Die Millionenfalle, Teil XXXIX - Das Schwarzer-Peter-Spiel

Möglichst keine WCCB-Sondersitzung im Stadtrat, möglichst keine öffentliche Version des WCCB-Reports des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), möglichst das Kürzel W-C-C-B nicht mehr verwenden, möglichst die Historie wegsperren, am besten einbetonieren und verbuddeln.

Die Millionenfalle, Teil XXXIX - Das Schwarzer-Peter-Spiel
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Bonn. Möglichst keine WCCB-Sondersitzung im Stadtrat, möglichst keine öffentliche Version des WCCB-Reports des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), möglichst das Kürzel W-C-C-B nicht mehr verwenden, möglichst die Historie wegsperren, am besten einbetonieren und verbuddeln.

Und könnte man doch das individuelle Gedächtnis der Betrogenen löschen oder einen kollektiven Gedächtnisverlust organisieren. Eine Stärke dieser Hoffnungen könnte in Konditionsschwächen der anderen liegen. Sollen die Ratsfrauen und -herren sich doch müde strampeln mit ihrer Vergangenheitsbewältigungssehnsucht, und die Medien werden noch früher gelangweilt abdrehen.

Um im Bild dieser Tage zu bleiben: Wer bleibt bei der Debakel-Historie um das World Conference Center Bonn (WCCB) am Ball? Selbst der chronische Personalmangel der Staatsanwaltschaft spendet da - aus Sicht ausschließlich Zukunftsorientierter - eine gewisse Zuversicht. Ansonsten scheint Bonns neue Verwaltungsspitze ein Problembewältigungsrezept wiederzubeleben, dass vor mehr als einem Vierteljahrhundert in dieser Stadt von einem von der CDU erfunden worden ist. In einer vergilbten Ausgabe der "Zeit" vom 10. Februar 1984 findet man zwei Sätze: "“Es gibt viel zu tun - sitzen wir"s aus!„ sagte Helmut Kohl sich und den Seinen, als er vor Jahr und Tag mit dem Regieren anfing.

Seit er dem Vorsatz die Tat folgen ließ, ist manches anders geworden in Bonn." Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) startete in Bonn etwas anders, denn er versprach - mehr Transparenz! Nun ist der WCCB-Report des Rechnungsprüfungsamtes in der Welt, genaugenommen bei rund 130 Eingeweihten, und, alle Abschreckungsversuche haben nichts genutzt, auch bei den Medien.

Es soll, so die Stadt, 66.000 Euro kosten, um daraus eine rechtssichere, öffentliche Version zu basteln. Das klingt nach einem Abschreckungspreis in Sparzeiten. Einige Kilometer weiter südöstlich spielt die Nürburgring-Affäre. Sie unterscheidet sich von der Bonner in vielem, hat aber eine Gemeinsamkeit: Während der Investor-Aufschneider in Bonn sich als Teil eines Weltautokonzerns vorstellte, grüßte der aus der Pfalz als Teil eines globalen Chemieriesen.

Extra Lesen Sie hier unsere komplette Serie "Die Millionenfalle"Auch beim Erlebnispark um die Rennstrecke sahen später amtliche Rechnungsprüfer nach dem Rechten. Als bilde Rheinland-Pfalz den Rechtsraum nach Art Süd-Kameruns und der in Nordrhein-Westfalen den einer globalen Bedenkenträgervereinigung: In "Süd-Kamerun" steht der Prüferbericht längst online. Keine Spezialversion für die Öffentlichkeit, sondern das Original eins zu eins. Kosten: null Euro. Erstaunlich, wie Ermessensspielräume sich weiten und verengen können.

Das Spielen auf der Klaviatur der Vergangenheitsbewältigungsabwehr hat indes nicht verhindern können, dass die Mühlen der Administration weitermahlen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Untreue gegen städtische Bedienstete: Eva-Maria Zwiebler (ehemalige Projektbeauftragte), Arno Hübner (ehemaliger Projektleiter), Bärbel Dieckmann (Oberbürgermeisterin a.D.), Friedhelm Naujoks (ehemaliger Leiter des Städtischen Gebäudemanagements/SGB) sowie seine Mitarbeiter Bernhard Arzdorf und Detmar Kühl.

