Die Millionenfalle, Teil 55

Die aktuelle Lage im WCCB-Skandal: Die wichtigsten Fragen und Antworten von Heimfall bis Zwangsversteigerung.

Die Millionenfalle, Teil 55
Foto: Barbara Frommann

"Das Ganze ist dem Bürger nicht mehr vermittelbar", sagte Werner Hümmrich, Bürger und FDP-Fraktionsvorsitzender, auf der Ratssitzung am Dienstagabend und zeigte Anzeichen von Überforderung. Kein Einzelfall. Viele Bürger und Politiker haben Mühe, die rechtlichen Konstellationen auf dem WCCB-Schachbrett zu überblicken.

Die jüngste Ratssitzung konnten Bürger in bester Bild- und Tonqualität, aber nicht immer mit vollständigem Verständnis live im Internet verfolgen. Da hörten sie etwa Sätze für Eingeweihte, wie die von Bernhard Wimmer vom Bürger Bund Bonn: "Es ist uns gesagt worden, packt unsere Rechte aus dem Projektvertrag nicht an. Warum nicht? Ich fürchte, hier liegen die nächsten Leichen im Keller." Das weckt beim World Conference Center (WCCB) naheliegende Assoziationen, aber keine Vorstellung, was Wimmer konkret meinen könnte.

In Bonn kann die Bürgerbelastung für ein von der Verwaltung hofiertes Prestigeobjekt eines Tages von angenommenen null Euro auf mehr als 300 Millionen steigen. Nachfolgend informiert der General-Anzeiger über die wichtigsten WCCB-Schlüsselfaktoren und -begriffe, die in den nächsten Wochen bei der Zukunftsfindung für die größte Skandalbaustelle in der Bonner Nachkriegsgeschichte eine Rolle spielen.

  • Wie ist das Scheitern des WCCB im Projektvertrag zwischen Stadt und Investor geregelt?Danach hat die Stadt einen Heimfallanspruch; sie kann die Aufbauten für eine Zahlung in Höhe von 70 Prozent des Verkehrswerts an den Bauherrn/Investor (UNCC) zurückerwerben. Da die UNCC GmbH von Man-Ki Kim insolvent ist, ginge eine solche Zahlung heute an den Insolvenzverwalter.

Der Verkehrswert entspricht, so der Vertrag, dem Ertragswert, den die WCCB-Immobilie in fertigem Zustand erzielen kann. Da das Kongressgeschäft defizitär ist und die Fertigstellungskosten noch rund 100 Millionen Euro betragen, ist der gegenwärtige WCCB-Verkehrswert negativ. Der Insolvenzverwalter plädiert deshalb als Heimfall-Berechnungsgrundlage - verständlicherweise - nicht für den Verkehrs-, sondern für den Substanzwert.

  • Wer steht im Grundbuch?Hier stehen insolvenzfeste Ansprüche und Grundschulden, die der Insolvenzverwalter, erzielt er Erlöse, nach Rangstelle zuerst befriedigen muss. An erster Rangstelle bei der UNCC steht die Sparkasse mit 24 Millionen Euro (plus 18 Prozent Zinsen), an zweiter Stelle der städtische Heimfallanspruch, an dritter Stelle die umstrittene Investmentfirma Arazim ( Millionenfalle 49) mit 13,3 Millionen (plus 15 Prozent Zinsen). Der Insolvenzverwalter muss ein lastenfreies (ohne Grundschulden) Grundstück übertragen. Die Sparkassen-Grundschuld ist zinsbedingt auf inzwischen rund 41 Millionen Euro angewachsen.
  • Gibt es rechtliche Risiken, wenn die Stadt den Heimfall durchführt?Die jüngste Initiative von CDU/Grüne im Stadtrat beinhaltet unter anderem, den Heimfall streng nach Projektvertrag zu verhandeln. Doch der Arazim-Eintrag im Grundbuch, den viele Experten als Eintrag ohne Anspruch und fahrlässige Handlung Kims bewerten, stellt ein Risiko dar. Hinter Wimmers Anmerkung (siehe oben) steckt die Befürchtung, dass Arazim gegen den Heimfall ( Millionenfalle 51) klagen könnte.

Hintergrund: Die Stadt hat dem WCCB-Treiben zwischen fehlendem Eigenkapital von UNCC/Kim und seinen vertragswidrigen UNCC-Anteilsverkäufen nach Zypern (Arazim) und Hawaii (Honua) lange zugeschaut und so möglicherweise den Heimfallanspruch der Stadt verwirkt. Davon abgesehen, verhandeln Stadt und Insolvenzverwalter über eine "Heimfallvergütung" für die UNCC-Insolvenzmasse. Im Gespräch sind 8,5 Millionen Euro sowie eine weitgehende Freistellung des Insolvenzverwalters von allen rechtlichen und steuerlichen Haftungsrisiken durch die Stadt.

