Serie Kinder Kinder Die Phase der vielen Fragen

Alfter · Auf den römischen Imperator Julius Caesar kommt Axel Föller-Mancini zu sprechen, um eine spannende Phase der Kindheit zu beschreiben. Nein, es geht nicht um die Lektüre von Geschichten raufsüchtiger Gallier, die dem mächtigen Anführer umfangreicher Legionen ein paar gepfefferte Backpfeifen verpassen wollen.

 Wenn plötzlich vieles anders wird: Die Zeit des „Rubikon“, vor der Pubertät, ist eine kaum beachtete Phase der mittleren Kindheit.

Wenn plötzlich vieles anders wird: Die Zeit des „Rubikon“, vor der Pubertät, ist eine kaum beachtete Phase der mittleren Kindheit.

Foto: picture alliance / dpa-tmn

Caesar steht vielmehr sinnbildlich für eine bislang kaum beachtete Phase der mittleren Kindheit: dem Rubikon. Am Ufer eben jenes Rubicone, einem Grenzfluss, der das Römische Reich von Gallien trennt, steht 49 vor Christus der spätere römische Staatslenker, um samt seiner Legionen gen Rom zu marschieren. Die innere Haltung Caesars, die ihn dazu bewegt, den Rubicone zu überschreiten, kann als Sinnbild der Entwicklung gesehen werden, in welcher sich Filia und Filius etwa ab dem sechsten Lebensjahr befinden.

Ab dann bewegen sich Kinder auf den Entwicklungsschritt des Rubikon zu, berichtet Axel Föller-Mancini im Gespräch mit dem GA. Der Juniorprofessor für qualitative Methoden in der Bildungsforschung an der Alfterer Alanus Hochschule hat über jene Phase, die bis zum elften oder zwölften Lebensjahr andauert, viel geforscht. Manche Mädchen und Jungen treten erst mit acht Jahren in diesen Abschnitt ihrer Entwicklung ein.

Das Bewusstsein erwacht

Die Phase ist vor allem von einem geprägt: von vielen Fragen. „Das Kind hinterfragt plötzlich, wo vorher totales Vertrauen war – ein Urvertrauen“, so der 59-Jährige. Die Fülle an Fragen kommt nicht von ungefähr: „Mit dem anstehenden Ende der Grundschulzeit erwacht das Bewusstsein, hinter die Dinge zu blicken.“ Der Glaube an das Christkind und seine guten Werke oder an den Osterhasen ist für die Mädchen und Jungen im Rubikon längst passé. Keine Frage: Ein Stück kindlicher Unbekümmertheit ist für immer verloren. „Das kann zu Krisen führen“, weiß Föller-Mancini. „Die sind aber bei den Kindern unterschiedlich ausgeprägt.“ Mancher Heranwachsende beginnt in diesem Alter beispielsweise damit, ein Schild an der Tür des Kinderzimmers anzubringen, um sich seinen ganz privaten Rückzugsraum zu sichern.

Diese von Eltern womöglich als Provokation empfundene Tat sei aber nichts anderes als ein gesunder Entwicklungsschritt, der sich in der Erkenntnis ausdrückt, dass sich das Ich und die Welt im Erleben voneinander trennen. Das Kind empfindet mehr oder weniger unbewusst: Ich gehöre nicht nur einer Familie an, ich bin auch und vor allem ein Individuum. Dieser „Umschwungpunkt“, wie der Waldorfpädagoge, die Rubikon-Zeit auch nennt, ermöglicht dem Kind eine neue seelische Qualität, mit der es sich in die Welt stellen kann. „Der Verstand und die Vernunft bauen sich weiter aus“, sagt Föller-Mancini, der selbst Vater einer 23 Jahre alten Tochter und eines 20 Jahre alten Sohnes ist.

Stoppschild an der Zimmertür

Körperlich ist die Zeit des Rubikons nicht mit solch gravierenden Veränderungen behaftet, wie sie später mit der Pubertät einhergehen. Allenfalls die zuweilen langsam einsetzende Schambehaarung lässt darauf hindeuten, dass Veränderungen anstehen.

Für alle Eltern hat der Alanus-Professor einen leicht umzusetzenden Tipp parat: „Fragen und zuhören“, sagt er. Denn die Krux am sich entwickelnden „magischen Bewusstsein“, wie er es nennt, ist leicht erklärt: „Womöglich kann das Kind noch nicht begründen, was es unglücklich macht.“

Sollte also das Stoppschild an der Kinderzimmertür auftauchen, sei dies für die Eltern kein Grund zur Sorge: „Ich rate, diese Privatsphäre unbedingt zu respektieren.“ Die mittlere Kindheit sei „dann eine tolle Möglichkeit, in neue Verabredungen mit dem Kind zu kommen“.

Dienstag, 10. Mai: Axel Föller-Mancini, „Eine Persönlichkeit bildet sich - Das „Rubikon“, eine kaum beachtete Phase der mittleren Kindheit“

Erziehung und Bildung sind zentrale Themen in der Gesellschaft. Eltern und Pädagogen sehen sich mit komplexen Fragen und Herausforderungen konfrontiert. Die Ringvorlesung „Erziehungsfragen und pädagogische Herausforderungen der Gegenwart“, die von der Alanus Hochschule mit Unterstützung des General-Anzeigers veranstaltet wird, greift zentrale pädagogische Fragestellungen auf und beleuchtet sie vor dem Hintergrund der erziehungswissenschaftlichen Forschung mit Fokus auf die Herausforderungen der Praxis. Die öffentlichen Vorträge finden jeweils dienstags von 19.15 bis 20.45 Uhr im Foyer der Alanus Hochschule, Campus II, Villestraße 3, in Alfter statt. Das sind die anstehenden Themen und Termine:

17. Mai: Michael Zech, „Niemand versteht mich… Die herausfordernde Entwicklungsphase der Pubertät“, 24. Mai: Janne Fengler, „Jetzt begreif ich’s... Der Bildungswert unmittelbaren Erlebens und Erfahrens“, 31. Mai: Bernhard Schmalenbach, „Handeln, Verstehen, Verantworten - Die Bedeutung der Hand in der Entwicklung des Kindes“, 7. Juni: Carlo Willmann, „Brauchen wir das noch? Zum „Warum“ und „Wie“ einer religiösen Erziehung?“, 14. Juni: Wilfried Sommer, „Das ist mir zu abstrakt – Abenteuer Naturwissenschaft“, 21. Juni: Paula Bleckmann, „Im Bann der Smartphones - Erziehung zur Medienmündigkeit“, 28. Juni: Albert Schmelzer, „Fremdsein - Interkulturelle Bildung als Zeitforderung“

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