Die Millionenfalle, Teil XI

Warum die Kenntnis von Asiens sogenannten Strategemen so wichtig ist wie eine Taschenlampe in pechschwarzer Nacht

Baustelle WCCB

Baustelle WCCB

Foto: Barbara Frommann

Bonn. Drittklassige Menschen nutzen ihr Geld, um andere gefügig zu machen. Zweitklassige Menschen nutzen ihre Macht, um andere zur Gefolgschaft zu zwingen. Erstklassige Menschen aber nutzen Strategeme, um andere zu lenken" - so lautet ein Slogan des Pekinger Verlags für Unternehmensmanagement für einige Bücher zum Thema, die allesamt alte Kriegslisten wiederbeleben und in den Alltag der Moderne hieven.

Es könnte klug sein, sich am 5. Oktober bei "Blue Rocks", einer Unternehmensberatung in Ludwigsburg, in "Sanshiliu ji miben mingfa" fortbilden zu lassen, sofern man erstmals Geschäfte in Asien plant. Zwei Tage für 1523,20 Euro.

Vorab: Strategeme sind keine "Strate-Gene"; jeder, der will, kann sie verinnerlichen oder sich dagegen wappnen. Auch ist ein Strategem nicht mit Strategie zu verwechseln. Strategeme sind übergeordnet und "bezeichnen eine schlaue, ausgefallene, unkonventionelle Art der Problemlösung", schreibt der Strategem-Experte Professor Harro von Senger. Strategeme, Strategie, Taktik - das sei die Hierachie der Begriffe.

Wie schützt man sich gegen "Sanshiliu ji miben mingfa", die sogenannten 36 Strategeme der chinesischen Verhandlungskunst? Gegen Tricks, Listen, Kniffe, wie sie abgewandelt auch in Japan oder Korea in Wirtschaft, Alltag und Politik angewendet werden.

Weil Asien als Zukunftmarkt gilt, boomt das Geschäft mit Vorbereitungsseminaren für Führungskräfte jedweder Art, die dort keinen Schiffbruch erleiden wollen, wie etwa das Konsortium Thyssen/ Krupp/Siemens rund um den mit Milliarden deutscher Steuergelder entwickelten Magnetschwebezug Transrapid.

Wer listenblind sei, wandele durch Verhandlungen mit Asiaten wie durch pechschwarze Nacht ohne Taschenlampe, mahnt die China-Expertin Franziska Engel in "Business-Wissen". Engel: "Es gibt viele steile Abhänge. Wenn man Glück hat, kommt man ohne Taschenlampe unbeschadet an. Wenn man Pech hat, stürzt man ab."

Wer verstehen will, was rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) passierte, enthüllt mit Aktenstudium, kollektiver Kombinationsgabe und vielen anderen Ansätzen kaum alle Zusammenhänge. Das komplette Bild über Motive und Ursachen will nicht entstehen. Es bleiben weiße Flecken auf der Erkenntniskarte.

Man ahnt, dass die Lücken eher geschlossen werden, wenn man die Perspektive einer anderen Kultur zulässt. Hier die abendländische Logik, dort die ethikfreie Durchsetzung der Interessen - oder, wie ein Bonner Wirtschaftsweiser zur Gegenseite anmerkt: "Etwas vormachen, aber etwas anderes machen und das Vormachen dabei nicht vernachlässigen."

Von dieser Anmerkung ist es nur ein Katzensprung zu den in Asien Tag für Tag gelebten Strategemen. Wer dort so seine Ziele erreicht, erntet von den Überlisteten keineswegs Verachtung oder Abscheu, sondern - wenngleich missmutig - leise Anerkennung. Der andere war eben pfiffiger, einfallsreicher, umfassend geschickter; er hat seine Fähigkeit bewiesen, alle Umstände zu seinen Absichten vorteilhaft zu nutzen.

List gilt in Asien bis heute als Teil der Weisheit, bei uns hingegen als amoralisch; als Tatbestandsmerkmal taucht die List im Strafgesetzbuch auf. Das war nicht immer so. List war einmal, erklärt das Herder-Lexikon aus dem Jahre 1949, "die älteste Bezeichnung für Wissen, Weisheit (so noch bei Luther: Es ist auf Erden kein besser List, denn wer seiner Zungen ein Meister ist)".

In Deutschland und der westlichen Welt ist der Freiburger Sinologie-Professor von Senger der List-Experte: Er hat ein viele Bücher darüber veröffentlicht und konstatiert ein "großes Listvirtuositätsgefälle zwischen chinesischen und europäischen Führungskräften", das letztlich "der westlichen Wirtschaft schadet".

