Die Millionenfalle, Teil XXVI

Das WCCB wird Bonns Sparzwang noch einmal drastisch verschärfen.

Balanciert den Etat aus:  Kämmerer Ludger Sander.

Balanciert den Etat aus: Kämmerer Ludger Sander.

Foto: privat

Bonn. Wenn der und der hustet, kriegt jener automatisch eine Grippe. Das Bonmot ist beliebt, um wirtschaftliche Abhängigkeiten zu verdeutlichen, etwa zwischen BMW und Niederbayern. Auch gilt: "Wenn die Wirtschaft vor Ort schwächelt, kriegt ein kommunaler Haushalt gleich die Grippe."

Diesmal dürfte es eine Lungenentzündung werden. Die Dramatik treibt selbst Bonns Ober-Zahlenmann, Kämmerer Professor Ludger Sander, zu einer Sprache, die jeder versteht: Wenn nicht kräftig - 50 Millionen - gespart werde, sei der Haushalt 2010 "ein letztes Aufatmen", dem dann "die Luft ausgeht".

Denn Sander kann den Haushalt "lediglich buchungstechnisch ausgeglichen" präsentieren, womit Bonn in die Gruppe jener Kommunen abdriftet, deren Etat nur fiktiv ausgeglichen ist. Mit allen legalen Tricks kriegt Sander gerade noch einmal die Kurve vor dem Haushaltssicherungskonzept (HSK).

Auch Bonn leidet an den Bundesgesetzen. Doch ein Teil der Krise, die nun naht, ist selbstverschuldet. Das Unheil entstand nicht über Nacht. Es hat Geschichte - und das buchstäblich. Bonn ist keine normale Stadt; sie ist die einzige Deutschlands, die einmal Bundeshauptstadt war.

Das Erbe hat mentale und strukturelle Handikaps hinterlassen. So wurde etwa für die Kinder von Botschaftern, Ministern und Beamten ein hervorragendes Schul- und Kindergartenangebot aufgebaut. Auch Theater, Oper und Ballett mussten sein. Überhaupt: Bonn hat alles andere als eine unterdurchschnittliche Infrastruktur. Dafür flossen einst Bundesmillionen, aber die Infrastruktur ist geblieben. Das kostet.

Die neuen wirtschaftlichen Bonner Spielregeln haben jedoch kaum das "bundeshauptstädtisch Mentale" vertreiben können. Ob die Ansiedlung der Post- oder Telekomzentrale aktive Akquise spiegeln oder eher "in den Schoß gefallen sind", ist eine offene Frage. Die mentalen Nachwehen zeigen sich manchmal im fehlenden Pragmatismus oder mangelhaftem Ehrgeiz, dem Kämmerer neue Steuerquellen zuzuspielen.

Die Verwaltung gilt als Ort strenger Paragrafenreiter und Trutzburg reiner Lehren, etwa des Zentrenkonzepts. Während andere Kommunen an Bonns Grenzen auf egoistisch-pragmatische Weise "zentrenschädliche" Großmärkte oder Outlet-Center installieren, ist Bonn eher puristisch unterwegs und die einzige Stadt Deutschlands mit mehr als 300 000 Einwohnern ohne einen "Saturn" oder "Mediamarkt". Die Bonner Kaufkraft für Unterhaltungselektronik landet weiter in Köln oder Sankt Augustin und vielleicht bald auch in Bornheim.

Manchmal hilft der Blick von außen. Die "New York Times" schrieb, dass sich Bonn anfühle wie "a small city on steroids". Sinngemäß: alles eine Nummer zu groß. Den Wegzug von tausenden Abgeordneten, Beamten, Mitarbeitern von Botschaften und Verbänden haben "die Rheinländer blendend verkraftet", meint das Wirtschaftsmagazin "brandeins".

Aber: "Nur die Erkenntnis, zumindest in einer Hinsicht eine ganz normale Stadt zu sein, setzt sich am Rhein erst langsam durch. Eine ganz normale Stadt hat einen ganz normalen Haushalt mit beschränkten Mitteln - und ziemlich kniffligen Herausforderungen." Das Blatt fragt: "Warum lässt sich das den Bürgern nicht erklären?" Der Journalist vermutet: Der Bonner habe sich durch die Hauptstadt-Jahrzehnte an viele Annehmlichkeiten gewöhnt, etwa an (zu) viele Bäder, ein mit Bund-Millionen bezuschusstes Theater samt Oper.

Unter dem Gewohnheitssyndrom leiden auch Bonns Politiker, das, so Sander, "haben die letzten Wochen gezeigt. Sobald irgendeine Sparmaßnahme diskutiert wurde, kam der Vorwurf, gerade hier würden die falschen Prioritäten gesetzt und würde an der falschen Stelle gespart."

Fest steht: Wird nicht genug gespart, muss auch nicht mehr über Prioritäten gestritten werden. Dann streicht der Regierungspräsident - ohne Debatte. Über dieser extrem labilen Haushaltslage schwebt nun mit dem World Conference Center Bonn (WCCB) eine weitere Millionenfalle ein.

Ein Projekt, das Bonn vor Jahren mit der Absicht begann, die Einnahmeseite langfristig zu stärken. Andere Kommunen buhlen für mehr Gewerbesteuer um die Ansiedlung von Unternehmen, weisen Gewerbeparks aus oder investieren anderswo. Beim WCCB standen alle Aktivitäten im Zeichen der Umwegrendite, weil Kongressteilnehmer pro Tag etwa 100 bis 400 Euro an dem Ort ausgeben, wo sie tagen.

