Perspektiven für Bonns Zukunft Die Stadt braucht einen Plan B

Bonn · Bonn braucht die Fortentwicklung der Arbeitsteilung mit Berlin. Die Bundesstadt braucht einen Plan B, um bundespolitische Institutionen am Rhein dauerhaft zu sichern.

Am Anfang stand die gute Nachricht. Dass daraus eine zwangsläufige Nachricht werden würde, die in den Augen vieler Bonner eine schlechte sein sollte, ahnte damals noch niemand.

Damals - das war der 9. November 1989, als Günter Schabowski in Berlin unfreiwillig die sofortige Öffnung der Mauer verkündete und sich wenig später die Bundestagsabgeordneten im Bonner Wasserwerk in den Armen lagen, Freudentränen vergießend und die Nationalhymne singend. Da war für die meisten die Wiedervereinigung noch in weiter Ferne, selbst der Kanzler der Einheit dachte eher an eine Föderation als an die vereinigte Bundesrepublik.

Bonn kämpfte um den Parlaments- und Regierungssitz

Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels hatte noch kein halbes Jahr zuvor, am 13. Juni 1989, dem Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Michail Gorbatschow, zugerufen: "Gerade wir Bonner sind uns immer der Tatsache bewusst, dass unsere Stadt entsprechend der Präambel des Grundgesetzes die Aufgabe der Hauptstadt nur stellvertretend für Berlin wahrnimmt." Das war so staatstragend, so klar, dass manche Debatte der dann folgenden Monate weit dahinter zurückfiel.

Bonn kämpfte nicht um den Titel der Bundeshauptstadt, wohl aber um den Sitz von Regierung und Parlament - und verlor. Der Bundestag zog Ende des Jahrhunderts nach Berlin, komplett und ganz - der quasi eben erst fertiggestellte neue Plenarsaal blieb leer und auch die Bundesregierung wanderte zu großen Teilen vom Rhein an die Spree.

Die Bundeshauptstadt mutierte zur Bundesstadt

Wenn man so will, ein Paradoxon der Geschichte: Mehr als 40 Jahre hatte die kleine Stadt am Rhein als Bundeshauptstadt gedient: die ersten 20 Jahre davon bewusst provisorisch, die zweiten 20 Jahre den Hauptstadtauftrag bewusst annehmend und ausbauend. Nicht nur die Kreuzbauten zeugen davon. Auf dem Höhepunkt des Ausbaus war Schluss: Die Bundeshauptstadt mutierte zur Bundesstadt.

Sie hat diesen Wandel - großzügig unterstützt vom Bund - wunderbar hinbekommen - und blieb dennoch unzufrieden. 1994 beschloss der Bundestag "ausgehend davon, dass Bonn Wesentliches zum Aufbau und zur Identifikation des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten Deutschlands geleistet hat", das Berlin/Bonn-Gesetz. Ein großzügiges Gesetz. Zweck war und ist die Sicherstellung "einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung" zwischen Berlin und Bonn.

Ein vieldeutiger Begriff, denn so mancher Bonner sah darin die Chance, im Kleinen (oder im Nachhinein) doch zurückzuholen, was im Großen eigentlich schon verloren war. "Arbeitsteilung" klang - ganz unjuristisch - nach "halbe/halbe" und dieser Eindruck wurde noch unterstützt durch die Gesetzesformulierung, dass die Sitzentscheidungen so gestaltet werden "sollen", dass "insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt". Der Bund in Bonn

1994: Bonn braucht ein neues Zukunftsmodell

Das war weniger klar, als es viele Bonner lasen oder lesen wollten. Es war eine "Soll"-Vorschrift und strittig war schon bald, was "der größte Teil" sein könnte. Mehr als die Hälfte der aktuellen Ministeriumsarbeitsplätze oder "nur" mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze im Jahre 1994? Noch weniger klar war die Entscheidung, welche Ministerien des Bundes denn nun in Bonn verbleiben würden. Das Gesetz regelt nur die Politikbereiche. Daraus abgeleitete Absprachen sicherten der Bundesstadt dann sechs "Erstsitze": Verteidigung, Ernährung, Entwicklung, Umwelt, Gesundheit, Bildung und Forschung.

Der Gedanke hinter den Politikbereichen, entwickelt mit maßgeblicher Unterstützung aus dem Bonner Rathaus, in Sonderheit von Bonns quirliger Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann: Bonn braucht ein neues Zukunftsmodell. Oder platter gesagt: Es geht nicht um Zahlen, sondern um Säulen.

Dieser Gedanke drohte und droht jedoch in den immer wieder aufflackernden Umzugsdebatten verloren zu gehen. Akribisch wurde gezählt und gezählt und heraus kam, was herauskommen musste: Immer mehr Ministerialbeamte wurden von Bonn abgezogen - "mehr als die Hälfte" war schnell Fiktion. Aktueller Stand: 38 Prozent - wenn die Zahl denn stimmt....

Hoffen auf eine Vereinbarung bis zum Ende der Legislaturperiode in zwei Jahren

Die Rückbesinnung auf die Säulen-Theorie steht jetzt an. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat als Bonn/Berlin-Beauftragte des Kabinetts die Fortentwicklung der Bonn-Berlin-Thematik angestoßen - nicht gegen, sondern mit dem Bonner Rathaus.

Bonns scheidender Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch hofft auf eine Vereinbarung bis zum Ende der Legislaturperiode in zwei Jahren. Ziel bleibt, was schon Ziel des Berlin/Bonn-Gesetzes war: eine dauerhafte Lösung. Die Erfahrung der mehr als 15 Jahre seit dem Umzug hat gezeigt, dass nicht nur die Zahl der Arbeitsplätze nicht eingehalten wird, sondern dass auch die ersten Dienstsitze Fiktion sind. Alle Minister arbeiten in Berlin und lassen sich ab und zu in Bonn sehen. Mehr nicht. Das ist Realität - so wie der Fraktionszwang Realität ist - und dennoch bleibt richtig: Beides ist zugleich Gesetzes- oder gar Verfassungsbruch.

Bonn braucht einen Plan B

Aber wie die nordrhein-westfälische Ministerin für Bundesangelegenheiten, Angelica Schwall-Düren, kürzlich sagte: "Schlachten, die man schon verloren hat, sollte man nicht mehr zu schlagen versuchen." Bonn braucht also einen Plan B. Nicht das Festklammern an Ministeriumsarbeitsplätzen und Dienstsitzen sichert die Zukunft, sondern eine Idee. Die Idee von Bonn als einem internationalen und Entwicklungszentrum - mit den Vereinten Nationen im Fokus,- und die Idee von Bonn als Stadt von Wissenschaft und Bildung. Drum herum müssen Ministerien und - verstärkt! - Bundesbehörden gruppiert werden. Danach richten sich Geld- und Gebäudebedarf.

Gelingt dieser Plan B , muss es einem um die Zukunft der Bundesstadt nicht bange sein - "Rutschbahn Berlin" hin oder her. Und: Eine solch selbstbewusste und offensive Position entspricht der historischen Bedeutung der früheren Bundeshauptstadt auch viel eher als das Zählen von Dienstposten.

GA-Serie

Die Redaktion des General-Anzeigers greift bis kurz vor der Wahl des Bonner Oberbürgermeisters unter dem Serientitel Bonner Perspektiven Knackpunkte städtischen Lebens auf. In zugespitzten und pointierten Analysen suchen Autoren zusammen mit Experten nach Lösungen für schwierige gesellschaftspolitische Fragen.

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