Gastbeitrag über die Bonner Kultur "Die Stadt hat Chancen fahrlässig vertan"

Bonn · Walter Smerling ist Vorsitzender der in Bonn ansässigen Stiftung für Kunst und Kultur. Mit diesem Beitrag reagiert er auf den Beschluss des Stadtrats, verbindlich zu regeln, welche Orte in Bonn für die Aufstellung von Kunstobjekten in Frage kommen.

 Privat finanziertes Projekt: Die Bonner Stiftung für Kunst und Kultur wollte die vier Meter hohe Skulptur „Walking Bag“ des Bildhauers Erwin Wurm auf dem Friedensplatz/Ecke Sternstraße aufstellen.

Privat finanziertes Projekt: Die Bonner Stiftung für Kunst und Kultur wollte die vier Meter hohe Skulptur „Walking Bag“ des Bildhauers Erwin Wurm auf dem Friedensplatz/Ecke Sternstraße aufstellen.

Foto: Stiftung

Die Auseinandersetzung über Kunst im öffentlichen Raum – wie nach Bekanntwerden von Erwin Wurms Projekt einer Bonner „Walking Bag“ medial angestoßen wurde – ist ein erfreuliches Zeichen für das grundsätzliche Interesse am Bild unserer Stadt und einer Debatte über künstlerische Wirkungskraft. Kunst im öffentlichen Raum ist unmittelbar präsent und – ja, sie bedeutet Auseinandersetzung. Sie gefällt und missfällt, provoziert und inspiriert, verstört und versöhnt, denn sie spiegelt die Gesellschaft. Joseph Beuys hat einmal gesagt: „Indem der Mensch mit der Kunst konfrontiert ist, ist er im Grunde mit sich selbst konfrontiert. Er öffnet sich dann selbst die Augen.“ Genau das wollen wir: Diskussionen anstoßen, gesellschaftliches Engagement zeigen, Mitgestalter am Ganzen sein.

Nicht nur in Bonn, sondern auch in Duisburg, Berlin oder Salzburg, um nur einige der Orte zu nennen, ist die Stiftung für Kunst und Kultur aktiv. Häufig haben wir uns im öffentlichen Raum engagiert, denn er geht uns alle an. Aus diesem Grund wählen wir Künstler aus, die vielfach Erfahrungen mit Arbeiten im öffentlichen Raum haben und die Stadt nicht „möblieren“, sondern sich voll und ganz auf sie einlassen – was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass die Werke jedem gefallen müssen. Das widerspräche dem Wesen der Kunst. Gleichzeitig achten wir – auch in Bonn – genau darauf, dass alle relevanten städtischen Gremien von Beginn an eingebunden sind. Wir fordern nicht, wir fragen an und bringen mit: Kunstwerke, deren Erwerb und Aufstellung sich aus privatem Engagement finanzieren. Es ist deshalb irritierend, wenn dennoch immer wieder falsche Behauptungen verbreitet werden, sei es, dass die Stadt durch die Projekte der Stiftung finanziell belastet werde und man mit dem Geld „Sinnvolleres“ machen könne, sei es, dass die städtische Kunstkommission bisherige Projekte einfach „durchgewunken“ habe.

Unverstellter Blick für neue Perspektiven

Wir begrüßen die Kooperation mit der Kunstkommission natürlich, auch den Vorschlag, den Künstlern mögliche Plätze vorzuschlagen. Aber dieses Konzept darf nicht starr sein, sondern muss erweitert gedacht werden: Unser Anliegen ist, dass die Künstler sich aktiv mit der Stadt auseinandersetzen und nicht einfach „liefern“. Wir alle können davon profitieren, die spezielle Wahrnehmung der Künstler in die Platzwahl einzubeziehen und ihren unverstellten Blick für neue Perspektiven und Gedankenansätze zu nutzen.

Nun lässt sich über Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit von Kunstprojekten naturgemäß streiten. Unstrittig ist, dass die Auseinandersetzung mit Kunst zu einer offenen Gesellschaft beiträgt und dass jeder seinen Teil dazu beitragen kann. Tatsache ist: Die Aufstellung der Werke hat den Steuerzahler und die Stadt keinen Cent gekostet. Und mit den ersten drei Skulpturen (von Markus Lüpertz, Tony Cragg und Bernar Venet) hat sich auch keine Kunstkommission auseinandergesetzt, denn sie wurde von der Stadt erst nach Errichtung der Venet-Skulptur auf dem Trajektkreisel/B9 installiert, als beratendes Gremium. Die kürzlich erfolgte Aufstellung von Stephan Balkenhols „Hommage an August Macke“ im Hofgarten hätte die Kommission (zumindest an diesem Ort) lieber verhindert. Von Durchwinken kann keine Rede sein. Es ist auffällig, dass es bei wichtigen Entscheidungsträgern immer wieder eine merkwürdige und bisweilen auch fragwürdige Zurückhaltung gibt, wenn es – wie jetzt im Fall der Skulptur von Erwin Wurm – darum geht, privates kulturelles Engagement in dieser Stadt zu ermöglichen. Ausdrücklich davon ausnehmen möchte ich den amtierenden Oberbürgermeister, seinen Vorgänger wie auch den Intendanten des Kunstmuseums Bonn.