Denn, so glaubt er: "In Ermangelung einer geeigneten Listterminologie kann ein Europäer gar nicht rational über List nachdenken." Schon beim Wort "List" denkt der Westbürger meist nicht an einen klugen Trick, sondern eher an eine unfaire Gemeinheit - das letzte Mittel des schon besiegten Schwächeren, zu dem der zwar in höchster Not greift, darauf aber meist nicht stolz sein kann. Von Senger schreibt: "Die Urquelle jedes Strategems ist die Schlauheit, die Erfolgsgarantin die Geheimhaltung und die Unheilstifterin die vorzeitige Enthüllung."

Die klassische chinesische Listen-Liste entstand um das Jahr 1 500 und heißt, wie gesagt, "Sanshiliu ji miben mingfa" (Die 36 Strategeme - Geheimbuch der Kriegskunst); ihre Ursprünge sollen noch mehr als 1 000 Jahre älter sein. Jahrhundertelang galt das Wissen um diese List, besonders in den vielen Jahren unter dem großen Führer Mao, als geheim.

Das ist vorbei. Drei Dutzend Tricks beim Umgang mit übermächtigen Gegnern sind in dem veröffentlichten Geheimbuch zu knappsten Anweisungen geronnen, die im chinesischen Original aus jeweils nur drei oder vier Schriftzeichen bestehen. "Leihen Messer, töten Mensch" empfiehlt zum Beispiel das Strategem Nr. 2: "Mit dem Messer eines anderen töten", also über einen Stellvertreter agieren.

Trotz blumiger Übersetzungen sind viele dieser Anweisungen gar nicht so schwer zu durchschauen: "Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen", "Sich mit dem fernen Feind verbünden, um den Nachbarn anzugreifen", "Aufs Dach locken und die Leiter wegziehen". Bei anderen muss der Leser um die Ecke denken: So bedeutet "Der Pflaumenbaum verdorrt anstelle des Pfirsichbaums", dass man ein Bauernopfer bringen muss, um sich selbst zu retten.

Die Anwendung von Strategemen setzt keineswegs immer langfristige, kollektive und ausgeklügelte Pläne voraus. Das bewies etwa Chinas Staatschef Deng Xiaoping, als er 1979 US-Präsident Jimmy Carter besuchte. Es ist überliefert, dass der Erdnussfarmer zielstrebig das Thema Menschenrechte ansteuerte und kritisierte, dass China seinen Bürgern das freie Recht auf Ausreise in die USA verweigere.

Der kleine, große Mann aus China soll - situativ, individuell, geistesgegenwärtig - mit einer Frage geantwortet haben: "Herr Präsident, wie viele Millionen Chinesen hätte Sie gerne in den USA?" Daraufhin wechselte Carter schnell das Thema.

Szenenwechsel. Auf der Suche nach Erfahrungen an vorderster Diplomatenfront landen wir in einem Bonner Haus. Dieter Maliga berichtet aus zwölf Jahren Asien. Häufig saß er Koreanern gegenüber. Bei privaten Gelegenheiten und in Verhandlungen. "Oft war es ein ganzes Team, das sich auf mich vorbereitet hatte, und jeder im Team war auf einen Teilaspekt spezialisiert - auf das zu verhandelnde Thema sowieso, aber eben auch penibel auf mich als Mensch", sagt Maliga.

Eine asiatische Verhandlungscrew wisse, welche Redewendungen dem Gegenüber imponierten, wann bei ihm der Blutdruck steige und wo er sonstige Schwachstellen habe. Sie seien zumindest bestrebt, alles über jede Person zu wissen, mit der sie verhandeln: "Ich bin immer davon ausgegangen, dass sie auch wissen, wann ich welches Medikament einnehme. Sie versuchten, mich als Wesen zu erkunden und zu erkennen."

Mit anderen Worten: Schwächen, Eitelkeiten, Krankheiten und selbst Seitensprünge einer Person in die Verhandlungstaktik einzubeziehen, um sich auch so Vorteile in der Sache zu verschaffen.

Maliga war von 1997 bis 2000 der Geschäftsträger Deutschlands in Nordkorea, um in Pjöngjang eine Botschaft zu eröffnen. Er sagt: "Generell fühlen sich Asiaten uns überlegen.

Zudem gehen sie sehr oft umfassender vorbereitet in Verhandlungen als wir. Auf unserer Seite besteht mitunter eine gewisse Blauäugigkeit, man könnte auch sagen Einfältigkeit. Wir tendieren dazu, zu viel Ehrenhaftigkeit auf der anderen Seite vorauszusetzen." Wer Fairness erwarte, begehe den ersten Fehler.