  • Wie lösen Stadt und Insolvenzverwalter das Arazim-Problem?Nach GA-Informationen klagt der Insolvenzverwalter gerade gegen Arazim auf Löschung der Grundschuld. Ob das gelingt, ist ungewiss. Die beteiligten Parteien Sparkasse, Stadt und Insolvenzverwalter sind an einer Einigung ohne Rechtsstreit interessiert. Denn der kostet Geld und vor allem Zeit, während das WCCB ex-treme Baustillstandskosten (rund 20 000 Euro pro Tag) verursacht. Zudem leidet der Bauzustand.

Die Zeitfalle ist beim Heimfall der Joker von Arazim: Nach GA-Informationen wäre die Investmentfirma bereit, für eine Zahlung von 5 bis 8 Millionen Euro Grundbuch und WCCB-Schachbrett zu verlassen. Mit weiteren Millionen könnte sich die Stadt somit vom Rechtsrisiko "Heimfall" freikaufen und zudem ein lastenfreies Grundbuch erzielen, was Voraussetzung für den Einstieg eines Investors wäre. Auch denkbar: Arazim bleibt im Grundbuch, wogegen Arazim nichts hätte. Ganz im Gegenteil: Mit einem fertigen WCCB wäre die Grundschuld substanziell wertiger.

  • Ungeklärt: Was ist der WCCB-Bau am Rhein wert?Der Insolvenzverwalter hat ein Gutachten erstellen lassen und nennt 115 Millionen als Substanzwert. Das Papier hat bisher niemand einsehen können. Viele Indizien deuten darauf hin, dass aus der Baukasse 20 bis 40 Millionen Euro "zweckentfremdet" wurden.

Der Substanzwert (Sachwert) kann jedoch nach Adam Riese nicht höher liegen als Baukasseninhalt minus abgezweigter Millionen. Verlässliche Informationen über diesen Sachwert sind auch deshalb unverzichtbar, um verlässlich absehen zu können, wie viele Millionen noch für eine Fertigstellung benötigt werden. Hier tappt die Stadt im Dunkeln.

  • Warum haben CDU/Grüne mit ihrer Mehrheit im Rat die Einleitung eines Zwangsversteigerungsverfahrens beschlossen?Weil die seit 17 Monaten währenden Verhandlungen zwischen Stadt und Insolvenzverwalter keinen Fortschritt erbrachten. Die Zwangsversteigerung ist eine Alternative zum Heimfall. Die Einleitung des Verfahrens bedeutet, dass ein Gericht einen externen Gutachter beauftragt, um den Verkehrs- und Bodenwert zu ermitteln.

Als größter Gläubiger kann die Sparkasse KölnBonn die Zwangsversteigerung beantragen - auch gegen den Willen des Insolvenzverwalters. Das Verfahren kann parallel zu den Heimfallverhandlungen geführt und auch jederzeit wieder gestoppt werden. Das von einigen Ratsmitgliedern erwähnte Risiko, dass ein unliebsamer Dritter das WCCB ersteigert, ist angesichts der wirtschaftlichen Vorzeichen kaum zu befürchten: Der Dritte müsste - erstens - den Ersteigerungspreis zahlen, zweitens Millionen für die Fertigstellung investieren und hätte - drittens - eine ertragsschwache Immobilie.

Keine rentierlichen Aussichten. Allein für das Hotel läge die Investition (Rest-Baukosten) höher als der Wert, der entsteht. Arazim hätte bei einer Zwangsversteigerung die schlechtesten Karten.

  • Wie würde der Erlös aus einer Zwangsversteigerung verwendet?Als erstes werden Gerichtskosten, Gutachter und Zwangsverwalter (Wintersicherung, Sicherheitsdienst) bezahlt. Danach werden die Grundschulden nach Rangfolge bedient. Da die Stadt mit ihrem Heimfallanspruch an zweiter Stelle steht, könnte sie als Ersteigerer flexibel "nach oben" agieren, weil sie eine Einnahme in unbekannter Höhe aus ihrem Grundbucheintrag erwarten kann.
  • Warum sollte der Zwangsverwalter das WCCB zuende bauen?Vorteil Nr. 1: Er könnte sofort losbauen, sofern Sparkasse und Stadt sich darüber einig würden, wer die Fertigstellungskosten trägt. Diese kommen unweigerlich auf die Stadt zu. Die stadteigene WCCB-Betreibergesellschaft könnte dem Zwangsverwalter die Immobilie später zu einem zuvor vereinbarten Preis abkaufen. Vorteil Nr. 2: Der Weiterbau via Zwangsverwalter würde kein Umsatzsteuerproblem und keine europaweite Ausschreibung auslösen.
  • Ein Weiterbau geht nur mit Bauplänen. Offene Frage: War hat sie?Das WCCB wurde von der SMI Hyundai Europe GmbH (Berlin) als Generalübernehmer errichtet. Die Firma von Young-Ho Hong ist insolvent und liegt, wie Bauherr UNCC, ebenfalls in den Händen von Insolvenzverwalter Christopher Seagon. Es handelt sich um getrennte Insolvenzverfahren.

