Bonn Die gesellschaftspolitische Aktion Gemeinsinn stellt sich selbst infrage

BONN · Sie ist klein, klitzeklein. Residiert am Bonner Hofgarten in einem einzigen Büroraum, aber sie hat einen Namen, den (fast) jeder kennt: die Aktion Gemeinsinn. In vier Jahren wird sie 60 Jahre alt. Mit mehr als 50 bundesweiten Kampagnen hat sie seit 1957 versucht, drängende gesellschaftliche Fragen aufzugreifen und Bürgerinnen und Bürger dafür zu interessieren.

Die Kampagnen haben kaum ein Thema ausgelassen: Zivilcourage, Integration, Toleranz, Patientenrechte, demografischer Wandel, zuletzt Europa. Besonders erfolgreich: der "Herr Ohnemichel" aus dem Jahre 1964.

Gesteuert wird die "älteste Bürgerinitiative Deutschlands" (Eigenwerbung) aus der Zentrale in Bonn. Ein Raum, zwei ehrenamtliche Geschäftsführer, der frühere Bundestagsabgeordnete Carl-Christoph Schweitzer als Ehrenvorsitzender, ein Dutzend ehrenamtliche Mitarbeiter, die meist einen Tag pro Woche für die Aktion opfern. Das Ganze mit einem Jahresetat von grade mal 20000 Euro, meist Spenden. Das Umfeld hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Die Aktion Gemeinsinn nutzte für ihre Kampagnen Plakate und Werbung in den Printmedien. Die aber geben immer weniger Gratis-Anzeigenraum und dass die Aktion "normale" Anzeigenpreise nicht aufbringen kann, versteht sich von selbst. Zudem hat sich das Nutzungsverhalten verändert, immer mehr Raum nimmt das Internet ein, dort ist die Aktion zwar vertreten, aber nicht besonders wirkungsvoll.

Deshalb haben die beiden heute führenden Köpfe der Aktion, die Geschäftsführer Henning von Vieregge und Christian Wilmsen, jetzt die Sinnfrage gestellt. In einem Aufsatz mit der Überschrift "Zwischen Resignation und Reputation" geben sie eine ungeschönte Bestandsaufnahme, verbunden mit dem Appell, neuen Sinn zu finden - oder aufzuhören. Das liest sich dann so: "Im Jahr 2017 wird die Aktion Gemeinsinn 60 Jahre alt. Es ist offen, ob dies Jubiläum gefeiert wird." Dabei geht es durchaus nicht nur um Konsequenzen aus finanziellen Engpässen, die für eine Organisation, die nie eine staatliche Grundfinanzierung erhalten hat, aber allein schon existenzbedrohend sind. Sondern: "Die Aktion Gemeinsinn hat ihren Auftrag ... erfüllt." "Sie ist nicht am Ende", sagen die Geschäftsführer, "aber sie könnte mit gutem Gewissen ihre Tätigkeit beenden. Das wäre kein triumphaler, aber ein stolzer Abgang", der "einen Leidensweg in die Wirkungslosigkeit" verhindern würde.

Selbstkritisch fügen von Vieregge und Wilmsen hinzu: "Die gute Arbeit bleibt insgesamt zu wirkungslos". Also soll jetzt über Alternativen diskutiert werden, über neue Chancen jenseits der Printmedien, über die Konzentration auf enger gefasste Zielgruppen, über lokalen Aktionen, die Festlegung auf ein langfristiges Thema, die Suche nach vielen Allianzpartnern: "Im Alleingang geht gar nichts mehr." Nicht das Ziel sei problematisch, sagen die beiden Geschäftsführer, sondern der bisherige Weg über Gratiszeitungsannoncen. Also müsse eine "360-Grad-Kommunikation" gesucht werden, die das Internet komplett einbeziehe. Eine Existenzgarantie ist aber selbst eine solche Reform nicht. "Keine Institution", so heißt es fast schon larmoyant,, "hat das ewige Leben in den Genen." Und auf die Frage, wie die Überlebenschancen denn nun wirklich stehen, antwortet von Vieregge: "50:50".

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