Und da Reichtum - Maliga: "money-minded" - Asiaten über alles gehe, seien sie auch bereit, für ein langfristiges Ziel ein Bauernopfer zu bringen. Der Faktor Zeit habe in Asien zudem eine andere Wertigkeit, spiele oft eine untergeordnete Rolle. Das sei bei westlichen Partnern eher umgekehrt, diese wollten den Erfolg "in ihrer Amtszeit". Zeitdruck sei bei Verhandlungen mit Asiaten eher kontraproduktiv. "Die nutzen das aus."

Der ehemalige Diplomat hat die Geschehnisse rund um das WCCB beobachtet. Er glaubt, dass die Stadt Bonn das ausgeklügelte Vorgehen der Südkoreaner nie erwartet und durchschaut hat. "Die Bonner hatten eine schwache Position, die ihnen aber selbst gar nicht bewusst war." Sie seien sicherlich mit guten Absichten ge-startet, aber fachlich und psychologisch nicht ebenbürtig gewesen.

Der Versuch, die Liste der Strategeme auf die Entwicklung des WCCB anzuwenden, führt zu verblüffenden Betrachtungen.

Strategem Nr. 7: Aus dem Nichts etwas erzeugen. Spekulation: Mit extrem wenig Eigenkapital die Verfügungsgewalt über Millionen öffentlicher Mittel und Kredite erlangen.

Strategem Nr. 29: (Dürre) Bäume mit (künstlichen) Blumen schmücken. Man Ki Kims (SMI Hyundai) Zwischensätze weckten Assoziationen, dass SMI Hyundai Corporation etwas mit dem Weltkonzern Hyundai-Kia zu tun hätte. Zudem waren Kims Präsentationen nahezu perfekt und von großer Blendwirkung.

Strategem Nr. 6: Im Osten lärmen, im Westen angreifen. Strategem Nr. 20: Sich mit dem fernen Feind verbünden, um den Nachbarn anzugreifen. Die verworrene Lage um die heutige WCCB-Eigentumsfrage kann ein Zufallsprodukt sein, entstanden aus Kims Not; sie kann aber auch Teil des Kalküls sein.

Strategem Nr. 25: Ohne Veränderung der Fassade eines Hauses die Tragbalken stehlen und die Stützpfosten austauschen. Die UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC), Bauherr des WCCB, gibt es noch, aber in ihrem Inneren sitzen plötzlich Investment-Firmen als Hauptgesellschafter am WCCB-Tisch, deren Namen in der jahrelangen Planungsphase nie auftauchten. Sie wurden von Kim, ob geplant oder zufällig, in das Projekt geschleust. Nach GA-Informationen war die Karte "Honua" von Anfang an in Kims Händen und für ihn ein Faktor.

Strategem Nr. 12: Mit leichter Hand das (einem unerwartet über den Weg laufende) Schaf wegführen. Spekulation: Das Baukosten-Controlling fiel offenbar unerwartet lasch aus, was gemeinsam mit der vermeintlichen Hotelzimmer-Zahl-Umplanung (der GA berichtete) eine einmalige Chance zur Baukosten-Explosion bot.

Strategem Nr. 30: Die Rolle des Gastes in die des Gastgebers umkehren. Gelungen: Die Stadt Bonn ist (fast) nur noch Zuschauer.

Das alles muss aber nicht heißen, dass die Dinge so bis zum Sankt-Nimmerleinstag weiter laufen werden. Denn trotz aller List kann für einige Personen irgendwann die Zeit gekommen sein, in der es besser ist, zum Strategem Nr. 21 zu greifen: "Die Zikade wirft ihre goldglänzende Haut ab" - das soll heißen: Man lässt alle falschen, zu strategischen Zwecken ersonnenen Äußerlichkeiten hinter sich, was in Teilen bereits geschieht. Und schließlich könnte das Korea-Team zum letzten Strategem Nr. 36 wechseln: (Rechtzeitiges) Weglaufen ist (bei sich abzeichnender völliger Aussichtslosigkeit) das Beste.

Rückblende. An einem der letzten Märztage 2006 erzählt Ha-S. C., Spiritus Rector des SMI-Hyundai-"Konzerns", staunenden Bonnern, eine Fabel. Die Geschichte handelt von Adlern, Tigern und Löwen. Ständig rotieren SMI-Adler um den Globus. Spüren sie ein mögliches Projekt, das in dieser Serie "fette Made" heißt, auf, melden sie das ihren Löwen, die sofort "die Jagd nach dem Projekt aufnehmen" und den Standort prüfen. Melden auch die Löwen nur Positives, schlägt die Stunde der Tiger, die das Projekt an Land ziehen sollen.

Als C. diese Fabel fröhlich erzählt, ist der Projektvertrag längst unterzeichnet. Und noch schleichen sich bei den Bonnern keine Zweifel ins Staunen.

Fortsetzung folgt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort