitzenkandidat der FDP ist. Spätestens wenn Christian Lindner nach der Bundestagswahl nach Berlin ginge, läge die Verantwortung im Land auf den Schultern des Bonner Ratsherrn und FDP-Kreisvorsitzenden. Mit Listenplatz zwei ist er angesichts der Umfragen, die die FDP sicher über der Fünf-Prozent-Hürde sehen, quasi schon im Landtag.

Untersuchungsausschuss Anis Amri fordert viel Zeit

„Wir kämpfen die ganze Zeit für Franziska Müller-Rech, die bei 11,5 Prozent sicher drin ist“, sagt Stamp mittags über die Direktkandidatin im zweiten Bonner Wahlkreis 29. In diesem Jahr hatte er weniger Zeit für den Wahlkampf von Haustür zu Haustür, denn der Untersuchungsausschuss zum Berlin-Attentäter Anis Amri forderte 25 bis 45 Stunden pro Woche. „Da ist man schnell am Rande dessen, was geht.“

Barbie Haller war selbst fünf Jahre im FDP- Bundesvorstand und hat Verständnis für das politische Geschäft. Auch die Kinder haben sich längst daran gewöhnt, dass das Porträt ihres Vaters an jedem zweiten Laternenmast in Röttgen hängt. Sie haben sich Spitznamen für die anderen Kandidaten ausgedacht. CDU-Mann Christos Katzidis ist „Herr Locker“, weil er das Jackett so lässig über der Schulter trägt.

Rolf Beu hat an diesem Tag auch die ganze Familie um sich. Die Brötchen hat er am Morgen in der Bäckerei Gruhn in Endenich geholt, aus Verbundenheit zu seinem ehemaligen Wohnort. Seit 1999 wohnen Beu und seine Partnerin bereits auf dem Dransdorfer Berg, mit mehreren Generationen unter einem Dach.

Den Blick ins Grüne kann der Grüne vom Balkon aus demnächst öfter genießen. „Man kann nur angenehm überrascht werden“, sagt der Direktkandidat, der seine Situation am Morgen ganz realistisch sieht. Platz 20 auf der Landesliste – immerhin sechs Plätze besser als der Listenplatz, der ihn vor fünf Jahren in den Landtag gebracht hat – ist keine sichere Bank mehr.

Rolf Beu kehrt zum Studentenwerk zurück

Wenn er nicht in den Landtag gewählt wird, kann der 59-Jährige immerhin in den öffentlichen Dienst beim Bonner Studierendenwerk zurückkehren. „Vor drei Monaten gingen parallel zum Schulz-Hype die Umfragewerte der Grünen in NRW um vier bis fünf Prozentpunkte runter und sind seitdem auch nicht wieder gestiegen“, sagt Beu.

Ein Grund zu resignieren ist das nicht. Im Gegenteil: „Ich habe das Gefühl, dass bei uns noch nie so viel Wahlkampf gemacht wurde wie jetzt.“ Das direkte Gespräch an der Haustür hält Beu für besonders effektiv. „Schon bei einem Kommunalwahlkreis ist das sehr viel. Der Landtagswahlkreis ist 16 mal so groß, da gibt es auch Ortsteile, in denen ich gar nicht war.“ Ein reiner Zweitstimmenwahlkampf kommt für den Bahn- und Nahverkehrsexperten, der auch Vorsitzender des Bonner Planungsausschusses ist, nicht infrage. „Ich möchte auch die Erststimme nicht verschenken.“

"Ihr Chef, das ist doch dieser Türke"

Wie fern Landesthemen manchen Bürgern sind, macht eine Aussage deutlich, die Beu gemeinsam mit der Grünen Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann bei einem Haustürgespräch im Godesberger Villenviertel erlebte. „Ihr Chef, das ist doch nicht mehr der Herr Fischer, das ist doch dieser Türke“, sagte ein Mann zu Löhrmann. Und weiter: „Ihre Umweltpolitik finde ich gut, aber ich will nicht die ganze Woche vegan essen.“ Viele Bürger könnten nicht unterscheiden, welche Kompetenzen Landessache seien.

Beu ist am Abend mit den Bonner Grünen im Migrapolis-Haus. „Ich bin kein politischer Phantast. Die Umfragen haben sich bestätigt“, sagt er. „Man konnte davon ausgehen, dass wir deutliche Verluste machen werden, auch wenn ich das Ergebnis für ungerechtfertigt halte.“

Für 16.30 Uhr ist eine Sitzung des geschäftsführenden FDP-Landesvorstandes in einem Düsseldorfer Hotel angesetzt. Stamp ist mit seiner Frau schon eine halbe Stunde früher da. Zwölf Prozent, sagen die letzten Umfragen der FDP voraus. „Wenn es so kommt, ist das sagenhaft. Ich bin vielen Parteifreunden dankbar, die über Jahre so viel Häme ertragen mussten“, sagt er.

Die Sitzung verzögert sich. Stattdessen kommen erste Zahlen von den Meinungsforschungsinstituten, die natürlich noch nicht veröffentlicht werden dürfen, aber die Umfragen bestätigen – es könnte das beste Ergebnis seit den 50er Jahren werden. Doch Jubel ist von Stamp nicht zu hören, das höchste der Gefühle ist ein Lächeln. „Ich denke an 2009, da haben wir auf den Tischen getanzt, wir müssen jetzt demütig sein.“ Auf der Fahrt zum Landtag erzählt Stamp, dass man in Interviews betonen wolle, man werde nicht abheben. Er selbst wird in Röttgen 44,8 Prozent der Erststimmen holen.

Als die gelbe Säule in NRW auf 12 Prozent steigt, nickt Stamp kurz, lächelt seiner Frau zu, die legt ihren Arm um ihn und haucht ihm einen Kuss zu. Dann wartet das erste Interview. „Wir sind den Wählern dankbar, dass sie uns noch mal eine Chance geben. Wir bleiben auf dem Teppich“, sagt er. Gefeiert werden soll an diesem Tag aber auch noch – am liebsten in der Gaststätte Butscheid in Ückesdorf.

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