Die Chancen und das Potenzial, die sich mit privatem und bürgerschaftlichem Engagement verbinden lassen, werden völlig übersehen. Die Stiftung für Kunst und Kultur ist ein gemeinnütziger Verein, dem Bonn und das Erscheinungsbild der ehemaligen Hauptstadt am Herzen liegen. Um es deutlich zu sagen: Die Stiftung will keine private Parallelkultur schaffen, sondern wir arbeiten seit vielen Jahren daran, die kulturelle Kraft und Ausstrahlung dieser Stadt zu stärken. Daher wollen wir nicht zusehen, wie Kultur bürokratisch verwaltet und Kreativität verhindert wird. Unsere kulturellen Aktivitäten verstehen wir auch als Beitrag zur kulturellen Bildung, die durch die Positionen namhafter Künstlerinnen und Künstler befördert werden kann. Und Kunst im öffentlichen Raum ist Kunst für alle, wie es Hilmar Hoffmann, der kürzlich verstorbene, langjährige Kulturdezernent der Stadt Frankfurt (und ehemaliges Beiratsmitglied der Stiftung) immer wieder reklamiert hat.

Bonner Potenziale werden nicht wahrgenommen

Bonn hat in allen Bereichen erhebliche Potenziale. Nur leider werden diese – insbesondere im Bereich der Kunst – nicht hinreichend wahrgenommen. Durch die Entscheidungsarmut kulturpolitisch Verantwortlicher hat die Stadt viele Chancen geradezu fahrlässig vertan. Die Festspielhaus-Katastrophe spricht für sich. Kulturpolitische Vorstellungen werden öffentlich kaum diskutiert. Salopp gefragt: Ist die Kulturpolitik im Eimer?

Jedenfalls hat das kulturpolitische Verständnis der Entscheidungsträger schon mehr als einmal zu bundesweitem Gelächter geführt. Dabei könnte Bonn mit seiner hervorragenden kulturellen Infrastruktur und seiner interessierten Bürgerschaft eine international beachtete Kulturstadt sein. Das ist auch wirtschaftlich und gesellschaftlich von Bedeutung, weil hochqualifizierte Arbeitnehmer nach einem interessanten kulturellen Umfeld verlangen. Leider werden die Chancen in Bonn zu selten wahrgenommen und Kulturprojekte zerredet, im Großen wie im Kleinen.

Ganz zentral: Ein Projekt wie das Beethovenfest mit seinem hohen künstlerischen Anspruch liefert zwar hervorragende Qualität, wird aber unzureichend vermarktet und außerhalb Bonns kaum wahrgenommen. Die aktuelle Vorbereitung des Beethoven-Jubiläums gibt Anlass zu weiterem Zweifeln, hier etwas Nachhaltiges zu schaffen.

Es fehlt an strahlenden Bildern, wie dies z.B. bei der außerordentlich gelungenen Aids-Gala ganz anders zu erleben war. Auch ein bisschen mehr Glamour kann nicht schaden und etwas mehr rheinisches Lachen – jedenfalls sollte das nicht im Keller stattfinden. Wenn Bonn in der überregionalen Kulturliga mitspielen und Anziehungspunkt für Kulturtouristen sein will, dann geht es so jedenfalls nicht.

Klima der Aufgeschlossenheit schaffen

Und die Kunst im öffentlichen Raum? Scheitert an bürokratischen Hürden oder wird aus finanziellen Gründen zu den Akten gelegt. Das wollen wir nicht passiv hinnehmen, sondern Voraussetzungen für Künstler schaffen, öffentliche Wirkung zu entfalten. Das setzt aber auch die Bereitschaft voraus, den Künstlern diese Rolle zuzutrauen.

Wenn Bonn scheitert, scheitert es an sich selbst. Aber dem kann man etwas entgegensetzen. Es muss gelingen, in dieser Stadt ein Klima der Aufgeschlossenheit zu schaffen, wie sie einer Universitätsstadt angemessen ist, und eine Atmosphäre des Dialogs, der offen ist für Neues, für Experimente, verbunden mit der Bereitschaft, Künstler aus allen Sparten zu einem zentralen gesellschaftspolitischen Thema zu machen. Ansonsten wird sich Bonn wieder zu dem zurückentwickeln, was es einmal war: eine von Pensionären gern bewohnte Stadt in schöner Landschaft. Die haben wir nun wirklich, im Gegensatz zu kulturpolitischen Visionen und Durchsetzungsfähigkeit.

Aber ein solches Klima muss man wollen und etwas dazu beitragen, damit es sich entwickeln kann. Unsere Kunstprojekte im öffentlichen Raum sind nur Mosaiksteine im Gefüge der Bonner Kultur, aber sie können Kraft binden. Und mit Erwin Wurm können wir einen weiteren Schritt gehen auf dem Weg zu einem urbanen Museum, das seinesgleichen sucht. Ich hoffe sehr, dass wir diese Idee gemeinsam mit den Bonner Bürgerinnen und Bürgern und den Verantwortlichen in unserer Stadt wahr werden lassen können. Ideen haben ist gut, gute Ideen umsetzen ist besser.

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