Kommunalwahl 2020 in Bonn Die Verkehrssituation in Bonn wird nicht besser

Analyse | Bonn · Bonn versinkt im Verkehrschaos. Trotz einiger Projekte, die die Stadt in den vergangenen Jahren angestoßen hat, ist die Situation für Auto- und Radfahrer kaum besser geworden. Einige Bürger denken jedoch um.

Kommunalwahl 2020 in Bonn: Die Verkehrssituation in Bonn wird nicht besser
Foto: Benjamin Westhoff

Vor der Kommunalwahl am 13. September analysiert der General-Anzeiger in lockerer Folge Schwerpunktthemen, die für die Zukunft der Stadt wichtig sind. Heute geht es um die selbst ausgerufene Fahrradhauptstadt Bonn und das tägliche Verkehrschaos auf der Straße.

Das ist die Situation:

Kaum ein Tag vergeht, an dem es keine Staumeldung auf den Bonner Autobahnen gibt. Auf den wichtigen innerstädtischen Verbindungen wie der Reuterstraße und der B 9 sieht es nicht besser aus. Die Fahrzeuge stehen im Berufsverkehr Stoßstange an Stoßstange – zweispurig.

Die Radfahrer stehen zwar nicht im Stau, müssen sich aber an Autos vorbei schlängeln, weil es vielerorts keine Radwege gibt. Und wenn es sie gibt, sind sie oft in so schlechtem Zustand, dass man besser auf die Straße wechselt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Viktoriabrücke, die den Bonner Norden mit dem Westen verbindet und derzeit komplett neu gebaut wird.

„Fußgehende und Radfahrende dicht zusammenpferchen, damit sie sich so richtig gegenseitig hassen lernen. Und schon beschweren sich in diesem Internet wieder die ersten, dass sich die Radfahrer nicht an die Regeln halten und nicht auf dem Radweg fahren“, kommentiert die Initiative Critical Mass dazu auf ihrer Website. Der lose Zusammenschluss von Radfahrern rollt einmal im Monat zu Hunderten durch Bonn, um auf die Verkehrsprobleme aufmerksam zu machen. Von Autofahrern werden sie angehupt, von vielen Radlern gefeiert. „Wir blockieren nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr“, lautet das Motto.

Die Stadtwerke Bus und Bahn bemühen sich, den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen. Engere Takte bei Bussen und Bahnen sind aber nur begrenzt möglich, weil Straßen und Schienen eben nicht endlos belastbar sind. Abhilfe soll die App BonnMobil schaffen, in der man Verkehrsmittel miteinander verknüpfen kann. Sie zeigt an, wann welche Bahn fährt, wo in der Nähe das Auto abgestellt werden kann, ob ein Leihfahrrad oder ein E-Scooter für den Weg zur Haltestelle verfügbar ist und wie lange es dauert, das Ziel zu Fuß zu erreichen.

Trotz aller Bemühungen gibt es jedes Jahr mehr Staus. Das hat zum Jahresbeginn mal wieder der Stau-Atlas des Navigationsgeräte-Anbieters TomTom gezeigt. 2019 wurden die Daten von Smartphones und fest verbauten Navigationssystemen ausgewertet. Bonn lag deutschlandweit auf Platz sieben und in NRW an der Spitze (29 Prozent, plus 2 Prozentpunkte). Die von TomTom berechnete Prozentzahl zeigt, wie viel länger eine Fahrt als Folge des Staus dauert. Das bedeutet im Fall von Bonn, die Fahrzeit verlängert sich um knapp ein Drittel im Tagesdurchschnitt gegenüber einer Fahrt ohne Verkehrsbehinderungen. Morgens und abends ist es sogar noch schlimmer.