Auf diese Weise, so die Erwartung, wird auch die Gewerbesteuer beflügelt. Dieser schwer messbare Effekt wird so hoch eingeschätzt, dass ein Kongresszentrum durchaus Miese machen darf. In Deutschland produzieren sie alle mit Ausnahme des Estrel in Berlin, Europas größtem Convention- und Hotelkomplex, mehr Ausgaben als Einnahmen.

Wie berichtet, entwickelte sich das WCCB ganz anders als geplant. Bonn steht, bevor irgendein Kongress mit Umwegrendite veranstaltet werden kann, vor einem Scherbenhaufen. Schon der Bau blieb zwischen korrupten Machenschaften auf der Strecke. Im Haushalt steht der "Fall WCCB" nur als Fußnote. Wie viele Millionen Euro werden es sein, die Sander zusätzlich schultern muss? Was bedeutet das WCCB für mehr als 317 000 Bonner?

"Die Verwaltung, die Politik und Sie - die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt - sitzen alle im selben Boot, wir müssen alle in die gleiche Richtung rudern", erklärt die Stadt in einem früheren Beitrag zur allgemeinen Haushaltslage auf ihrer Homepage www.bonn.de. Was damals galt, gilt erst recht heute. Solche zur Solidarität ermunternden Zeilen bedeuten: Die Bürger müssen die Suppe mitauslöffeln - auch beim WCCB, das heute aus mehreren Kosten-Baustellen besteht.

Will die Stadt beim WCCB endlich selbst im Sattel sitzen, muss sie alle anderen Anspruchsteller zwischen Hawaii (Honua), Zypern (Arazim) und Reston/USA (SMI Hyundai) aussitzen. Ein juristisch heikles Terrain. Als leichteste Übung erscheint da noch, sich mit Insolvenzverwalter Christopher Seagon zu einigen. Das magische Wort heißt "Heimfallvergütung" - Geld, das Seagon zusteht, wenn er einer WCCB-Rückübertragung an die Stadt einwilligt. Eine Lösung, die Jürgen Nimptsch anstrebt. Das könnte fünf Millionen Euro kosten.

Nimptsch ist neu gewählt worden. Als Oberbürgermeister. Nun ist er Obersparmeister. Er spielt keine einfache Rolle. Auf der öffentlichen Bühne muss er Zuversicht ausstrahlen und beim Blick hinter die Kulissen das Gegenteil verkraften. Zur Aussicht gehört auch, vielleicht alle WCCB-Landes- und Bundeszuschüsse zurückzahlen zu müssen. Hier lauern mehr als 60 Millionen Euro.

Schon deshalb muss Nimptsch zuende bauen. Unstrittig ist, dass die Stadt für 104,4 Millionen bürgt. Hinzu kommt noch eine Bürgschaft für den Eigenkapitalkredit des "Investors" Man-Ki Kim plus Zinsen: rund 14,3 Millionen. Zwischenbilanz: 5,0 + 104,4 + 14,3 = 123,7 Millionen.

Zahlreiche externe Experten tüfteln zurzeit für die Stadt, wie das WCCB zu einem guten Ende geführt werden kann. Guter Rat ist teuer: 500 Euro die Stunde. Dazu der Heizungseinbau sowie die Energie (rund 25 000 Euro pro Monat), um die Haustechnik gegen Väterchen Frost zu verteidigen.

Wie wir heute wissen: Ohne Heizung wäre das WCCB von diesem Winter ruiniert worden. Viele kleine kostenintensive Haufen könnten sich auf 3,5 Millionen summieren. Zwischensumme: 127,2 Millionen.

Hinzu kommt der jährliche Zuschussbedarf. Er wird nach GA-Informationen bei 3,5 bis 6,5 Millionen Euro liegen. Deshalb war das, was der Investorenauswähler Michael Thielbeer, inzwischen der Bestechlichkeit verdächtigt, in Aussicht stellte, nämlich einen zuschussfreien Betrieb, sofern der Investor SMI Hyundai hieße, im Grunde eine Verheißung aus dem Wolkenkuckucksheim. Zwischensumme: 132,2 Millionen.

Schließlich die letzte große Kraftanstrengung: der Fertigbau. 60 Millionen wird er nach GA-Informationen kosten. Soll das WCCB zudem mit Gewährleistung an einen Investor verkauft werden, darf man es sich nicht mit den Handwerkern verscherzen, die beim Insolvenzverwalter "Gläubiger" heißen.

Sollen sie fertigbauen und für Baumängel "gewährleisten", sind nach GA-Informationen weitere rund 6,5 Millionen für alte Rechnungen fällig. Schließlich braucht man auch die Pläne von Meister Young-Ho Hong, dessen Baufirma SMI Hyundai Europe insolvent ist. Die bisherige Cleverness aller Beteiligten lässt vermuten, dass sie bei irgendeiner Hong-GmbH liegen und damit nicht zur Insolvenzmasse gehören. Folglich dürfte Hong einen Preis im Kopf haben. Es ist sein letztes Pfund.

So wird Nimptschs schlechteste Annahme - "bis zu 200 Millionen" - Schritt für Schritt plausibel. Vielleicht werden es ein paar Millionen mehr, wenn etwa Honua einen Richter trifft, der der Hawaii-Company (auf Kosten der Stadt) eine Entschädigung zuspricht. Bliebe es bei den 200 Millionen, kommt - verteilt auf 25 Jahre - eine Pro-Einwohner-Belastung heraus, mit der sich etwa zwei Beethoven-Orchester unterhalten ließen.

Zudem bedroht ein weiteres, nicht beeinflussbares Risiko Bonn. Sanders größter Verbündeter ist die aktuelle Zinsflaute. Zurzeit überzieht Bonn sein Konto mit 406 Millionen, 2013 könnten es fast 700 Millionen sein. Heute liegt der kommunale Dispo teilweise unter einem Prozent, was den Ernst der Lage mildert. Das wird so nicht bleiben.

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