Alle Personen kommen im RPA-Bericht vor, der auf 475 Seiten ein nicht gerade gewissenhaftes Verhältnis der Stadt zu Steuerzahlermillionen und kommunaler Demokratie beschreibt. Sie wurden vom RPA-Leiter Horst Schallenberg zu Stellungnahmen aufgefordert. Alle haben nun geantwortet. Es fällt auf, dass der Mitteilungsbedarf extrem schwankt: Arzdorf und Kühl antworten auf jeweils einer Seite, Dieckmann und Naujoks jeweils auf zwei Seiten, Hübner auf 18, Zwiebler auf 13. Zum RPA-Inhalt nehmen nur Hübner, Naujoks und Zwiebler Stellung, während Arzdorf und Kühl auf ihren Vorgesetzten Naujoks verweisen.

Und nur Hübner und Zwiebler schreiben selbst, alle anderen lassen schreiben - von Rechtsanwälten. Sicher ist sicher. Jürgen Pauly, Rechtsanwalt von Dieckmann: "Im Hinblick darauf, dass zeitgleich zu den Überprüfungen durch Ihre Dienststelle das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft geführt wird, erlauben wir uns folgende Bemerkungen: Wir beabsichtigen, zu den von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfen eine umfassende Stellungnahme abzugeben. Vollständige Akteneinsicht hat die Verteidigung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch noch nicht erhalten. Wir müssen Frau Dieckmann vor diesem Hintergrund empfehlen, zunächst eine Stellungnahme zum Sachverhalt gegenüber der Staatsanwaltschaft abzugeben."

Frank Seebode, Rechtsanwalt von Naujoks, schreibt: "Der umfassend abgestimmte und allen Beteiligten gut bekannte Controlling-Vertrag sah nur eine eingeschränkte Überprüfung durch meinen Mandanten und seine Mitarbeiter vor. Geschuldet war lediglich eine Plausibilitätsprüfung. Dass beispielsweise die Nachtragsüberwachung oder ein umfassendes Kostencontrolling nicht beauftragt waren, ist ein Vorwurf, der meinem Mandanten nicht gemacht werden kann."

Seebode verweist auf die limitierten Möglichkeiten des SGB: "Diese Personalstärke war allen Beteiligten bekannt und nun kann nicht bemängelt werden, dass keine wesentlich größeren und personalintensiven Leistungen erbracht wurden." In einer früheren Einlassung hatte Hübner angemerkt, dass das SGB sich hätte melden können, wenn die Personalressourcen absehbar nicht ausreichen. Aber bei wem?

Denn Vertragspartner des SGB war die Sparkasse KölnBonn, nicht die Stadt. Die Stadt war "nur" Bürge des Sparkassenkredits für die private Baumaßnahme des Investors SMI Hyundai Corporation mit seinem Geschäftsbevollmächtigten Man-Ki Kim. Das "Nur" bedeutet: Stadt zahlt, darf aber nicht direkt das Geschäftsgebaren von Bauherr (Kim) und -firma (Young-Ho Hong) kontrollieren, weil die Baumaßnahme privat ist. Gleichzeitig kontrolliert aber eine städtische Einrichtung wie das SGB im Auftrag des Kreditgebers - und das nur begrenzt, weil der Controlling-Vertrag keine Rechnungs- und Baukontrolle, wie sie einem Millionenprojekt angemessen gewesen wäre, vorsah.

Letztlich bestand der Controlling-Außenposten aus einem völlig überforderten Sachbearbeiter des Ordnungsamtes. Die skurrile Konstruktion durchschauten die blitzgescheiten südkoreanischen Geschäftspartner recht bald zum eigenen Vorteil, und heute suchen Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwalter nach verschwundenen Millionen.

Schließlich schweben Schuld- und Verantwortungsfragen über dem WCCB-Debakel: Hat die Sparkasse ein lasches SGB-Controlling hingenommen, weil durch die städtische Komplettbürgschaft kein Kreditrisiko bestand? Andererseits notiert der RPA-Bericht, dass die Sparkasse ursprünglich einen externen Controller beauftragen wollte, die Stadt aber das SGB für ausreichend befähigt einstufte. Und für preiswerter.