Das ist das Kernproblem:

Mal mehr, mal weniger von Kopfschütteln begleitet ist die Antwort von zehn Autofahrern auf den Bonner Straßen im Kern dieselbe: Zu schlechte Straßen, zu viele Autos. Jetzt möchte man meinen, dass Radfahrer eine grundsätzlich andere Sicht der Dinge haben. Doch auch sie geben meist diese Gründe an, wenn man sie auf den Verkehr in der Bundesstadt anspricht. Die Infrastruktur gerät angesichts des zunehmenden Autoverkehrs an ihre Grenzen. Die Pendlerzahlen steigen stetig, genauso wie die Zahl der Fahrzeugzulassungen. Das Land NRW hat errechnet, dass sich tagsüber mehr als 400 000 Menschen in Bonn aufhalten, gemeldet sind aber nur rund 320 000. Die Pendler kommen hauptsächlich über die Straße, deren Zustand alarmierend ist: Die Viktoriabrücke ist marode, der Tausendfüßler bröckelt, und die Schlaglöcher auf der Bornheimer Straße rütteln regelmäßig an den Lenkern.

„60 bis 70 Prozent aller Staus entstehen, weil die Straßen überlastet sind“, sagt Michael Schreckenberg, Professor für Physik und Transport. Die Folge: Der Verkehr bricht zusammen, auf innerstädtischen Straßen schneller und öfter als auf Autobahnen. „Bonn hat wie alle Rheinstädte das Problem, dass die Stadt mit Brücken verbunden ist. Dazu kommt, dass Bonn nur wenige durchgehende Hauptverkehrsachsen hat, die bei hohem Verkehrsaufkommen schnell überlastet sind.“ Und dann sind da noch viele Baustellen in der Stadt und auf den Autobahnen der Region, die unumgänglich sind, weil es einen so großen Sanierungsstau gibt. Der Kommune selbst fehlt es meist an Geld, die Bauvorhaben schnell anzugehen.

Der ÖPNV kommt mangels Attraktivität für viele nicht infrage: Die Linie 66 ist beinahe jeden Morgen überfüllt, die Stadtwerke haben mit Ausfällen und Verspätungen zu kämpfen. Pendler setzen sich dann lieber ins Auto, vor allem weil die Kosten für ein Monatsticket je nach Preisklasse derart hoch sind (bis zu 314 Euro), dass man sich stattdessen auch ein Auto leisten kann, das man auf dem Land ohnehin benötigt.

Das sind die Lösungsansätze:

Verkehrsentwicklungsplan ist ein sperriges Wort. Der Inhalt ist noch viel sperriger und streckt sich auf mehr als 600 Seiten. Darin beschreibt die Stadt Bonn, wie der Verkehr in den kommenden Jahren verbessert werden soll. Oder besser: Hätte verbessert werden sollen. Denn bereits 2012 wurde das Konzept veröffentlicht und beinhaltet die Maßnahmen bis ins Jahr 2020. Einiges davon hat es tatsächlich in die Praxis geschafft, wie das Fahrradleihsystem von Nextbike und der Ausbau einiger Radwege. Vieles darin steckt noch in der Planung oder wurde noch gar nicht genauer angegangen. So war schon damals von der Verlängerung der Linie 63, vom sechsspurigen Ausbau der A565 und einer Venusberg-Seilbahn die Rede.

Im Kern ist der generelle Lösungsansatz derselbe wie heute: Öffentlicher Nahverkehr sowie der Fuß- und Radverkehr sollen gefördert, der motorisierte Individualverkehr weniger werden, ohne ihn komplett zu verdrängen. Damit das gelingt, will die Stadt die Verkehrsmittel aufeinander abstimmen und Rad- sowie Fußverkehr mehr Platz einräumen. Die Projekte sind vielfältig, um die Autos aus der Stadt herauszuhalten. So können Autofahrer auf außerhalb der Stadt gelegenen Park-and-Ride-Plätzen in die Bahn umsteigen, was sich etwa am Beueler Stadtrand schon bewährt hat.

Mit der Sanierung des Tausendfüßlers soll die A565 sechsspurig und leistungsfähiger werden. Die Pläne dafür sind schon fertig. In etwas mehr als sechs Jahren, von Ende 2021 bis 2027, soll zwischen dem Autobahnkreuz Bonn-Nord und der Anschlussstelle Endenicher Ei eine neue Landbrücke, denn mehr ist der Tausendfüßler nicht, entstehen. Statt der bislang 70 000 Fahrzeuge pro Tag soll die Strecke dann für etwa 115 000 ausgelegt sein. „Wir rechnen 2030 mit einem Verkehrsaufkommen von 102 000 Fahrzeugen pro Tag“, sagt Projektleiterin Friederike Schaffrath vom Landesbetrieb Straßen NRW. Heute sind es rund 93 000. Dem Wunsch der Stadt Bonn, auch gleichzeitig einen Radschnellweg mitzubauen, ist das Land aber nicht nachgekommen. Der Grund: Der Neubau des Tausendfüßlers dürfe sich nicht verzögern. Stattdessen will man an einer Radpendlerroute durch die Innenstadt Bonn als Alternative arbeiten.

Die Bonner Ortsgruppe des ADFC sieht das als Fehler. Ein Radschnellweg als Ost-West-Verbindung zwischen Alfter (Bahnhof Witterschlick) über Endenich (Uni-Campus) und St. Augustin (Fachhochschule) weiter bis zum ICE-Bahnhof Siegburg biete „großes Potential und stellt eine enorme Entlastung für das regionale Straßennetz dar“, heißt es. Und weiter: „Der ideale Verlauf dieser Strecke führt entlang des Tausendfüßlers und über die Nordbrücke.“ Der ADFC und die Bonner SPD schlagen zudem eine reine Rad- und Fußgängerbrücke über den Rhein vor, die von der Beueler Ringstraße zur Zweiten Fährgasse am Bundesrechnungshof reicht, um eine Alternative zur Kennedybrücke zu haben.

Freunde und Gegner bewegt seit jeher die Venusberg-Seilbahn über den Rhein, die aus Sicht von Gutachtern den Verkehr entlasten würde. Die Südtangente, zu der es schon in den 1960er Jahren Überlegungen gab, schaffte es 2016 wieder in den Bundesverkehrswegeplan, der bis 2030 die wichtigsten Verkehrsprojekte des Bundesverkehrsministeriums aufführt. „Durch eine zusätzliche Ost-West-Verbindung zwischen A 3 und A 565 könnten sowohl das Siebengebirge als auch das westliche Stadtgebiet von Bonn wesentlich vom Durchgangsverkehr entlastet werden“, heißt es von Straßen NRW. Der Landesbetrieb rechnet nicht vor 2030 mit Planungen. Bürger wehren sich wegen Lärm und Umweltbelastungen dagegen.

Warum es noch keine Lösung gibt:

Am Ende geht es immer ums Geld. Schon in den 1980er Jahren überlegte man, die Schienen der wichtigen Nord-Süd-Trasse der DB unter die Erde zu legen, was aber zu teuer gewesen wäre. Heute würde man sich freuen, nicht ständig vor verschlossenen Bahnschranken zu stehen. Oftmals blockieren sich Politik und Verwaltung oder auch Land und Kommune. Bestes Beispiel ist das Hin und Her um den Cityring oder eben der Radschnellweg am Tausendfüßler. Das Ziel Fahrradhauptstadt zu sein, ist mehr ein symbolisches Ziel: 25 Prozent soll der Radverkehr einmal ausmachen, aktuell sind es 15 Prozent. Allerdings lassen immer mehr Bonner das Auto stehen, wie der Modalsplit zeigt (siehe „So ist Bonn unterwegs“).

Das Thema Verkehr ist aber auch extrem komplex. Eine kleine Entscheidung zieht häufig einen Rattenschwanz mit sich, was derzeit die Stadtwerke Bonn zu spüren bekommen. Die Pünktlichkeit hinge vor allem vom Verkehrsaufkommen im Individualverkehr, von Baustellen und anderen Behinderungen entlang des Linienweges ab, da eigene Spuren für den ÖPNV kaum vorhanden seien, erklärt Veronika John von den Stadtwerken. Sie nennt Beispiele, die Bus- und Bahnlinien ausbremsen: Die Einrichtung des Linksabbiegers Bertha-von-Suttner-Platz, die Veränderung der Kaiserstraße und der Rathausgasse sowie Tempo-30-Abschnitte. „Insbesondere die Förderung des Radverkehrs geht häufig zu Lasten der Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Barrierefreiheit des ÖPNV“, sagt John.

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