150 Nachunternehmer sind auf rund 7,5 Millionen Euro sitzengeblieben und sind SMI-Europe-Gläubiger. Die Baupläne sind möglicherweise das wertvollste Pfund von Seagon, über deren Verkauf er die Gläubiger teilweise bedienen könnte. Im Gespräch sind mehrere Millionen als Kaufpreis.

Eine offene Frage ist, ob Hong die Baupläne in cleverer Voraussicht der SMI-Europe-Insolvenz nicht früh in den Besitz einer seiner Planungs-GmbHs brachte und somit dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen hat. Somit würde Seagon die Pläne gar nicht besitzen, aber er könnte mit Hong, gegen den wegen des Verdachts auf Bestechung und Betrug ermittelt wird, einen Deal derart geschlossen haben, dass Seagon als Bauplan-Zwischenhändler fungiert.

Die Baupläne sind für den Weiterbau des Hotels unverzichtbar, während das Konferenzzentrum im Bau weiter fortgeschritten ist. Nach GA-Informationen laufen im Hintergrund diesbezüglich bereits Aktivitäten verschiedener Baukonzerne, die sich um den Weiterbau-Auftrag bewerben wollen. Denkbar: Die WCCB-Baupläne werden nach Art eines Puzzles rekonstruiert, wobei einzelne Nachunternehmer, die bereits Teile einzelner Gewerke "nach Plan" errichtet haben, einzelne Puzzlestücke liefern und im Gegenzug auf einen Auftrag zum Weiterbau hoffen können.

  • Was hat die EU mit den städtischen Bürgschaften zu tun?Die Stadt hat sich beim WCCB über bürgschaftsähnliche Nebenabreden von 104,3 Millionen Euro gegenüber der Sparkasse verpflichtet. Diese Millionen erhielten UNCC und Kim größtenteils als Baukredit ausbezahlt, während 14,3 Millionen Euro in das nicht erbrachte, aber von der Sparkasse vorfinanzierte Eigenkapital von Kim flossen - ohne Wissen des Stadtrats.

Ob diese Nebenabreden eine EU-beihilfewidrige Begünstigung der Sparkasse darstellen, soll im Rahmen eines Notifizierungsverfahrens in Brüssel geklärt werden. Auf diese Weise versucht die Stadt, sich der Bürgschaft zu entledigen und einen drohenden Nothaushalt abzuwenden. Wäre dieser Versuch erfolgreich, bleiben die Millionen bei der Sparkasse hängen, aber auch zu 30 Prozent (Millionenfalle 44) beim Mit-Eigentümer Stadt Bonn.

  • Was könnte die Stadt das WCCB letztlich kosten?Bürgschaft (104,3 Mio.) und Fertigbaukosten (mindestens 100 Mio.) addieren sich - ohne Zinsen - bereits auf über 200 Millionen Euro. Hinzu kommen Millionen für den Baustillstand seit Herbst 2009, für Berater, für witterungsbedingte Bauschäden (Rückbau) und Unvorhergesehenes (Steuern, Arazim, Rechtsstreitigkeiten). Die Gesamtbelastung könnte bei über 300 Millionen Euro liegen.
  • Wo liegt die Crux beim WCCB?Eigentlich ist der Steuerzahler, vor allem der Bonner, der Investor beim WCCB. Der Bund hat die Grundstücke geschenkt, das Land NRW einen Zuschuss von 25,7 Millionen ausbezahlt und die Stadt einen 104,3-Millionen-Kredit an Kims UNCC besichert. Berücksichtigt man den WCCB-Bericht der Rechnungsprüfer insbesondere zum Eigenkapital, dann sind (ohne Wissen des Stadtrats) nur 3,8 bis 10 Prozent "echtes" Eigenkapital, vor allem von Honua (Hawaii), in das WCCB geflossen.

Unklar ist bis heute, in welcher Höhe Planungs- und Beratungsrechnungen nur dazu dienten, investiertes Eigenkapital rückzuführen oder öffentlich Gelder abzuzweigen. Die abstruse Crux: Die öffentlichen Millionen flossen zu einer privaten GmbH, die das WCCB-Projekt realisieren sollte. Nun muss das WCCB nochmals mit öffentlichen Millionen, sei es per Heimfall oder Zwangsversteigerung, zurückerworben werden.

Alle Folgen zum Nachlesen:www.ga.de/millionenfalle

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