Eva-Maria Zwiebler schreibt: "Die Finanzierungsgespräche fanden unmittelbar zwischen SMI Hyundai und der Sparkasse statt, wobei die Stadt über Interna keine Informationen erhielt. Es war das Investment eines Privaten, und die Sparkasse verwies oftmals auf das Bankgeheimnis, so dass wir nur knappe und wenig aussagekräftige Auskünfte über die stattgefundenen Gespräche erhielten." Erst Anfang 2007 habe die Sparkasse erstmals gegenüber der Stadt "die Finanzkraft von SMI Hyundai problematisiert", weil Kim die vertraglich vereinbarte erste Eigenkapital-Tranche von zehn Millionen Euro nicht leistete. Anfang Februar 2007 ging das Geld dann ein.

Zu diesem Zeitpunkt "wusste ich nicht, dass Dr. Kim die eingezahlten 10 Mio. Euro von Arazim geliehen und mit dieser Firma einen Vertrag abgeschlossen hatte". Auch hier offenbart sich das Dilemma der politisch gewollten Konstruktion: Privater Investor baut, öffentliche Hand haftet. Mittendrin das Bankgeheimnis für ein "privates Invest". Inzwischen wissen alle Beteiligten, dass die Konstruktion ein aberwitziges Ergebnis produziert hat: SMI Hyundai/Kim null Euro, Stadt haftet trotzdem, sogar für das Eigenkapital des privaten Investors.

Wie man es auch dreht und wendet, es läuft auf einen Disput zwischen Sparkasse und Stadt hinaus. Und die in der Millionenfalle oft gestellte Frage "Wer wusste was wann?" gilt in unverhoffter Weise auch für alle politischen Parteien abseits des Cockpits der ehemaligen Oberbürgermeisterin. Denn Zwiebler schreibt: "Den politischen Willen habe ich immer eindeutig so verstanden, dass auch dann das Bauwerk fertig gestellt werden müsse, wenn (...) weitere 30 Mio. Euro finanziert und wiederum dann über eine weitere Nebenabrede abgesichert werden müssten."

Zwiebler verweist insbesondere auf "Informationsgespräche mit Vertretern der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, Grünen/Bündnis 90 und Bürger Bund", wo auch "die Gesamtprojektkosten von 200 Mio. Euro erläutert" worden seien. Träfe das alles zu, wäre die im Stadtrat gezeigte Empörung darüber, getäuscht worden zu sein, nur vorgespielt. Allerdings berichtet Zwiebler: "Zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses über die Zusatzvereinbarung zur Nebenabrede war der genaue Wortlaut der Nebenabrede noch nicht bekannt."

Später habe "VR 02 (Dezernat Verwaltungskoordination/Anm. d. Red.) schriftlich bestätigt, dass die Zusatzvereinbarung mit dem Ratsbeschluss übereinstimmt". Hinter den Formulierungen steckt die brisante Frage: Wusste der Stadtrat, als er am 7. Mai 2009 weitere 30 Millionen Euro für das WCCB bewilligte, dass ein Teil des Geldes auch für Kims fehlendes Eigenkapital verwendet wurde? Offiziell war nur von "frischem Geld für die Baustelle" die Rede, um einen Baustopp zu verhindern.

Tatsächlich erreichten die Baukasse nur 15,7 Millionen Euro. Damit konnte der Baustopp nur um Wochen verzögert werden. Selbst ohne die Sensitivität einer Hundenase riecht das Ganze nach einem Schwarzer-Peter-Spiel, was nicht überrascht, denn spätestens nach dem Baustopp hat das WCCB die Phase offensichtlicher und verdeckter Schuldzuweisungen oder -distanzierungen erreicht.

Das Ziel aller Personen, gegen die die Staatsanwaltschaft nun wegen des Verdachts der Untreue ermittelt, ist nachvollziehbar: Sie müssen belegen, dass stets ein anderer, etwa ein Vorgesetzter oder die Sparkasse, für manch zweifelhafte WCCB-Handlung die "Go-Taste" drückte und man selbst nur Ausführender, eben Befehlsempfänger war.

RPA-Chef Schallenberg hat alles gründlich durchgelesen. Sein Fazit: "Die Ausführungen in den jeweiligen Stellungnahmen geben aus Sicht des Rechnungsprüfungsamtes keinen Anlass zu Änderungen der im Bericht dargelegten Feststellungen/Bewertungen." Mit anderen Worten: Der WCCB-Report spiegelt für das RPA weiter zutreffend den Stand der Dinge über das, was war und was ist. Und das sollten die Bürger endlich in vollem Umfang erfahren.

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